SZ-Leserin Britta M. fragt:
Eine Kollegin erzählte mir kürzlich beiläufig, sie habe sich bereits vor Monaten von ihrem Mann getrennt und werde demnächst von ihm geschieden. Ich war schockiert, denn wir arbeiten eng zusammen, und ich hatte nichts von ihrer schwierigen privaten Situation bemerkt. Daher meine Frage: Sollte man persönliche Krisen wie Beziehungsprobleme, Trennungen oder Liebeskummer am Arbeitsplatz grundsätzlich verschweigen? Oder muss man Kollegen zumindest ansatzweise einweihen?
Jan Schaumann antwortet:
Liebe Frau M., manchmal habe ich den Eindruck, viele Zeitgenossen interessieren sich eher für in den Medien ausgebreitete Trennungen von Prominenten als für Personen aus ihrem unmittelbaren Umfeld. Dieses vermeintliche Desinteresse an Mitmenschen führt häufig zu einer Art Isolationshaltung, aus der heraus sich viele ihren Nächsten immer weniger mitteilen - sei es aus Scham, aus Unsicherheit ob der möglichen Reaktion (oder eben Nicht-Reaktion) oder aus Angst vor eventuellen Konsequenzen, insbesondere im Job.
In Ihrem Fall arbeiten Sie mit Ihrer Kollegin sogar eng und vertrauensvoll zusammen, und Sie haben trotzdem nichts von deren persönlichen Situation mitbekommen. Daher sollten wir uns auch selbst immer wieder hinterfragen: Wann habe ich mich zuletzt wirklich für meine Kollegin interessiert, wann mit ihr persönliche Worte gewechselt und ihr zugehört? Und warum habe ich das eigentlich nicht getan?
Vielleicht lag es an den eigenen Sorgen, oder man hatte eben mit einem aktuellen Projekt so viel um die Ohren. Doch das sind eigentlich Ausreden, die wir vor uns selbst nicht gelten lassen sollten. Denn wir verbringen mit unseren Arbeitskollegen immerhin einen Großteil unserer Lebenszeit. Da muss also auch für persönliche Themen Platz sein. Und sei es nach Feierabend bei einem Gespräch im Café. Doch so ein Gespräch sollte der Betroffene selbst anstoßen. Tut er dies nicht, ist von den Kollegen Zurückhaltung gefragt.
Selbstverständlich hängt es vom Grad der persönlichen Bindung und der Vertraulichkeit ab, welche Informationen man anderen zuteil werden lässt. Schließlich möchten wir nicht Gefahr laufen, dass unsere Offenheit eines Tages ausgenutzt wird. Doch man muss ein Stück Vertrauen haben, denn für ein kollegiales Verhältnis gilt: Loyalität, Vertrauen und Respekt müssen unantastbar oberste Priorität genießen. Der Inhalt eines privaten wie beruflichen Gesprächs unter vier Augen sollte nie an dritte Personen weitergegeben werden. Es sei denn, man vereinbart etwas anderes.
Wie ein Vorgesetzter auf die Nachricht seines Mitarbeiters über eine persönliche Krisensituationen wie eine Trennung reagiert, lässt sich kaum voraussagen. In vielen Gesprächen mit Führungskräften in den vergangenen Jahren habe ich jedoch den Eindruck gewonnen, dass sich die Überzeugung durchsetzt, nur ein glücklicher Mitarbeiter sei ein motivierter und produktiver Mitarbeiter. Und wenn es einem Mitglied des Teams aus persönlichen Gründen nicht so gut geht, fährt ein Chef häufig besser damit, den Angestellten einige Tage aus beruflichen Verpflichtungen ausklinken zu lassen, als darauf zu pochen, dass er seine Arbeitszeit absitzt.
Wenn ein Vorgesetzter jedoch nicht über das eigentlich vorauszusetzende Maß an Fingerspitzengefühl verfügt, kann es hilfreich sein, dem betroffenen Kollegen oder der betroffenen Kollegin beizustehen und - das jeweilige Einverständnis vorausgesetzt - für sie das Gespräch mit dem Chef suchen. Denn nur Egoisten tragen ausschließlich für sich allein Verantwortung.
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