Es gibt in ganz Bayern keine einzige staatliche Ganztagsschule, jedenfalls keine, die ihren Namen verdient. Zu diesem Ergebnis kommt der Bayerische Lehrer- und Lehrerinnenverband (BLLV). Lediglich vier bis fünf Prozent aller bayerischen Schüler besuchten derzeit eine "gebundene" Ganztagsklasse, bei der sich Unterricht und Entspannungsphasen abwechselten - im Bundesschnitt sind es jedoch zwölf Prozent.
Dass die Bilanz nach bald zehn Jahren Diskussion über Ganztagsschulen in Bayern so ernüchternd ausfällt, liegt nach den Worten des BLLV-Vorsitzenden Klaus Wenzel schlicht am fehlenden Personal. Für die Nachmittagsbetreuung würden oft 400-Euro-Jobber engagiert.
Anspruch und Wirklichkeit klafften immer noch weit auseinander, bestätigte auch Friedrich Sparrer. Er ist Leiter der Mittelschule in Kolbermoor im Landkreis Rosenheim und Pionier der ersten Stunde. Schon 2002 hat er an seiner Schule die erste Ganztagsklasse eingeführt.
"Es war nicht ganz leicht, die Lehrer zu überzeugen. Aber als sie sahen, wie das den Teamgeist stärkt und dass es auch flexible Arbeitszeitmodelle erlaubt, waren alle freudig dabei", berichtet er. 19 zusätzliche Lehrerwochenstunden gestand das Kultusministerium in der Anfangsphase zu. "Das hat es uns erlaubt, qualifizierten Nachmittagsunterricht anzubieten", sagt Sparrer.
Inzwischen aber wurde die Stundenzahl auf zwölf reduziert - mit der Folge, dass vielfach kein rhythmisierter Unterricht mehr möglich ist, sondern Schulen auf Hilfskräfte für die Nachmittagsbetreuung zurückgreifen müssten.
"Currywurst mit Hausaufgaben"
Dass das Kultusministerium immer vom Ausbau der Ganztagsschulen spreche - "damit unsere Kinder unabhängig von ihrer Lebenssituation sehr gute Bildungschancen haben", wie es in den Werbebroschüren des Ministeriums heißt - sei Schönfärberei, so Wenzel.
Vielfach beschränke sich das Angebot auf "Currywurst mit Hausaufgaben". Wozu das vielfach führt, erklärte der Jurist des BLLV, Hans-Peter Etter. Bei einem Honorar von 6000 Euro je Ganztagsklasse - das sind höchstens zehn Euro brutto Stundenlohn - für externe Kräfte finde man kein pädagogisch qualifiziertes Personal.
Da komme es zu Unfällen, wenn eine Hilfskraft nicht weiß, worauf man beim Trampolinspringen achten muss, oder wenn man mit einem Meister in die Schreinerwerkstatt geht und jeder mit dem Werkzeug hantieren darf. Es genüge eben nicht, dass sich ein Sportler, Musiker oder Schreiner in seinem Metier auskenne. Um Unfälle zu vermeiden und Kindern wirklich etwas beizubringen, müsse man gelernt haben, wie man den "Stoff an die Kinder bringt".
Das Gleiche gilt für die Hausaufgaben. Wie wichtig es ist zu verstehen, was der Lehrplan erfordert, erfahren Eltern jeden Tag. Deshalb wünschen sie sich auch in der Hausaufgabenbetreuung, dass dort so geübt wird, wie es für die Schulaufgaben nötig ist.
Wenn die Honorarkraft aber nicht mal bruchrechnen kann, ist sie keine Hilfe. Dazu brauche es Lehrer, so Wenzel. Dem Kultusministerium attestierte er zwar Anstrengungen beim Ausbau der Ganztagsschulen, doch beschränkten sich diese meist auf die offene "Currywurst"-Variante.
Notwendig: 6800 Lehrerstellen
Kultusminister Ludwig Spaenle (CSU) wies die Vorwürfe zurück. Allein zum aktuellen Schuljahr seien Hunderte Ganztagsgruppen dazugekommen. Der Bedarf sei aber viel größer, hat der BLLV errechnet: Bayernweit liege er bei 30 bis 40 Prozent, vor allem in den Städten. Um ihn zu decken, bräuchte es 6800 Lehrerstellen. Die könnten aber leicht erreicht werden, wenn man aufgrund rückläufiger Schülerzahlen darauf verzichte, Personal abzubauen.
Wie groß der Bedarf auch außerhalb Münchens ist, hat das Müller-Gymnasium in Regensburg erlebt, das einzige Ganztagsgymnasium in Ostbayern. Dort hatten sich im Frühjahr fast doppelt so viele Eltern beworben wie Plätze vorhanden waren. Das Modell kommt an: "Wir hören nur zufriedene Stimmen", sagt Ernst Tamm vom Elternbeirat. Aber das Müller-Gymnasium ist eben auch eine städtische, keine staatliche Schule.