Mers in Südkorea:Der koreanische Patient

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Ein Theater in Seoul wird desinfiziert: Die Millionenstadt ist in Angst vor Mers. (Foto: AFP)

Die Atemwegserkrankung Mers hat die Millionen-Metropole Seoul lahmgelegt. Ursache sind wohl weniger die Viren, als eine zögerliche Informationspolitik und das brüchige Vertrauen in die Regierung - die gerade keinen Premier hat.

Von Christoph Neidhart

Maskierte Männer in schneeweißen Schutzanzügen desinfizieren U-Bahnzüge. Soldaten stoppen Autofahrer und messen Fieber. Fast 2500 Schulen sind geschlossen. In der Hauptstadt Seoul tragen die Passanten Atemmasken, Kneipen und Kinos bleiben leer. Staatspräsidentin Park Geun Hye hat ihren lange geplanten Besuch in Washington verschoben. Südkorea ist an Mers erkrankt.

Die Regierung in Seoul behandelt die Virus-Infektion inzwischen als hochansteckende Seuche und nationalen Notstand - eine Krankheit, von der die Weltgesundheitsorganisation WHO sagt, sie werde nur durch engen Kontakt übertragen, etwa in Familien oder vom Patienten auf das Pflegepersonal. Und trotzdem wird Südkoreas Regierung scharf kritisiert: Zu spät habe sie reagiert und, vor allem, inkompetent.

Alles hatte Mitte Mai begonnen. Damals suchte ein Südkoreaner nach seiner Rückkehr aus Saudi-Arabien wegen Husten und Fieber mehrmals eine Poliklinik in Asan südwestlich von Seoul auf. Seine Ärzte erkannten Mers nicht. Der Mann hatte ihnen allerdings auch nicht gesagt, dass er zuvor im Nahen Osten gewesen war. Erst die vierte Klinik, die ihn untersuchte, das Samsung-Spital in Seoul, eines der renommiertesten Krankenhäuser Südkoreas, fand die korrekte Diagnose. Da war es schon zu spät. Der Mann starb am 2. Juni. Seine Frau wurde "Patientin Nummer 2", sie, immerhin, ist inzwischen genesen. Doch damit war die Gefahr nicht gebannt.

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In Südkorea, wie auch in China und Japan, gehen vor allem ältere Leute häufiger zum Arzt als bei uns. Und am liebsten zu einem berühmten Doktor oder in ein großes Krankenhaus. Viele lassen Beziehungen spielen, um zum Beispiel ins Samsung-Spital überwiesen zu werden. Die oft überfüllten Krankenhäuser bringen ihre Patienten in großen Schlafsälen unter. Ihre Angehörigen bringen ihnen täglich Essen. Bisher haben sich die meisten Mers-Patienten im Samsung-Spital und in einem zweiten Großkrankenhaus angesteckt.

"Die Präsidentin führt einen Krieg gegen den Bürgermeister von Seoul statt gegen Mers."

An Mers erkrankt waren bisher 125 Südkoreaner. Vom Virus erfasst sind aber auch das gesamte öffentliche Leben und die Politik Südkoreas. Es hat alte Wunden aufbrechen lassen, es zersetzt das brüchige Vertrauen der Koreaner in ihre Regierung. Das Gesundheitsministerium hielt Informationen über mögliche Ansteckungsherde zwei Wochen lang zurück. Es wollte auch keine Warnung ausgeben, da das Touristen abschrecken könnte. Das "Blaue Haus", der Sitz der Präsidentin, rief im Gegenteil "zum Schlag gegen substanzlose Gerüchte" auf.

Das änderte sich erst, als der Bürgermeister von Seoul, Park Won Soon, der Seuche den "Krieg erklärte" und die Regierung angriff. Das wiederum provozierte die Präsidentin. Sie führe "einen Krieg gegen den Bürgermeister statt gegen Mers", schrieb die Tageszeitung Hankyreh. Der bekannte Historiker Jeon Woo Yong, der auf Twitter mehr als eine Million Follower hat, attackierte Parks Regierung ebenfalls: "Ihr Mangel an Kompetenz und Befähigung zum Regieren macht mehr Angst als Mers selbst."

Die konfuse Reaktion der Administration erklärt sich vielleicht auch damit, dass Südkorea zur Zeit keinen Premier hat. Zum dritten Mal seit ihrem Amtsantritt vor zweieinhalb Jahren schafft die Präsidentin es nicht, einen Kandidaten zu nominieren, den das Parlament akzeptiert. Dabei verfügt ihre Partei über die Mehrheit.

Das Virus schwächt aber auch die Wirtschaft. Die Aktien der Kosmetikfirmen sind eingebrochen. Das Finanzministerium hat 400 Milliarden Won, 320 Millionen Euro, bereitgestellt, um mittelständischen Betrieben über den Rückgang des Konsums wegen Mers hinwegzuhelfen. Und die Notenbank hat den Leitzins auf 1,5 Prozent gesenkt, so tief wie noch nie.

Viele Koreaner sehen eine Parallele zum Untergang der Fähre Sewol im April vergangenen Jahres. Damals zeigte sich die Präsidentin nicht. Bis heute gibt es dafür keine Erklärung. Als der Seoul-Korrespondent der japanischen Tageszeitung Sankei fragte, wo Park an jenem Tag war und böse Gerüchte wiedergab, die man in Seoul auf der Straße hört, wurde er wegen Beleidigung der Präsidentin angeklagt und durfte das Land nicht verlassen. Parks Regierung hat unterdessen versucht, eine sorgfältige Aufklärung der Sewol-Katastrophe zu verhindern, zu deren Ursachen auch Korruption gehören dürfte. Ausgerechnet am Jahrestag des Fährunglücks verreiste die Präsidentin nach Lateinamerika. Das wurde als Taktlosigkeit empfunden gegenüber den Angehörigen der fast 300 Todesopfer, die meisten von ihnen Jugendliche aus Asan, der Stadt, in der auch der erste Mers-Patient wohnte.

Es gibt keine Hinweise, dass Mers in U-Bahnen oder Schulen übertragen werden könnte. Die meisten Erkrankten sind ältere Leute, die zuvor an Herz- und Lungenkrankheiten oder Diabetes litten. Sie haben sich im Krankenhaus angesteckt. Die WHO hat Südkorea deshalb aufgefordert, die Schulen wieder zu öffnen. Das sei eine Überreaktion. Aber Präsidentin Park will offenbar nun beweisen, dass sie alles nur Denkbare tut. Ein Sprecher des Blauen Hauses erklärte die Absage ihres Washington-Besuchs mit den "psychologischen Auswirkungen von Mers". Die Präsidentin wolle "das Vertrauen in die Regierung vergrößern". Zugleich rief Park ihre Landsleute auf, sie sollten es mit der Vorsicht wegen Mers "zugunsten der Wirtschaft bitte nicht übertreiben". Der Konsum in Südkorea war nach dem Drama um die Sewol eingebrochen. Und hatte sich seither nie ganz erholt.

© SZ vom 13.06.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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