Fördergelder in der Wissenschaft:Keine Chance für Dr. Durchfall

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Viele Veröffentlichungen, wenig Substanz: Wer in der Wissenschaft erfolgreich sein will, muss künftig mehr vorweisen als eine lange Publikationsliste. Geld gibt es nur für Inhalt.

Johann Osel

"Beobachtungen einer Eule" heißt eine launige Kolumne aus anonymer Feder in Lab Times, einem englischsprachigen Service-Journal für wissenschaftliche und technische Mitarbeiter in den Lebenswissenschaften. Einmal berichtete darin diese Eule über eine Forschungskonferenz in Frankreich, auf der ihr ein Freund auf die Schulter tippte: "Kennst du den Typen da mit den mürrischen Augen? Wir nennen ihn Doktor Diarrhöe." Auf die Frage nach dem Grund spottete der Freund: "Er produziert einen Aufsatz pro Woche, aber die sind fast alle ohne jegliche Substanz. Du kannst jeden einzelnen davon in die Tonne kippen. Aber ich bin überrascht, dass du ihn nicht kennst: Er forscht genau in deinem Fachgebiet."

Ergebnisse zählen

Wenn sich ein Forscher etwa für eine Stelle bewirbt, schlussfolgert die Eule dann daraus, sollte er nach den drei oder vier hochwertigsten Publikationen gefragt werden und erklären, warum er diese zu den besten Beiträgen auf dem Gebiet zählt. Wenn dies Standard wäre, würden Forscher das Ziel haben, exzellente Ergebnisse zu produzieren statt so viel wie möglich - und Dr. Durchfall käme nicht in Frage.

Trotz aller Weisheit der Eule: neu ist die Debatte nicht. Nur Einhalt vermochte dem Phänomen des Veröffenlichungswahns bislang niemand zu bieten. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) hat nun eine Änderung im Procedere bei ihren Förderanträgen angekündigt und nennt diese einen "Paradigmenwechsel" - von der Quantität hin zu mehr Qualität. "Pflöcke gegen die Publikationsflut" wolle man einschlagen. Deutschlands zentrale Organisation für Forschungsförderung, bei der jährlich mehr als 20.000 Gesuche eingehen, beschränkt vom 1. Juli an die Publikationsangaben in Förderanträgen und Abschlussberichten.

Der Professor zählt nicht

Die Neuregelung beinhaltet, dass Wissenschaftler künftig statt beliebig vieler Veröffentlichungen nur noch wenige, besonders aussagekräftige als Referenz nennen dürfen. So soll die wachsende Bedeutung von Publikationsverzeichnissen, deren Opulenz sich viele Antragsteller auf die Fahnen schreiben, verringert werden. Zugleich sehen die Änderungen vor, dass die eigentliche Beschreibung des Forschungsprojekts mehr Gewicht erhält, unabhängig davon, ob der Antragssteller ein Professor mit Weltruhm ist oder ein eher kleines Licht in seinem Metier.

Zur wichtigsten Grundlage für die Begutachtung soll also die Schilderung dessen werden, was der Antragsteller erreichen will, was er an eigener Vorarbeit geleistet oder im Falle einer Verlängerung etwa in einem existierenden DFG-Sonderforschungsbereich erreicht hat.

Konsequenz aus Forschungsskandal

"Es sind die Inhalte, auf die es uns bei der Bewertung und Förderung von Wissenschaft ankommt. Das wollen wir damit zeigen", sagte DFG-Präsident Matthias Kleiner am Dienstag bei der Präsentation der Kriterien in Berlin. Künftig dürfen bei den Anträgen dem Lebenslauf maximal fünf Veröffentlichungen beigefügt werden - jene fünf, die man selbst für die wichtigsten seiner Karriere hält. Bei den Publikationslisten mit direktem Bezug zum Projekt dürfen pro Förderjahr nur noch zwei Werke angeführt werden.

Die Verbindung zu jüngsten Fällen von Fehlverhalten bei Anträgen zieht die DFG ungern; man habe so etwas schon seit Jahren geplant. Doch dass vor allem der im Mai 2009 publik gewordene Fälschungsskandal an der Universität Göttingen die Organisation aufgeschreckt hat, ist offenkundig: Wissenschaftler eines Sonderforschungsbereichs für Tropenwälder hatten bei ihren millionenschweren DFG-Anträgen Manuskripte angegeben, die teils noch ungedruckt bei Verlagen ruhten, oder gar Aufsätze für Fachmedien, von denen kein einziger Satz je zu Papier gebracht wurde. Insgesamt ging es um 54 Fälle. Daher sehen die neuen Regeln auch vor, dass Manuskripte, die nur zur Veröffentlichung eingereicht, aber noch nicht angenommen wurden, generell nicht mehr in DFG-Anträgen aufgeführt werden dürfen.

Die Reform des Antragswesens könnte eine Trendwende ermöglichen. Denn der Druck zum permanenten Veröffentlichen hat sich in den vergangenen Jahren immer mehr verstärkt und scheint in allen Fächern und auf allen Stufen der wissenschaftlichen Karriereleiter angekommen zu sein. Selbst schon Doktoranden übernehmen die Zwänge des Systems und begeben sich früh in ein Hamsterrad.

Wer kurz vor der Promotion noch nicht über eine stattliche Werkliste verfügt und eine akademische Karriere anstrebt, bekommt kalte Füße. Denn gleichgültig, ob bei der leistungsorientierten Mittelvergabe, bei Habilitationen, Berufungen oder eben Förderanträgen - die "Währung" Veröffentlichungszahl hat Gewicht; und auch andere numerische Indikatoren wie der Impact-Faktor, der das Renommee von Zeitschriften danach bemisst, wie oft deren Artikel anderswo zitiert werden.

Langwieriges Stückwerk

Die notorische Devise "Publish or Perish!" ("Publiziere oder verrecke!") verursacht ein Wettschreiben um Forschungsgelder und einen Trend zu kürzeren Aufsätzen mit Hyperspezialisierung. Oft lautet die erste Frage nicht mehr, was jemand erforscht hat, sondern wo und wie viel er darüber publiziert hat. Doktor Durchfall aus der obigen Eulen-Kolumne macht dies so: Er veröffentlicht erst die Forschungsergebnisse A, B und C, dann eine erneute Publikation von B und C mit D, danach schreibt er über C, D und E einen Aufsatz. Studenten, die sich etwa in einer Seminararbeit darum bemühen, den Forschungsstand ihres Dozenten einzufangen, wissen, wie solches Stückwerk in der Praxis aussieht.

Qualitätsoffensive durch die Hintertür

"Das alles schadet der Wissenschaft", sagte DFG-Präsident Kleiner. Die Antragsteller müssen sich nun beschränken und mit dem Wert ihrer Publikationen auseinandersetzen. Und das könnte dazu führen, dass sie, weil es für das Anzapfen der Fördertöpfe nicht mehr nötig ist, auf Masse verzichten und sich der Klasse verschreiben. Das ist eine Qualitätsoffensive durch die Hintertür. Zudem bietet es Jungforschern, die nicht mit ellenlangen Listen, aber vielleicht mit wenigen exzellenten Publikationen aufwarten, mehr Chancen auf Förderung.

Die DFG will ihre Pläne mit Strenge durchpeitschen: Wer im Juli immer noch 50 Publikationen angibt statt fünf, so heißt es, der bekomme seinen Antrag zurück - "mit der freundlichen, aber bestimmten Bitte um Überarbeitung".

© SZ vom 24.02.2010/holz - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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