Albtraum Bewerbung:Entlarvt und entnervt

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Stressinterviews, Psychotests und rüpelhafte Personalchefs: Das Gefühl, unter Verdacht zu stehen, macht Jobsuchenden zu schaffen.

Isa Hoffinger

Drei Männer und eine Frau sind zum Vorstellungsgespräch eingeladen. Sie warten in einem leeren Raum. Plötzlich flattern Briefe mit Prüfungsaufgaben durch einen Schlitz in der Wand. Die Bewerber sollen sich überlegen, wer von ihnen bei einem Flugzeugabsturz den einzigen Fallschirm bekäme. Und ob sie jemanden einstellen würden, der eine Geschlechtsumwandlung hinter sich hat. Dann sollen sie sich mit fiesen Psychotricks gegenseitig ausschalten.

Bewerber unter Beschuss: Sinnloser Psychostress und Rollenspiele stehen in Assessment- Centern auf der Tagesordnung. (Foto: Foto: iStock, Montage: sueddeutsche.de)

Was der Zuschauer des Theaterstücks "Die Grönholm-Methode" von Jordi Galceran in diesem Moment noch nicht weiß: Drei der vier Personen sind gar keine Bewerber, sondern Psychologen. Im Auftrag der Personalabteilung testen sie die Belastbarkeit des einzigen Kandidaten. Warum das Stück an vielen Bühnen Erfolg hat, kann sich wohl jeder denken, der schon mal längere Zeit auf Jobsuche war und dabei vielleicht selbst das Gefühl hatte, im falschen Film zu sein. Denn so unrealistisch ist das, was Galceran erzählt, leider nicht.

"Noch vor kurzem waren Outdoor-Assessment-Center beliebt", sagt Steffen Westermann vom Berliner Büro für Berufsstrategie Hesse/Schrader. "Dort sollen die Bewerber im Wald Laubhütten bauen oder müssen in einem Hindernisparcours gegeneinander antreten." Wie schlimm solche Härtetests sein können, weiß Michael Berger. Der 44-Jährige, der seinen richtigen Namen nicht verraten möchte, hatte sich im Finanzdienstleistungssektor auf einen Führungsjob beworben und nahm an einem Assessment-Center im Harz teil. "Eine Übung", erzählt er, "bestand darin, gemeinsam nach Essbarem zu suchen. Ein Mitbewerber, der länger in Asien gelebt hat, kam irgendwann auf die Idee, Insekten zu grillen." Gegessen habe die zwar keiner, aber ein bisschen habe ihn das Ganze schon an das TV-Dschungel-Camp erinnert.

Teamwork oder Führungsqualitäten

"Das Unangenehme an solchen Gruppensituationen ist, dass die Bewerber oft nicht wissen, warum sie bestimmte Tests oder Rollenspiele absolvieren sollen", sagt Steffen Westermann. Ob Teamarbeit gefragt ist oder ob man Durchsetzungsvermögen unter Beweis stellen soll, erklärt ihnen niemand. Dadurch wird, eigentlich ohne Not, mehr Stress erzeugt als bei Gesprächen unter vier oder sechs Augen. "Wenn einem die Prüfungen fragwürdig erscheinen, muss man sich gut überlegen, ob man sich für einen Job etwa mit Schlamm bespritzen lassen möchte oder nicht."

Assessment-Center sind kostspielig. Zwischen 75000 und 200000 Euro kann das Recruiting für eine freie Stelle im Management kosten. Bei der Besetzung von Stellen auf unteren Ebenen werden eher klassische Bewerbungsverfahren bevorzugt. Doch auch hier spielen sich Szenen ab, die so manchen Bewerber an absurdes Theater oder an Fernsehsendungen wie "Verstehen Sie Spaß?" erinnern.

Melanie Manz hatte jedenfalls das Gefühl, "dass irgendwo eine Kamera versteckt ist", als sie sich mit ihrem potentiellen neuen Chef zum Mittagessen traf. Die 36-jährige Redakteurin, die anonym bleiben möchte, hatte per E-Mail eine Initiativbewerbung an einen Hamburger Verlag geschickt. Sie wollte bei einem neuen Magazin arbeiten. "Eine Woche später rief mich der leitende Redakteur an und sagte, er würde mich gern kennenlernen". Melanie Manz, die damals in München lebte, nahm das Angebot wahr und buchte auf eigene Rechnung einen Flug nach Hamburg. "Das Gespräch war nett, und ich bekam sogar eine mündliche Zusage für eine Stelle, die neu geschaffen werden sollte. Als ich mich zwei Wochen später telefonisch nach dem Stand der Dinge erkundigen wollte, sagte mir der Chef, er bräuchte noch etwas Zeit, würde aber gern abends mal mit mir essen gehen oder mir bei einem Stadtbummel Hamburg zeigen." Der Job, von dem die Rede war, wurde nie frei.

Auf der nächsten Seite: Warum sich Vorgesetzte wirklich die Zeit für solche Verabredungen oder für Kennenlern-Tage nehmen.

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"Verantwortungsvolle Tätigkeit in motiviertem Umfeld"

"Die Grönholm-Methode": Vier Bewerber warten im Besprechungszimmer auf ihr Abschluss-gespräch und merken nicht, dass das Auswahlverfahren längst begonnen hat. (Foto: Foto: oH)

Nicht jeder, der sich initiativ bewirbt und dann zu einem Treffen in ein Restaurant eingeladen wird, muss mit Hintergedanken des Chefs rechnen. Wenn man aber ein zweites oder gar drittes Mal eine Unterhaltung mit seinem Wunscharbeitgeber führt, ohne dass dabei ein Job herausspringt, ist das ziemlich frustrierend. Warum sich Vorgesetzte überhaupt die Zeit für solche Verabredungen oder für Kennenlern-Tage nehmen, die derzeit immer öfter angeboten werden, ist nicht so leicht zu erklären.

"Oft stehen die genauen Aufgaben für einen neuen Mitarbeiter noch gar nicht fest, wenn eine Firma mit der Suche beginnt", sagt Daniela König, Geschäftsführerin der Managementberatung Mühlenhoff & Partner. "Vor allem mittelständische Firmen sondieren erst mal, welche Bewerber mit welchen Qualifikationen sie zu welchem Gehalt bekommen können. Je nachdem, was sie einem Kandidaten zutrauen, wird das Aufgabengebiet dann genauer eingegrenzt, wenn jemand bereits in der engeren Wahl ist." Vor diesem Hintergrund ist es kein Wunder, dass manche Anzeigen, in denen von einer "verantwortungsvollen Tätigkeit in einem motivierten Umfeld" die Rede ist, irgendwie klingen, als wüsste die Personalabteilung selbst nicht genau, wen sie eigentlich sucht.

Zermürbend können für Jobsuchende auch bürokratische Hürden sein, die viele Firmen trotz der Beschleunigung durch Online-Bewerbungen immer noch bremsen. "Einige Unternehmen verfügen nicht gerade über ein ausgefeiltes Personalmanagement", sagt Steffen Westermann. Erkrankt beispielsweise ein Sachbearbeiter, der für eine vakante Stelle zuständig ist, übernehmen Kollegen die Bearbeitung, die möglicherweise nicht richtig über das Profil des Jobs informiert wurden. So manche Mappe von geeigneten Bewerbern landet dann schon mal im Papierkorb. In großen Firmen kann es vorkommen, dass die Unterlagen sogar mehrere Jahre im Giftschrank liegen und ein Kandidat dann plötzlich einen Anruf bekommt und gefragt wird, ob er noch interessiert sei.

Unter Verdacht

Für manche bürokratischen Abläufe gibt es gute Gründe. Etwa für die Bitte an Bewerber, ihre Unterlagen in dreifacher Form einzureichen oder Formblätter handschriftlich auszufüllen. "Wenn Bewerber, die einen geschönten Lebenslauf vorlegen, die gleichen Angaben noch mal auf standardisierten Formularen machen müssen, schleichen sich schnell Ungereimtheiten ein", sagt Westermann. "So kann man Hochstapler leicht entlarven." Das Gefühl, per se unter Verdacht zu stehen, ein Betrüger zu sein, ist unangenehm. Nicht nur Langzeitbewerber, die vielleicht schon mehr als ein Jahr einen Job suchen und deren Selbstwertgefühl am Boden ist, schlittern leicht in eine Depression. Dass immer nur einer von vielen Kandidaten einen Job bekommen kann, ist da ein schwacher Trost. Bewerber sind fast nie in einer komfortablen Situation. Umso schlimmer ist, wenn sie auch noch mit rüpelhaftem Gebaren von Personalchefs, Stressinterviews oder perfiden Psychotests konfrontiert werden.

Um Arbeitgebern den Spiegel vorzuhalten, haben Thomas Klauck und Katrin Lehnert aus Berlin die "Absageagentur" gegründet. Bewerber können selbst Absagen formulieren und ins Internet stellen. "Mit bitterer Überraschung", schreibt dort ein Bewerber an das Goethe-Institut, "habe ich Ihre Glückwünsche zum Erreichen der zweiten Stufe im Auswahlverfahren um das Trainee-Programm zur Kenntnis genommen. In der ersten Stufe, der Online-Bewerbung, gab ich unter Qualifikation an, dass ich viel Alkohol vertrage. Als Referenzen nannte ich Guido Westerwelle und Roman Herzog. Daraus kann ich nur folgende Schlüsse ziehen: Sie haben sich meine Bewerbung gar nicht richtig angesehen. Es kommt Ihnen nur auf die Form, nicht aber auf den Inhalt an." Der frustrierte Bewerber schließt mit dem Gruß: "Unter Berücksichtigung dieser Aspekte bleibt mir nichts anderes übrig, als Ihnen eine Absage zu erteilen. Für Ihre Zukunft wünsche ich Ihnen alles Gute."

© SZ vom 27.09.2008/gut - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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