HIV-positiv im Arbeitsleben:Alleingelassen mit dem Virus

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Offiziell erklären Arbeitgeber, dass sie die HIV-Infektion eines Mitarbeiters nicht stört. Dennoch verschweigen Betroffene am Arbeitsplatz, dass sie Virusträger sind. Der Alltag gibt ihnen recht.

Joachim Göres

Gaby Wirz ist HIV-positiv. In ihrem Blutbild ist das Virus nachweisbar, doch sie leidet nicht an Symptomen, wie sie bei einer Aids-Erkrankung auftreten. Wirz ist berufstätig, wie die meisten HIV-Positiven.

HIV ist am Arbeitsplatz immer noch ein Tabuthema - oftmals geht die Toleranz des Arbeitgebers nicht so weit, wie offiziell verlautbart. (Foto: dpa)

Die Sozialpädagogin betreut in Baden-Württemberg Suchtkranke und Wohnungslose. Ihrem Chef und den Kollegen hat sie von ihrer Infizierung erzählt. "Ich war unsicher, wie sie reagieren. Doch ich wollte offen sein. Dann muss man nicht ständig Angst haben, dass hintenrum was rauskommt."

Von ihren Erfahrungen berichtete Wirz auf dem deutsch-österreichischen Aids-Kongress, der kürzlich in Hannover stattfand. "Vorgesetzte und Mitarbeiter waren sehr verständnisvoll. Schwierig wurde es allerdings später, als ich länger krank war und man mich aus Angst vor weiteren Ausfallzeiten nicht mehr zurückhaben wollte."

Wirz ist eine Ausnahme. Die meisten Betroffenen verschweigen ihre Infizierung, weil sie zum Beispiel befürchten, bei einer Bewerbung keine Chance zu haben. Später sagen sie meist aus Angst vor beruflichen Nachteilen nichts. Die in Hannover vorgestellten Erfahrungsberichte geben ihnen recht.

Matthias Stoll, Oberarzt für Immunologie an der Medizinischen Hochschule Hannover, präsentierte diverse Beispiele von Menschen, die er selber behandelt: der leitende OP-Pfleger, der zum "Tupferdrehen" in den Keller versetzt wurde, obwohl er im OP keine Gefahr für die Patienten darstellte; der Controller, der sich bei seinen Vorgesetzten outete, die daraufhin einen Einblick in seine Krankenakte verlangen.

Nachfragen unzulässig

Im Gesundheitswesen, bei Erziehern und in der Gastronomie ist die Angst vor HIV-positiven Menschen wegen einer möglichen Ansteckungsgefahr besonders groß. "Aber es gibt de facto keine Infektionsgefahr, auch nicht bei engem Umgang mit Menschen.

Nur für HIV-infizierte Ärzte, die selber operieren, gelten besondere Regeln", sagt der Hamburger Arzt Jens Jarke. Er betont, dass Händeschütteln und Anhusten keine Gefahr darstellt, auch Speichel, Schweiß, Tränen und Urin kämen praktisch nicht für eine Infektion in Betracht.

Aber ist diese Einschätzung auch arbeitsrechtlich gedeckt? Der Kölner Rechtsanwalt Jacob Hösl, spezialisiert auf die Lage von HIV-Infizierten, sagt, dass es nur für Piloten, Flugbegleiter und operierende Ärzte Einschränkungen bei der beruflichen Tätigkeit gebe, sodass der Arbeitgeber ein berechtigtes Interesse an Informationen über die Infektion haben könne. In allen anderen Fällen sei sie für die Berufsausübung irrelevant und somit auch die Frage danach im Vorstellungsgespräch nicht zulässig. Werde dennoch nachgebohrt, sei Lügen erlaubt.

David Leyendecker hat die Interessenvertretung "HIV im Erwerbsleben" gegründet und informiert im Internet über aktuelle Entwicklungen ( www.positivarbeiten.de). Er sieht immerhin bei großen Unternehmen eine Tendenz, sich gegen die Diskriminierung von HIV-Positiven einzusetzen. "Ich arbeite in Berlin, da gibt es viele ermutigende Beispiele. Die Toleranz bei den Kollegen ist im Vergleich zu früher gestiegen", sagt er. "Wir machen aber die Erfahrung, dass die Akzeptanz in der Provinz geringer und die Ängste größer sind."

An wen können sich Hilfesuchende wenden? "Betriebsärzte unterliegen der Schweigepflicht. Allerdings haben wir in der Vergangenheit oft erlebt, dass sie bei der Einstellungsuntersuchung wegen der HIV-Infektion zu einer Gesamtbewertung kommen, die letztlich zu einer negativen Entscheidung führt", sagt Carsten Bock, Sprecher der Verdi-Bundesarbeitsgemeinschaft Lesben, Schwule, Bisexuelle und Transgender. Er empfiehlt den Kontakt zum Betriebsrat, um ein mögliches Outing zu besprechen.

Zudem fordert Bock ein Verbot von HIV-Tests. "Die Tests werden immer billiger und daher öfter durchgeführt. Man muss zwar zustimmen, aber nur wenige trauen sich zu widersprechen, aus Angst vor negativen Folgen." Arbeitsrechtler Hösl rät, einen Test statt beim Betriebsarzt beim Gesundheitsamt durchführen zu lassen, da man dort mit den Ergebnissen oft verantwortungsvoller umgehe.

Die Deutsche Aids-Hilfe hat Personalverantwortliche von Konzernen mit mehr als 1000 Beschäftigten zu ihrem Umgang mit dem Thema befragt. 22 von 181 Firmen antworteten. Fast alle sagten, dass eine HIV-Erkrankung keinen Einfluss auf die Auswahl des Bewerbers habe, die meisten befürworteten das freiwillige Outing vor den Kollegen.

Doch nur wenige kannten HIV-Positive unter ihren Mitarbeitern. Und, so ein weiteres Ergebnis der Studie: Unterschwellig werde befürchtet, dass Beschäftigte häufiger ausfallen könnten, auch wenn die Fehlzeiten der Mehrheit der HIV-Infizierten nicht vom Durchschnitt abweiche.

Reifliche Überlegung

Das Fazit: "Jedem Bewerber ist zu raten, die Infektion im Gespräch mit der Personalabteilung erst nach reiflicher Überlegung zu benennen und sich der möglichen Konsequenz bewusst zu sein. Zeitarbeitsfirmen scheinen hier besonders sensibel zu reagieren, da sie der Infektion eine hohe Relevanz bei der Besetzung einer neuen Stelle und der Verlängerung des Arbeitsvertrags zusprechen."

Gaby Wirz will demnächst den letzten Schritt wagen. Bisher fordert ihr Arbeitgeber, dass sie nicht mit den von ihr betreuten Menschen über ihre Infektion spricht. Das will sie nicht länger akzeptieren. "Ich werde meine HIV-Infektion öffentlich machen und bin gespannt, was dann passiert."

© SZ vom 02.07.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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