Umstrittene Arthrose-Therapie:Juristische Drohgebärden statt wissenschaftlicher Argumente

Lesezeit: 5 min

Doch Anfang November bekamen die 16 Fachleute erneut Post: Diesmal schickte ihnen der Rechtsanwalt Klaus Wehling, Bruder des Orthogen-Erfinders Peter Wehling und ebenfalls Orthogen-Vorstand, persönlich einen Brief: Die OLS habe gegen das BGH-Urteil Verfassungsbeschwerde eingelegt. Deshalb sollten die Fachleute dafür "Sorge tragen, dass die Meldung aus dem Internetangebot der DGRh umgehend entfernt wird".

Kurz darauf teilte Klaus Wehling den Betroffenen mit, OLS habe bei mehreren Landgerichten neue Klagen gegen sie und nun auch gegen die DGRh eingereicht. "Unanständig" finde er dieses Gebaren, sagt der Erstautor der Orthokin-kritischen Stellungnahme, Stefan Rehart von der Klinik für Orthopädie am Agaplesion-Markus-Krankenhaus in Frankfurt. Wolfgang Becker-Brüser sagt: "Es ist nicht akzeptabel, dass Fachleute mundtot gemacht werden, indem man sie mit Rechtsstreitigkeiten überzieht." Hier werde versucht, das Nichtvorhandensein wissenschaftlicher Argumente "durch juristische Drohgebärden wettzumachen".

Von einer überzogenen Reaktion will Orthogen-Vorstand Klaus Wehling nichts wissen: "Selbstverständlich tolerieren wir unabhängige Meinungen Dritter zur Wirksamkeit der von uns vertriebenen Therapie, wenn die Grundannahmen stimmen", teilt er auf Anfrage mit. Letzteres sei hier aber nicht der Fall. So unterschlägt die DGRh nach Wehlings Meinung Studien, die die Wirksamkeit und Sicherheit der Orthokin-Behandlung sehr wohl belegt hätten.

Wenn das so ist, warum gaben die Gerichte bisher immer den DGRh-Fachleuten recht? "Uns ist sehr wohl bewusst, dass unser rechtliches Vorgehen den Eindruck erwecken kann, wir wären Querulanten und könnten nicht damit umgehen, dass die Gesellschaft eine andere Meinung von der Therapie hat. Aber dieser Eindruck wäre falsch", sagt Klaus Wehling. Die DGRh wiederum will sich nicht beirren lassen: "Wir haben ein rechtskräftiges Urteil und können es nicht hinnehmen, weiterhin mundtot gemacht zu werden", sagt DGRh-Generalsekretärin Julia Rautenstrauch.

Stellungnahme mit geschwärzten Stellen

Rein vorsorglich habe die DGRh im Internet zwei Aussagen in der Stellungnahme geschwärzt. Sie wolle aber weiterhin Patienten darauf aufmerksam machen, "dass der Nutzen der Orthokin-Therapie nicht nachgewiesen ist und diese Therapie nicht zu rechtfertigende Risiken birgt". Bald will die DGRh mit einer aktualisierten Stellungnahme nachlegen. Darin werden dann auch die neuesten Studien zu Orthokin kritisch geprüft.

Insgesamt, so Rautenstrauch, gebe es ohnehin zu wenige öffentliche Stellungnahmen von Fachleuten zu Therapien. Tatsächlich wagen Fachgesellschaften selten deutliche Worte. So warnte die Deutsche Gesellschaft für Neurologie im April vor Gefäßeingriffen bei Multipler Sklerose. Das Kompetenznetzwerk Stammzellforschung NRW prangerte im Februar 2010 Therapien mit körpereigenen Stammzellen gegen Krankheiten wie Alzheimer und Parkinson als Geldmache an.

Sollte das Orthokin-Beispiel Schule machen, könnten sich Fachgesellschaften noch seltener zu Stellungnahmen durchringen. Dabei sind solche Bewertungen für Betroffene wichtig. "Die Patienten erfahren über Jahre keine Kritik an so einem Verfahren, wenn der Anbieter damit so viel Geld verdient, dass er durch so viele Instanzen gehen kann", sagt Rautenstrauch.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema