Begabtenförderung:Klub der klugen Köpfe

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Für hochintelligente Kinder und Jugendliche gibt es spezielle Internate. Ob es für sie besser ist, unter sich zu bleiben oder mit normal Begabten in die Schule zu gehen, hängt vom jeweiligen Fall ab.

Von Christine Demmer

Wenn zum Beispiel ein Elfjähriger in der Schule den großen Schweiger, den Klassenkasper oder den Hau-drauf-und-Schluss-Typen gibt und am Ende des Schuljahres mit einem grottenschlechten Zeugnis nach Hause kommt, dann kann das auf zweierlei hindeuten. Entweder ist der Junge dem Unterricht nicht gewachsen und braucht besondere Förderung. Oder er ist weitaus schlauer, als es seine Noten ausdrücken. Auch dann braucht das Kind besondere Förderung. In welche Richtung es gehen sollte, zeigt ein Intelligenztest. "Der ist frühestens im Grundschulalter sinnvoll", warnt Michael Knöthig, Schulleiter des Leonardo-da-Vinci-Gymnasiums in Neckargemünd (Baden-Württemberg), Eltern vor überzogenen Hoffnungen. Mit elf ist Guido dafür schon reif genug. Von Klasse fünf an sowie einem Intelligenzquotienten von 130 stünde ihm das auf Mint-Fächer ausgerichtete Begabtengymnasium für Internats- und Tagesschüler offen. MINT steht für Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik. Der große Vorteil: Guido brauchte sich nicht mehr zu verstecken. Alle Schüler, die hier lernen und wohnen, haben solch ein helles Köpfchen. Die Frage ist nur: Heben sie dann nicht vollends ab?

Die Kinder gucken nicht wie "trübe Fische". Sie sind voller Eifer, das gefällt den Lehrern

Das Schwierige, aber auch das Wunderbare an ungewöhnlichen Kindern ist die Abweichung vom Mittelmaß. Darin wenigstens sind sich die Befürworter und die Gegner von reinen Hochbegabten-Internaten einig. Ansonsten gehen die Meinungen auseinander. "Manchmal ist es gut, wenn Hochbegabte unter sich sind und feststellen, dass es andere Menschen gibt, die wie sie sind", beschreibt Schulleiter Knöthig einen Knackpunkt. "Aber manchmal ist die gemeinsame Arbeit mit Normalbegabten besser. Es kommt auf die Person an." Auf die des Kindes - nicht auf die Persönlichkeiten seiner Erziehungsberechtigten.

Und doch appellieren viele Internate unverhohlen an den Ehrgeiz der Eltern, indem sie sich im Untertitel als "Internat für Hochbegabte" präsentieren. In Wirklichkeit heißt das oft: dafür auch. Sechs Schulen des Christlichen Jugenddorfwerks Deutschlands (CJD) haben ein Hochbegabungsprofil, fünf davon sind Internate, von denen in dreien sportliche Talente gefördert werden. Bleiben zwei Internate, in denen Schnelldenker neben Durchschnittsdenkern lernen. Auch Mario Lehmann, Schulleiter von Schloss Torgelow in Mecklenburg-Vorpommern ist aus pädagogischen Gründen für Inklusion: "Lauter Hochbegabte in einem Raum ist eine explosive Mischung." Die 250 Kinder in Schloss Torgelow werden von 44 Lehrern in kleinen Klassen unterrichtet, in den normalen Schulfächern und in circa 70 außerschulischen Angeboten wie Roboterbau, Fremdsprachen, Gedächtnistraining und Kochkursen. Begabte Kinder wollten Abwechslung, beteuert der Schulleiter.

Die Aufnahme hänge nicht von Intelligenztests ab. "Wir suchen Schüler, die gerne zur Schule gehen und lernen möchten", sagt Lehmann. "Die Note ist für uns nur ein Indikator, ob ein Kind breit interessiert ist." Später rückt Lehmann zurecht: Kinder mit Notendurchschnitt von Drei nehme man nicht auf. "Weil wir schneller sind als die öffentliche Schule und keinen überfordern möchten", sagt Lehmann. "Wenn ein Kind mäßige Noten hat, aber die Eltern eine Bescheinigung vorlegen, dass ihr Kind einen IQ von mindestens 130 hat, dann machen wir auch eine Ausnahme."

Im Internat Sankt Afra im sächsischen Meißen und in der Landesschule Pforta in Naumburg (Saale) in Sachsen-Anhalt sind entsprechende Werte die Regel. Für beide müssen die Schüler einen IQ von mindestens 130 mitbringen. Sankt Afra beginnt mit dem siebten Schuljahr, Pforta mit der Klassenstufe neun. Beide Internate sind staatlich, haben circa 300 Plätze, Dutzende von Lehrkräften, erschwingliche Gebühren von höchstens 350 Euro im Monat und mehr Bewerber als sie aufnehmen können. Deshalb gibt es strenge Auswahlverfahren, aber keine Einzelgespräche mit den Bewerbern. "Wir bemühen uns darum, den Prozess zu versachlichen", erklärt Jakob Polak, Lehrer in Meißen. Neben den Testergebnissen wertet Sankt Afra die Schulzeugnisse und ein Motivationsschreiben der Kinder und Jugendlichen aus. Auch die Landesschule Pforta mit Schwerpunkten in Naturwissenschaften, Fremdsprachen und Musik lässt Klausuren schreiben und prüft die Zeugnisse. "Wir erwarten in Fächern der inhaltlichen Schwerpunkte mindestens eine Zwei", sagt Schulleiter Thomas Schödel. "Das Zeugnis darf keine Vier aufweisen." Etwa einen Monat nach der Prüfung kommt ein Brief nach Hause: Aufgenommen, Warteliste oder Ablehnung. "Etwa zwei von drei Bewerbern werden aufgenommen", sagt Schödel, "wir entscheiden streng nach Leistungen." Drei Viertel der Schüler sind Mädchen.

In Sankt Afra können fachlich besonders begabte Schüler und Schülerinnen von der neunten Klasse an zum Frühstudium an der TU Dresden zugelassen werden. Trotzdem legen längst nicht alle das Abitur mit einer glatten Eins ab, sagt Jakob Polak. Das sei auch nicht das Ziel. Man wolle Menschen heranziehen, die sich ihrer selbst bewusst und allseitig gebildet sind und ihre Fähigkeiten nicht nur für sich selbst, sondern auch für andere einsetzen. In beiden Internaten wird mehr Stoff vermittelt als an anderen Schulen. "Übungsphasen sind für Hochbegabte oft langweilig und werden weggelassen", erklärt Sankt-Afra-Lehrer Polak. "Dadurch gewinnen wir Zeit für Vertiefungen." Schödel hebt den breit gefächerten Fremdsprachenunterricht in der Landesschule Pforta und die nachmittäglichen Arbeitsgemeinschaften hervor, in denen die Kinder und Jugendlichen ihren besonderen Interessen nachgehen könnten. Neben dem Kopf soll auch das Herz geformt werden. Alle Zehntklässler machen ein zweiwöchiges Sozialpraktikum.

Die außerschulischen Angebote in den beiden auf intellektuelle Leistung ausgerichteten Internaten erschöpfen sich im Wesentlichen in Sport, Bibliothek und Theater. Das darf angesichts der vergleichsweise geringen Schulgebühren und der Auflagen der Landesrechnungshöfe, von denen diese staatlichen Schulen geprüft werden, nicht erstaunen. Den Schülern scheint das jedoch nichts auszumachen. Wer hier zur Schule geht, will weder illustre Kontakte knüpfen noch die beim "High Tea" gebotenen Konversationsthemen verinnerlichen. Welche Konversation beim "High Tea" angemessen ist, lernt man nur in privaten Elite-Internaten.

Am meisten Freude bei der Arbeit mit schlauen jungen Menschen macht Jakob Polak das gespürte echte Interesse an der Sache: "Wenn die Schüler nicht gucken wie trübe Fische, sondern nachfragen, diskutieren und verstehen wollen." Und am wenigsten: "Wenn die Schüler beim Aufräumen immer alles ausdiskutieren wollen, anstatt einfach mal zu machen."

© SZ vom 10.03.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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