Einsturz des Kölner Stadtarchivs:"Um Himmels Willen, meine Arbeit!"

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Alexander Berner promoviert über Kölner Kreuzfahrer - eigentlich. Doch all seine Quellen liegen unter den Trümmern des Stadtarchivs begraben.

Julia Bönisch

sueddeutsche.de: Herr Berner, Sie sitzen seit anderthalb Jahren an Ihrer Promotion im Fach Geschichte an der Universität Bochum. War all die Arbeit völlig umsonst?

Archivalien im Bauschutt: Beim Einsturz des Stadtarchivs Köln wurden unzählige historische Schätze zerstört. (Foto: Foto: ap)

Alexander Berner: Ich hoffe nicht! Aber ich muss den Fokus meiner Arbeit nun völlig verschieben, weil fast alle Quellen zerstört sind.

sueddeutsche.de: Wie haben Sie vom Einsturz des Kölner Stadtarchivs erfahren?

Berner: Ich saß zu Hause am Schreibtisch und habe gearbeitet, als mich eine wissenschaftliche Hilfskraft von der Uni aus anrief. Als ich den Hörer abhob, sagte sie: "Gott sei Dank, du bist zu Hause. Dir ist also nichts passiert." Dann erzählte sie mir, dass das Archiv eingestürzt sei.

sueddeutsche.de: Wie haben Sie reagiert?

Berner: Ich habe angenommen, dass vielleicht ein Nebengebäude beschädigt wurde oder dass eine Treppe eingestürzt ist. Dann bin ich ins Internet gegangen und habe das ganze Ausmaß der Katastrophe erfasst. Vorher dachte ich noch, ich werde schon irgendwie weiterarbeiten können. Aber als ich die Bilder sah, begriff ich: Da ist nichts mehr zu machen.

sueddeutsche.de: Was haben Sie in dem Moment gedacht?

Berner: Mein erster Gedanke war: Um Himmels Willen, meine Arbeit! Erst als Zweites wurde mir klar - und für diese Reihenfolge schäme ich mich ein bisschen -, dass auch Leute im Gebäude gewesen sein mussten. Und dann war ich unglaublich erleichtert, dass ich zum Zeitpunkt des Unglücks nicht selbst in Köln war. Ich habe sehr großes Glück gehabt. Aber die Katastrophe hat sich ja schon angedeutet.

sueddeutsche.de: Sie haben das Unglück kommen sehen?

Berner: Das wäre zu viel gesagt. Aber alle, die im Stadtarchiv gearbeitet haben, konnten sehen, dass der U-Bahn-Bau nicht spurlos am Gebäude vorüberging. Das Mauerwerk war voller Risse. Natürlich haben die Verantwortlichen das gemeldet, aber es hat niemand reagiert. Wenn man wie ich an der Uni arbeitet, ist man schon einiges gewöhnt, was die Dienstwege großer Verwaltungsapparate angeht. Aber die Vorgänge im Stadtarchiv setzen dem Ganzen die Krone auf.

sueddeutsche.de: Haben Sie schon einen Plan B, was Ihre Doktorarbeit angeht?

Berner: An dem Plan B arbeite ich noch. Es rechnet ja keiner damit, dass ein Archiv einstürzt, deshalb kann ich spontan kein Alternativthema aus der Schublade ziehen.

sueddeutsche.de: Können Sie Ihr ursprüngliches Thema nicht einfach in einer anderen Stadt erforschen? Sie könnten zum Beispiel Kreuzfahrer aus Aachen untersuchen.

Berner: So einfach ist das leider nicht. Köln war im Mittelalter die größte und wichtigste deutsche Stadt, die Quellenlage war hier so gut wie nirgends. Zudem habe ich schon anderthalb Jahre Vorarbeit geleistet. Ich will nicht, dass das alles umsonst war.

Auf der nächsten Seite: Warum die Dokumente nirgends in digitalisierter Form vorliegen, warum Alexander Berner die Stadt Köln nicht verklagen will und was sein Doktorvater sagt.

sueddeutsche.de: Und die Dokumente, die Sie benötigen, liegen nicht in digitalisierter Form vor?

Chaos in der Kölner Südstadt: Der Einsturz des historischen Stadtarchivs -die Bilder. (Foto: Foto: ap)

Berner: Nein, leider nicht. Zu einer Doktorarbeit gehört ja, dass man etwas völlig Neues untersucht. Die Dokumente aus dem Stadtarchiv, auf die ich mich stützen wollte, hat zuvor noch niemand ausgewertet. Jetzt werde ich mich wohl oder übel auf aktuelle Forschungsdiskussionen konzentrieren müssen.

sueddeutsche.de: Können Sie das mit einem Beispiel erklären?

Berner: Wir wissen etwa, dass Kölner Kreuzfahrer während des Zweiten Kreuzzugs auf ihrem Weg ins Heilige Land in Lissabon Station gemacht und dort König Alfons I. geholfen haben, die Mauren zu besiegen und die Stadt einzunehmen. Die Erkenntnis ist nicht neu, die Wissenschaft streitet sich nur darum, ob dies von vorneherein geplant war oder ob sich das erst vor Ort ergeben hat. In dieser Diskussion kann ich klar Position beziehen und versuchen, diese offene Frage zu beantworten. Das ist zwar etwas völlig anderes, als ich ursprünglich geplant hatte und auch ein völlig anderes Arbeiten, aber ich habe wohl keine Alternative.

sueddeutsche.de: Was sagt denn Ihr Doktorvater? In dieser Ausnahmesituation wird er doch vielleicht nicht ganz so streng mit Ihnen sein.

Berner: Er ist natürlich genauso geschockt wie ich. Aber ich fände es nicht in Ordnung, wegen des Unglücks eine Sonderbehandlung zu bekommen. Ich will meine gute Note nicht geschenkt bekommen, sondern sie mir ehrlich verdienen.

sueddeutsche.de: Wie lange wird sich Ihre Arbeit nun verzögern?

Berner: Eigentlich darf sie sich überhaupt nicht verzögern, da ich ein Stipendium erhalte, das an einen straffen Zeitplan geknüpft ist. Ende April muss ich bei meinen Förderern den Jahresbericht einreichen, sonst bekomme ich ein Finanzierungsproblem. Deshalb habe ich nach dem Einsturz auch keine Minute Pause gemacht: Ich arbeite gerade parallel zu diesem Jahresbericht an einer kompletten Neuausrichtung der Arbeit. Eigentlich müsste der Tag mehr als 24 Stunden haben, damit mir das noch rechtzeitig gelingt.

sueddeutsche.de: Haben Sie mal daran gedacht, die Stadt Köln oder die Verkehrsbetriebe zu verklagen?

Berner: Nein, denn das hätte wohl wenig Aussichten auf Erfolg. Wer würde sie - außer mir - denn schon für die Vernichtung meiner Dissertationspläne verurteilen?

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