Schmerztherapie:Gericht erlaubt Schwerkranken Cannabis-Anbau

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Schwerkranke dürfen in Einzelfällen Cannabispflanzen für medizinische Zwecke anbauen, urteilt ein Kölner Gericht - das Urteil ist ein großer Erfolg für Schmerzpatienten. Wie gut Marihuana gegen Beschwerden wirkt, ist jedoch noch unklar.

  • In Einzelfällen ist der Eigenanbau von Cannabispflanzen zu therapeutischen Zwecken nach einem Urteil des Verwaltungsgerichts Köln möglich
  • Von diesem Urteil könnten chronisch kranke Patienten profitieren, denen außer der Droge Cannabis nichts gegen ihre Schmerzen hilft
  • Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte fürchtet große Risiken durch einen Eigenanbau der Droge
  • Wie gut die Inhaltsstoffe von Cannabispflanzen gegen Schmerzen wirken und welche Nebenwirkungen es gibt, ist noch unzureichend untersucht

Bei chronischen Schmerzen ist ein Anbau von Cannabis im Ausnahmefall möglich

Der Eigenanbau von Cannabis zu therapeutischen Zwecken kann in Einzelfällen und nach eingehender Prüfung genehmigt werden. Das Kölner Verwaltungsgericht kam damit am Dienstag in weiten Teilen der Forderung von drei Klägern nach. Bei zwei weiteren Klägern lehnte das Gericht jedoch den Antrag auf Eigenanbau ab, unter anderem, weil noch nicht alle zumutbaren Behandlungsalternativen ausgeschöpft seien.

Alle fünf Kläger leiden unter chronischen Schmerzen und besitzen eine Erlaubnis zum Erwerb und therapeutischen Konsum von Cannabisblüten. Aufgrund der hohen Kosten von monatlich bis zu 1000 Euro - die Krankenversicherungen übernehmen die Kosten nicht - beantragten die Betroffenen beim zuständigen Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte die Zulassung auf den Anbau eigener Hanfpflanzen in ihren Wohnungen. Das lehnte das Bundesinstitut jedoch ab.

Das Gericht urteilte hingegen, dass drei Klägern die Genehmigung erteilt werden kann. Dabei wurde berücksichtigt, dass bei ihrer Wohnsituation die sichere Voraussetzung gegeben sei, dass nicht Dritte an die Pflanzen und Produkte gelangen können. Die genauen Modalitäten des Anbaus könnten durch Auflagen geregelt werden, urteilte das Gericht.

Bei einem anderen Kläger lehnte das Gericht die Genehmigung auf Eigenanbau wegen der Wohnsituation ab. Hier könne nicht ausgeschlossen werden, dass Unbefugte Zugang haben, hieß es. Bei einem weiteren Kläger geht die Kammer davon aus, dass der Betroffene noch nicht alle zumutbaren therapeutischen Behandlungsalternativen ausgeschöpft hat. Auch in diesem Verfahren wurde die Klage abgewiesen.

Die Argumente der Befürworter

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Das Gericht hatte zu Verfahrensbeginn vor zwei Wochen klargestellt, der Staat dürfe chronisch Kranken den Cannabis-Zugang nicht generell verweigern. In engen Grenzen und Ausnahmefällen sei eine Erlaubnis zur Eigenherstellung möglich, sagte der Vorsitzende Richter, wenn dies das einzige Mittel sei, das Schmerzen lindere und wenn es keine Behandlungsalternative gebe. Die Frage streift nach seiner Einschätzung grundsätzlich die emotional geführte Debatte um eine Legalisierung bestimmter Drogen.

Eine solche Genehmigung gab es bisher in Deutschland einem Gerichtssprecher zufolge noch nicht. Der Anbau sei zwar verboten. Allerdings habe das Oberverwaltungsgericht in Münster erst im Juni entschieden, dass der Anbau zur Selbsttherapie im Einzelfall zulässig sei. Die Entscheidung darüber liege aber weiter bei der zuständigen Behörde, dem Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM).

Die Argumente der beklagten Behörde

Vertreter des beklagten Bundesinstituts sprachen von großen Risiken. Dass den Patienten Cannabis helfe, stehe außer Frage. Deshalb sei ihnen Erwerb und Konsum der Droge erlaubt worden. Es gehe aber nun um die Eigenproduktion großer Mengen von Betäubungsmitteln. Es sei möglich, dass sich die Kläger ein qualitativ fragwürdiges Arzneimittel herstellten. Unerwünschte Nebenwirkungen könnten auftreten, zudem sei der Anbau nicht mit internationalem Recht vereinbar.

Der Bonner Behörde zufolge müsste einer der Kläger etwa 25 Hanfpflanzen gleichzeitig anbauen, um seinen Monats-Bedarf von 100 Gramm Cannabis-Blüten zu decken. Die gelagerte Menge sei dann größer als der Bestand in einer Apotheke. Die Pflanzen wolle er im Schlafzimmer seiner Zwei-Zimmer-Wohnung züchten, das aber mit einem Türschloss vor Diebstahl nur unzureichend gesichert sei. Für jede Pflanze müsse der Mann einen Wehrschutzschrank anschaffen. Die strikten Vorgaben für einen gewerblichen Anbau müssten auch hier angewendet werden.

Die Krankengeschichte der Kläger

Die fünf Männer sind überwiegend im mittleren Alter. Zwei von ihnen haben Multiple Sklerose, zwei chronische Schmerzen und ein weiterer Kläger hat unter anderem ADHS. Alle haben eine lange Therapie hinter sich; nur Cannabis hilft ihnen, ihre Schmerzen in den Griff zu bekommen.

Bisher haben etwa 270 Menschen in Deutschland eine Genehmigung für den Erwerb in einer Apotheke erhalten. Medizinisches Marihuana ist in der Regel niedriger und gleichmäßiger dosiert als illegal erhältliches Cannabis. Die Droge gilt als die am häufigsten konsumierte illegale Substanz. Zugleich sollen die Inhaltsstoffe gegen Schmerzen, Übelkeit, Appetitlosigkeit und Spasmen helfen.

Medizinische Wirkungen von Marihuana

Vor allem die Inhaltsstoffe THC und Cannabidiol sollen für diese heilsamen Wirkungen verantwortlich sein. Große Vergleichsstudien über die Wirksamkeit sind jedoch rar. Als am besten belegt gilt die Wirkung gegen die Spastik von MS-Patienten. In der bislang größten Studie zeigte sich das auch in Deutschland zugelassene Nabiximols einem Placebo überlegen.

Die Wirkung gegen Schmerzen, dem zweiten großen Einsatzbereich, ist nur in kleineren Studien untersucht und erlaubt allenfalls Hinweise auf einen echten Nutzen. Da Cannabis in Deutschland dem Betäubungsmittelgesetz unterliegt, erschweren hierzulande hohe rechtliche Hürden und Genehmigungsverfahren die Erforschung des medizinischen Nutzens.

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