Frage an den SZ-Jobcoach:Ich bin hochqualifiziert und bekomme trotzdem nur Absagen

Lesezeit: 2 min

Martin T. ist unsicher, was er bei der Bewerbung falsch macht. Karriere-Beraterin Christine Demmer weiß Rat.

SZ-Leser Martin T. fragt:

Ich bin 30 Jahre alt, habe ein Uni-Diplom in internationaler Betriebswirtschaftslehre, spreche vier Sprachen und kann einige Monate Auslandserfahrung vorweisen. Außerdem verfüge ich über knapp zwei Jahre Berufspraxis im Vertrieb und Einkauf. Trotzdem habe ich nun schon 140 Bewerbungen geschrieben - ohne den geringsten Erfolg.

Mittlerweile bewerbe ich mich auch auf Sachbearbeiterstellen, die nur eine kaufmännische Ausbildung voraussetzen. Ist dies eine richtige Strategie, um zu mehr Berufserfahrung zu kommen? Oder sollte ich noch ein Fernstudium in Wirtschaftsingenieurwesen anfangen, da dieses Anforderungsprofil sehr häufig gefragt ist und ich eine hohe technische Affinität besitze?

Christine Demmer antwortet:

Lieber Herr T., lassen Sie uns gemeinsam den Haken suchen, an dem man Ihre Bewerbungen aufknüpft. Da ist zunächst Ihr Alter. Falls Sie gerade erst den Master abgeschlossen haben, wären Sie ein sehr reifer Berufsanfänger. Ihre Praxiserfahrung gleicht diesen Nachteil nicht aus. Denn unter Berufserfahrung versteht man mit Erfolg nachgewiesene Übungen in just dem Aufgabenfeld, für das Sie sich gerade bewerben. Auslandsaufenthalte und Mehrsprachigkeit gehen hingegen an Sie, das sind wertvolle Punkte. Doch selbst die scheinen keinen Appetit auf Sie zu machen - wenn "geringster Erfolg" so zu verstehen ist, dass Sie noch nicht mal zur Vorstellung eingeladen werden.

Also suchen wir weiter. Haben Sie Ihren Abschluss womöglich mit 3,9 gerade eben hingebogen? Ihre Masterarbeit in den Sand gesetzt? Lassen Ihre bisherigen Arbeitszeugnisse vermuten, dass man Ihnen nicht gerade nachgetrauert hat? All das würde Sie zu einem weniger attraktiven Berufsanfänger machen, und, klar, dann müssen Sie wohl oder übel noch ein paar Schippen drauflegen. Aber nicht gleich ein komplettes Fachstudium, das Ihrem Lebenslauf nur noch eine weitere Wendung hinzufügt!

Und obwohl ich verstehe, dass Ihr Selbstwertgefühl am Boden ist, rate ich Ihnen, die Finger wegzulassen von ausgewiesenen Sachbearbeiterstellen. Dazu sind Sie überqualifiziert. Versuchen Sie es damit: Bieten Sie an, ein paar Monate als Praktikum vorzuschalten. In dieser Zeit kann man Sie kennenlernen und bei gegenseitigem Gefallen übernehmen. Das funktioniert in der Regel gut. Falls der Haken nicht ganz woanders liegt und Sie sich auf Stellen bewerben, die gar nicht für Berufsanfänger vorgesehen sind. Schauen Sie an dieser Stelle bitte ganz genau hin.

Haben Sie auch eine Frage zu Berufswahl, Bewerbung, Arbeitsrecht, Etikette oder Führungsstil? Schreiben Sie ein paar Zeilen an coaching@sueddeutsche.de . Unsere sechs Experten wählen einzelne Fragen aus und beantworten sie im Wechsel. Ihr Brief wird komplett anonymisiert.

© SZ vom 12.12.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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