Für Deutschlands Firmenchefs gäbe es eine ganze Menge Gründe, optimistisch zu sein. Die Konjunkturprognosen sind gut, den Euro gibt es immer noch und die Arbeitsmarktstatistik verspricht, zumindest auf dem Papier, eine große Zahl potenziell konsumfreudiger Menschen. Trotzdem ist die Stimmung in den Chefetagen, sagen wir: mittelmäßig. Der Geschäftsklimaindex des Ifo-Instituts ist neulich zum ersten Mal seit Monaten gefallen. Das bedeutet, dass Firmenbosse und Manager die Zukunft weniger positiv gestimmt erwarten als noch ein paar Wochen zuvor. Weil sie sich eben doch Gedanken machen: um den Euro, um die Konjunktur, um die Kauflust.
Das ist löblich, weil es auch Teil des typisch deutschen Wegs zum Erfolg ist, in seinen Erwartungen immer ein bisschen mehr Bodenhaftung zu behalten als unbedingt notwendig erscheint. Vorzubauen. Allerlei Risiken einzukalkulieren. Und trotzdem sollten sich all jene, die sich Gedanken um die Währung, das Wachstum und die Stimmung in der Bevölkerung machen, fragen, ob sie in ihrer Kalkulation nicht einen großen Risikofaktor vergessen. Einen, der anders als die genannten nicht maßgeblich von externen Einflüssen bestimmt wird, sondern der direkt in ihren Unternehmen wächst und gedeiht.
Ein Phänomen, das die Zukunft eines Unternehmens negativ beeinflussen kann wie kaum ein anderes: die Schleimer.
Schleimer sind eigentlich leicht zu erkennen. Sie wechseln ihre Meinung, je nachdem, wer ihnen gerade gegenüber sitzt. Sie verteilen billige Komplimente an jeden, der ihnen begegnet, und es ist ihnen nicht peinlich, den Chef vor versammelter Mannschaft für irgendeine naheliegende Idee fast schon ekstatisch zu beglückwünschen. Klasse, Boss, ganz, ganz klasse! Vor allem aber, und das ist mit Abstand das Schlimmste, schweigen sie. Sie schweigen, wenn die Idee des Chefs nicht naheliegend, sondern absurd ist. Sie schweigen, wenn der Vorschlag des Vorgesetzen vielleicht keine Katastrophe ist, sie aber selbst einen besseren hätten. Oder haben könnten - wenn sie überhaupt darüber nachdenken würden. Das lassen sie aber bleiben, so lange sie keinen unmittelbaren Vorteil für sich und ihren Karrierefortschritt erkennen können. Das ist der Ausgangspunkt für das Risiko, das von Schleimern ausgeht: Sie halten aus strategischen Gründen den Mund.
Es mag Menschen geben, die daran nicht Verwerfliches finden. Wollen wir nicht alle vorankommen? Lesen wir nicht alle Karrieretipps, die helfen sollen, Position und Einkommenssituation zu verbessern? Was also, könnte man fragen, soll daran falsch sein, bei Kollegen und vor allem bei Vorgesetzten möglichst positiv in Erinnerung bleiben zu wollen?
Keine Chuzpe, nirgends
Das Problem ist folgendes: Das wichtigste Kapital von Unternehmen, das gilt in besonderem Maße in rohstoffarmen Ländern wie Deutschland, sind ihre Mitarbeiter. Wenn diese Mitarbeiter aber ihre Ideen aus karrierestrategischen Gründen zurückhalten, büßen die Konzerne Innovationsfähigkeit ein. Sie gehen also womöglich nur mit der zweit-, dritt-, oder viertbesten Idee ins Rennen um den künftigen Geschäftserfolg - oder sogar mit einer total blöden. Mittel- bis langfristig gedacht kann ein Unternehmen also der Konkurrenz unterliegen, Umsatzeinbußen erfahren und oder pleitegehen, weil es zu viele Schleimer beschäftigt. Weil keiner dem Chef gesagt hat, dass seine Idee blöd ist.
Und selbst wenn das Tagesgeschäft vermeintlich reibungslos läuft, muss man also einen Teil der Personalkosten als sinnlos verschwendet abschreiben. Denn Unternehmen, die einen Mitarbeiter zu regulären Konditionen einstellen, haben damit eigentlich ein Anrecht auf seine volle Arbeitskraft. Und dazu gehört eben nicht nur, dass er während seiner Anwesenheit erledigt, was gerade so ansteht, sondern dazu gehören auch seine Kreativität, seine Meinung, sein Widerspruch. Dazu gehört die Chuzpe, in einer Teamsitzung auch mal gegen die vermeintliche Mehrheitsmeinung zu argumentieren und die eigene Überzeugung einzubringen - ob sie sich nun am Ende durchsetzt oder nicht. Mitarbeiter der Sorte Schleimer tun das nicht. Sie agieren taktisch, fühlen sich nur ihrer Karriere verpflichtet, nicht einer Überzeugung und nicht dem Unternehmen. Man muss also feststellen, dass diese Mitarbeiter zumindest einen Teil ihrer Gehälter zu Unrecht beziehen. Sie enthalten ihrem Arbeitgeber ein gutes Stück dessen, was sie zum Unternehmenserfolg beitragen könnten, vor, vielleicht sogar das Wichtigste.
Eigene Ideen zu wagen und zu versuchen, sie durchzusetzen, ist dagegen deutlich anstrengender, als einfach immer an der richtigen Stelle zu nicken und zu lächeln, keine Frage. Aber natürlich, und da liegt der unmittelbare persönliche Nutzen für die Arbeitnehmer, schärft der Diskurs auch die eigenen Vorstellungen. Oder deutlicher ausgedrückt: Streiten macht uns besser. Und damit auch besser gerüstet für alle höheren Aufgaben, die vielleicht noch kommen mögen.
Zudem hat die Schleimer-Strategie noch andere Nachteile - etwa die Auswirkungen auf den Rest der Belegschaft. In einer repräsentativen Umfrage des Hamburger Gewis-Instituts, einer Einrichtung für Sozialforschung, vor ein paar Jahren gaben 77 Prozent der Befragten an, sie würden sich durch Opportunisten und Schleimer im Job "gestresst" fühlen. Kein anderes Ärgernis wurde häufiger genannt. Nicht einmal launische oder inkompetente Chefs wurde als so störend empfunden. Man muss wohl davon ausgehen, dass dieser Stress nicht nur damit zu tun hat, dass viele Menschen die Schleimer in ihrer Umgebung nervig finden - sondern auch damit, dass deren Taktik nur allzu häufig funktioniert. Das führt, Variante eins, zu Frustration, schlechterer Leistung, im schlimmsten Fall zur emotionalen Abkoppelung von der Firma: zur inneren Kündigung, wie Experten das nennen. Oder, zweite Möglichkeit, die anderen Mitarbeiter nehmen sich die Schleimer zum Vorbild und gehören fortan auch zur Gruppe der Rückgratlosen, die somit immer stärker die Kultur in der Firma prägen.