Für die Jungärzte geht es darum, Patienten zu "turfen", das heißt, sie auf andere Stationen abzuschieben. Besonders gefürchtet sind die "Gomer". Das Akronym steht für "Get Out of My Emergency Room" (Raus aus meiner Notaufnahme) und meint Patienten, die viel Arbeit machen. Auf den ersten Blick haben die Ärzte in dem Roman "House of God" zynische Einstellungen, auf den zweiten ist es Notwehr, wenn die Jungmediziner so auf ihre Überforderung reagieren.
Samuel Shems Schlüsselroman zeigt die Verzweiflung junger Ärzte, die nicht genug Zeit für Patienten haben und ihrer Aufgabe nicht gewachsen sind. Dass sich seit Erscheinen des Buches 1978 nicht viel gebessert hat, belegt eine aktuelle Studie im Fachblatt Jama Internal Medicine. Demnach verbringen junge Klinikärzte nur 13 Prozent ihrer Arbeitszeit mit Patienten. Die anderen 87 Prozent gehen für Papierkram und Besprechungen drauf.
14 Minuten Zeit für Patienten
Andere Studien aus jüngster Zeit kommen sogar nur auf 9 bis 12 Prozent Arbeitszeit am Patientenbett - gegenüber den 1990er-Jahren hat sich der Anteil halbiert. "Unsere Untersuchung spiegelt die Realität in vielen Kliniken wider", sagt Krisda Chaiyachati von der University of Pennsylvania. "Da stellt sich die Frage, ob wir künftige Ärzte richtig ausbilden." Florian Heinen vom Haunerschen Kinderspital der Universität München hat 2016 unter dem Titel "Was vom Tage übrig bleibt" untersucht, wieso Ärzte trotz Überstunden zu wenig Zeit für Patienten haben. Sogar in Kinderkliniken verbringen manche Mediziner nur 14 Minuten täglich mit ihnen. Telefongespräche, Konsile, Röntgenbesprechung, Abrechnungen kodieren, Dokumentation und andere Verwaltungsarbeiten rauben die Zeit am Krankenbett.
Doch selbst die raren Momente, die Ärzte mit Kranken verbringen, können sie oft nicht vollständig den Patienten widmen. Sie müssen dann gleichzeitig weitere Tests anordnen oder die Therapie anpassen. Zunehmend wird von Ärzten Multitasking gefordert, immer mehr Aufgaben müssen in eng begrenzter Zeit erledigt sein. "Es ist eine schwierige Abwägung", sagt Chaiyachati. "Wenn Patienten den Eindruck haben, wir hören ihnen nicht richtig zu und kümmern uns nicht genug um ihre Sorgen, ist das schlecht. Wenn wir durch Zeit abseits vom Patientenbett jedoch schneller auf die Diagnose kommen oder die Therapie verbessern, hat das auch Vorteile."
In Umfragen beklagen mehr als die Hälfte der Klinikärzte in Deutschland schlechte Arbeitsbedingungen. Aus jungen Idealisten werden dann schnell frustrierte Zyniker, die damit hadern, ihren eigenen Ansprüchen nicht gerecht zu werden. Für die Patienten sind das keine guten Aussichten. Sie haben schließlich bessere Genesungschancen, wenn sie ihrem Doktor vertrauen - doch das wird schwierig, wenn sie ihn kaum noch sehen. "Immerhin werden im Medizinstudium vermehrt Kompetenzen wie Gesprächsführung und körperliche Untersuchung vermittelt", sagt Martin Fischer, Professor für Ausbildungsforschung in der Medizin an der Uni München. "Steht im Versorgungsalltag aber nicht der Patient, sondern Verwaltungsarbeit im Zentrum, droht gute Medizin auf der Strecke zu bleiben."