Amokläufe an Schulen:Durchsickern erhofft

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Tim K. war ein stiller und unauffälliger Junge - bis er in Winnenden zum Massenmörder wurde. Ein Forschungsprojekt soll nun Lehrern und Psychologen helfen, mögliche Amokläufer früher zu erkennen.

F. Holtermann

Hätte die Bluttat verhindert werden können? Auf diese Frage, die nach jedem Amoklauf auftaucht, versucht Herbert Scheithauer, Professor für Psychologie an der Freien Universität Berlin (FU), eine Antwort zu geben. Der Grundstein dafür ist zumindest finanziell gelegt: Das Bundesbildungsministerium fördert mit 1,2 Millionen Euro ein Forschungsprojekt Scheithauers; es ist vorerst auf drei Jahre ausgelegt und soll in 120 Schulen in Berlin, Brandenburg und Baden-Württemberg starten.

Der Tatort des Amoklaufes in Winnenden: Ein Forschungsprojekt will die Prävention verbessern. (Foto: Foto: dpa)

Scheithauer leitet als Juniorprofessor den Arbeitsbereich Entwicklungswissenschaft und Angewandte Entwicklungspsychologie an der FU. 2006 war an einzelnen Berliner Schulen sein " Leaking"- Pilotprojekt zur Früherkennung möglicher Amoktaten gestartet. Leaking bedeutet Durchsickern. Gemeint ist damit, dass ein Täter teilweise über Jahre hinweg versteckte Hinweise auf die geplante Tat gibt.

Ende der Ratlosigkeit

Hier setzt die Forschung an: Da nicht jede Gewaltankündigung eines pubertierenden Heranwachsenden darin münde, Lehrer und Mitschüler anzugreifen, gehe es darum, die relevanten Warnsignale herauszufiltern. "Die Atmosphäre einer Schule enthält Gewalt, sie ist schließlich Teil der Gesellschaft", sagt Scheithauer. Lehrer seien häufig mit Drohungen konfrontiert, aber überfordert, diese zu deuten. Außerdem würden vor allem stille und verschlossene Schüler unbeachtet bleiben. Und selbst Schulpsychologen seien bei diesem Thema oft verunsichert.

Diese Ratlosigkeit soll an den 120 beteiligten Schulen beendet werden: Die Lehrer werden geschult, um über soziale Netzwerke - die Mitschüler etwa - Warnsignale überhaupt zu erkennen. Ferner wird an jeder Schule ein Beauftragter ernannt, an den sich Pädagogen wie Schüler wenden können und der Kontakt zu Schulpsychologen und zur Polizei hält. "Bisher wurde über das Problem oft geschwiegen, das wollen wir ändern", sagt Scheithauer. Am Ende könnte ein Konzept stehen, das jede Schule in Deutschland anwenden kann. Ein Notfall-Ordner, der im Rektorat verstaubt, reiche nicht aus.

© SZ vom 31.8.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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