Xenotransplantation:Das Tier im Menschen

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Wenn es nicht genügend Organspender gibt, könnten eigens dafür gezüchtete Schweine in Zukunft helfen. (Foto: picture-alliance / BSIP/DUVAL)
  • Das Forschungsgebiet der Xenotransplantation beschäftigt sich mit der Übertragung tierischer Zellen und Zellverbände auf den Menschen.
  • Beim Gesundheitsforum der Süddeutschen Zeitung wurde kontrovers über die Technologie diskutiert.
  • Unter anderem müssen das Patientenwohl und das Tierleid gegeneinander abgewogen werden. Im Vergleich zur Lebensmittelproduktion ist die Anzahl der Tiere, die für die Erforschung von Organspenden getötet werden, aber sehr gering.

Von Thomas Jordan

Ein schwer kranker Patient lässt sich das Herz eines Schweins einpflanzen - und kann dadurch weiterleben. Was wie eine Szene aus einem Science-Fiction-Film klingt, könnte in absehbarer Zeit Realität werden: Ein Sonderforschungsprojekt der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) hat in den vergangenen Jahren große Fortschritte auf dem Weg zur Xenotransplantation gemacht, der Übertragung tierischer Zellen und Zellverbände auf den Menschen. Über die Chancen und Risiken dieses medizinischen Verfahrens diskutierten fünf Experten zusammen mit Teilnehmern einer Bürgerkonferenz und Zuhörern beim Gesundheitsforum der Süddeutschen Zeitung.

In Deutschland warten knapp 10 000 Menschen auf ein lebenswichtiges Organ wie Herz oder Niere. Demgegenüber standen im Jahr 2018 gerade einmal 955 Organspender. Von einem "großen Bedarf, Ansätze zu entwickeln, um den Organmangel zu verringern", sprach Georg Marckmann an diesem Abend im Presseclub München. Dabei machte der Vorstand des Instituts für Ethik, Geschichte und Theorie der Medizin an der Universität München deutlich, dass mit der Xenotransplantation neben medizinischen auch eine Reihe von ethischen Fragen aufgeworfen werden. Etwa die Abwägung von Patientennutzen und Tierwohl oder die Frage, welche Auswirkung ein tierisches Organ im Menschen auf das menschliche Selbstbild hat. "Wir brauchen einen gesellschaftlichen Diskurs über solche Themen", forderte Marckmann.

Wie dieser aussehen kann, erklärte der Soziologe Johannes Kögel. Er stellte die Bürgerkonferenz vor, ein Verfahren, mit dem gesellschaftspolitische Streitfragen aus möglichst vielen unterschiedlichen Blickwinkeln diskutiert werden können. Das Bürgervotum, das dabei am Ende zustande kommt, kann als "Entscheidungshilfe und Beitrag zum öffentlichen Diskurs" dienen, wie Kögel sagte. In Dänemark gibt es solche Bürgervoten seit dem Jahr 1987. Angestoßen von der dänischen Behörde für Technikfolgen-Abschätzung haben Laien dort ihre Perspektive auf Themen wie Gentechnologie oder Telearbeit in die Öffentlichkeit getragen und damit ein Stimmungsbild für die Entscheidungsträger in der Politik geliefert.

Die Chancen seien es wert, die Risiken einzugehen, befand die Bürgerkonferenz

Auch in der Frage der Tier-Mensch-Transplantationen hatten sich der Medizinethiker Marckmann und sein Team für ein solches Verfahren entschieden. Bei der Münchner Variante der Bürgerkonferenz haben 18 per Los ausgewählte Männer und Frauen im Alter von 19 bis 69 Jahren im Frühjahr 2019 an drei Wochenenden diskutiert. Beim Gesundheitsforum der Süddeutschen Zeitung präsentierten sie ihr abschließendes Votum zur Xenotransplantation: Mehrheitlich sprechen sich die Bürger dafür aus, heißt es in der schriftlichen Stellungnahme, "dass die Chancen es wert sind, die Risiken einzugehen".

Das entscheidende Argument ist dabei aus Sicht der Teilnehmer, die sich im Laufe der Bürgerkonferenz im Gespräch mit zehn Experten informierten, darunter auch die "Ärzte gegen Tierversuche", die "Lebenserhaltung und Heilung". Sie habe existenzielle Bedeutung für den Menschen, sagte Julia Graf, eine der Teilnehmerinnen. "Wir haben im Laufe der Bürgerkonferenz erkannt, dass wir angesichts des Leids von Menschen dem nicht vom Katheder herab einen Riegel vorschieben können", ergänzte Knut Hüneke, ein weiterer Teilnehmer. So starben im Jahr 2017 1251 Patienten, die ein dringend benötigtes Organ nicht bekommen hatten.

Allerdings ist die Zustimmung der Bürgerkonferenz zur Xenotransplantation an eine Reihe von Bedingungen geknüpft. So forderte Graf im Namen aller, dass eine zukünftige Verteilung tierischer Organe auf Patienten "einer neutralen, staatlich kontrollierten Institution" obliegen müsse. Damit soll verhindert werden, dass nichtmedizinische Faktoren, wie Einkommen oder Herkunft bei dem Eingriff eine Rolle spielen. Karin Gräbe, eine weitere Teilnehmerin, verwies auf die Notwendigkeit weiterer Forschung zu möglichen Nebenwirkungen von Xenotransplantationen für den Menschen. So wird etwa die Gefahr von Zoonosen, also vom Tier auf den Menschen übertragenen Infektionen, zwar gegenwärtig als gering eingeschätzt, kann aber wissenschaftlich nicht ausgeschlossen werden.

Dass bei der Bürgerkonferenz lebhaft und kontrovers diskutiert wurde, machte der Teilnehmer Marius Zeeb mit Blick auf die Formulierung des gemeinsamen Bürgervotums deutlich: "Wir haben um einzelne Worte gerungen", sagte der Biotechnologie-Student, der während des dreimonatigen Diskussionsprozesses selbst zwischen Zustimmung und Ablehnung geschwankt hatte. Er verstehe sich eigentlich als Tierschützer, sagte Zeeb, aber er sehe als Biotechnologe auch die Vorteile der Xenotransplantation.

Auch das Publikum wollte an diesem Abend mehr zu der Abwägung zwischen Patientenwohl und möglichem Tierleid wissen. Etwa zu den Bedingungen, unter denen die Tiere gehalten werden, die dann als Spender von Zellen oder Organen dienen. Wie der Tiergenetiker Eckhard Wolf von der Universität München erklärte, sind die für Xenotransplantationen gezüchtete Schweine genetisch verändert und erhalten speziell behandeltes Futter. Etwa 50 Prozent dieser Schweine werden gegenwärtig nicht gebraucht - und daher getötet. Im Vergleich zur Lebensmittelgewinnung, bei der jedes Jahr Millionen Schweine geschlachtet werden, handle es sich dabei aber um die Größenordnung von einem Dutzend jährlich, sagte Wolf, der Sprecher des Sonderforschungsbereichs Xenotranplantation.

Es gebe kein Lebewesen, das nicht auf Kosten eines anderen lebe, sagte der Moraltheologe Jochen Sautermeister von der Universität Bonn. Es sei eine Frage der gesellschaftlichen Akzeptanz, ob man Nutztiere halten wolle, was eben auch den Tod der Tiere beinhalten könne. "Wenn wir das gesellschaftlich akzeptieren, dann ist es inkonsequent, es nicht auch bei der Xenotransplantation so zu machen", fügte Sautermeister hinzu.

Für ihn sei wichtig, dass Menschen nicht nur länger, sondern auch besser leben, sagte der Chirurg Bruno Reichart. Bei den Alternativen zur Übertragung tierischer Organe sieht der Herzspezialist viele Probleme. Dass derzeit dreimal mehr künstliche Herzunterstützungssysteme eingebaut werden als Herzen verpflanzt, geschehe "aus Verzweiflung" über den Mangel an Organspendern, sagte Reichart. Dabei sei die Komplikationsrate nach dem Einsetzen von Kunstherzen sehr hoch, insbesondere das Risiko für Infektionen und Hirnembolien. Reichart sagte, er gehe davon aus, dass Patienten, denen tierische Organe übertragen werden, dagegen "gut und sehr lange" weiterleben könnten. Paviane, denen die Herzen gentechnisch veränderter Schweine eingesetzt wurden, haben bereits bis zu 180 Tage überlebt. Wenn sich diese Überlebenszeiten in Serie wiederholen lassen, halten es laut dem Medizinethiker Marckmann Experten für vertretbar, eine Anwendung am Menschen zu planen.

In dem Maße, in dem die Forschung vom Labor immer näher an das Krankenbett rückt, werden Fragen nach den Auswirkungen dieser Eingriffe lauter. So wurde an diesem Abend auch darüber diskutiert, was es für die menschliche Identität bedeutet, mit einem Tierherzen zu leben. Die Teilnehmer der Bürgerkonferenz betonten, wie wichtig die psychologische Unterstützung der Patienten sein werde. Auch für den Moraltheologen Sautermeister ist es entscheidend, die Übertragung eines Tierorgans mit der individuellen Lebensgeschichte der Patienten in Einklang zu bringen.

© SZ vom 31.05.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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