Bildung und Integration:Janoschs Deutschstunde

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Wenn die Mama Mitschülerin ist: In der Berliner Heinrich-Seidel-Schule gehen fremdsprachige Eltern zusammen mit ihren Kindern in den Unterricht - um Deutsch zu lernen.

Titus Arnu

Auf dem Schultisch liegen Bleistifte, Hefte mit Schutzumschlägen, Arbeitsblätter und Mäppchen. Es sieht hier aus wie in einer Grundschule, es hört sich an nach Grundschule, es riecht sogar nach Grundschule - dieser Duft nach Kreidestaub, Schwamm und Holzbänken. An den Tischen sitzen aber zehn erwachsene Frauen zwischen 25 und 35Jahren mit ihrer jungen Lehrerin Tanja Meier.

Deutschkurs an der Heinrich-Seidel-Grundschule: Auf dem Lehrplan steht "Oh, wie schön ist Panama". (Foto: Foto: Arnu)

Die Frauen drücken in dem Klassenzimmer der Heinrich-Seidel-Grundschule im Berliner Stadtteil Gesundbrunnen regelmäßig die Schulbank. Viermal in der Woche gehen die Mütter in die Schule, zeitgleich mit ihren Kindern. An zwei Vormittagen lernen die Frauen in der Elternklasse mit Tanja Meier Deutsch, dienstags haben sie zusammen mit den Kindern Unterricht, und an einem anderen Tag steht ein Computerkurs auf dem Programm.

Sich gemeinsam mit der Sprache beschäftigen

Deutschkurse für Eltern mit Migrationshintergrund bieten zum Beispiel auch die Berliner Volkshochschulen seit einigen Jahren an, aber der gemeinsame Unterricht für Erwachsene und Kinder ist eine relativ neue Idee. Das Pilotprojekt im Bezirk Gesundbrunnen startete vor zwei Jahren, mittlerweile gibt es ähnliche Projekte an fünf weiteren Schulen in Berlin.

Arbeitsgruppen gebildet. Mit Arbeitsblättern sollen sie sich den Text "Oh, wie schön ist Panama" von Janosch erschließen und die Verben vom Präsens in die Vergangenheit übertragen. Ihre Kinder, Erst- und Zweitklässler, lesen im Deutschunterricht gerade das gleiche Buch. "Die Mütter sollen sich mit dem Stoff ihrer Kinder beschäftigen", sagt Cornelia Flader, die Rektorin der Schule, "unser Ziel ist unter anderem, dass sie sich auch zu Hause miteinander mit der deutschen Sprache befassen."

Basteln, Ausflüge und Frühstück

Denn das ist nicht oft der Fall. 94 Prozent der Schüler an der Heinrich-Seidel-Schule haben ausländische Eltern. In vielen Familien sprechen die Eltern schlecht oder gar nicht Deutsch. Die mangelhafte Förderung durch die Eltern wirke sich auf das Leistungsniveau der Kinder aus, sagt Schulleiterin Cornelia Flader. Vor zwei Jahren kam die Idee an der Heinrich-Seidel-Schule auf, Mütter von Erst- und Zweitklässlern direkt anzusprechen, ob sie vielleicht Interesse an einem gemeinsamen Deutschunterricht mit ihren Kindern haben.

Beim Gemeinschaftsunterricht stehen nicht Grammatik und Vokabeln im Vordergrund, sondern Aktivitäten, die Kindern und Erwachsenen Spaß machen, etwa Basteln, Ausflüge und Frühstückszubereitung. Auf dem Stundenplan stehen auch Ausflüge ins Theater und in Museen, Stadtführungen im Brunnenviertel oder Spaziergänge im Park, bei denen Kinder und Erwachsene Pflanzennamen lernen. Dabei soll natürlich auch möglichst viel Deutsch geredet werden.

Auf der nächsten Seite: Was passiert, wenn sich herausstellt, dass eine Mutter Analphabetin ist.

Gut gelaunt und eifrig

Ibtissam M., die aus dem Libanon kommt und seit Anfang September die Grundschule besucht, macht gute Fortschritte. "In einem Jahr spreche ich vielleicht schon gut Deutsch", hofft sie. Ihr Kind finde es gut, dass sie in die Schule gehe. Nahed S., eine Ägypterin, ist ähnlich gut gelaunt und eifrig bei der Sache. Die Frauen, die bei Tanja Meier im Unterricht sitzen, sind hoch motiviert, sie haben sich ja schließlich auch freiwillig für die Elternklasse angemeldet, weil sie möglichst schnell und gut Deutsch lernen wollen.

Das Angebot ist für die Mütter kostenlos. Der Senat unterstützt das Projekt mit 18.000 Euro im Jahr. Eltern mit Migrationshintergrund können sich zum Schuljahresbeginn einfach anmelden. In einem Eingangstest werden die Mütter eingestuft. Wenn sich dabei herausstellt, dass sie Analphabeten sind, müssen sie in einem anderen Kurs erst einmal lesen und schreiben lernen.

Es sei oft nötig, ganz grundlegende Dinge zu klären, bevor man überhaupt mit dem Vermitteln von Wissen anfangen könne, sagt Cornelia Flader. Im gemeinschaftlichen Unterricht mit den Kindern erfahren die Eltern etwas über die Lerninhalte und Unterrichtsmethoden in Berliner Grundschulen. Was bedeutet Anwesenheitspflicht? Was gehört in eine Schultasche? Wozu braucht man Kinderbücher?

Das Eltern-Projekt habe schon jetzt einige positive Effekte auf den Schulalltag, sagt Direktorin Flader: "Viele Eltern haben dadurch erst ein Interesse daran entwickelt, was an unserer Schule inhaltlich passiert." Der Umgang mit den Hausaufgaben habe sich ebenfalls gebessert, da die Eltern mehr kontrollieren. "Eine gute Zusammenarbeit zwischen Elternhaus und Schule ist der Schlüssel für den Lernerfolg der Kinder" lobt der Berliner Bildungssenator Jürgen Zöllner.

Zu große Nähe vermeiden

Aber wie ist das für die Kinder, wenn die Mama plötzlich eine Mitschülerin ist? "Die Kinder hingen anfangs sehr an ihren Müttern und wollten am liebsten neben ihnen sitzen", erzählt Cornelia Flader, "wir haben sie dann auseinandergesetzt, damit sie nicht in die Muttersprache wechseln." Um allzu große Nähe zu vermeiden, sehen sich Mütter und Kinder nur an einem Vormittag.

Zum Schluss der Schulstunde, als die Mütter das Arbeitsblatt bearbeitet und noch einmal laut gelesen haben, gibt Tanja Meier die Hausaufgaben auf. Die Frauen sollen ihren Kindern ein paar Seiten aus "Oh, wie schön ist Panama" vorlesen. Und die Hausaufgabe für die Kinder lautet an diesem Tag: Den Eltern vorlesen, auch aus dem Buch "Oh, wie schön ist Panama".

© SZ vom 21.11.2008 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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