Kalte Operationssäle:Skalpell und Schüttelfrost

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In OP-Sälen ist eine Temperatur von 15 bis 18 Grad üblich. (Foto: Friso Gentsch/dpa)

Operationen bergen ein häufig unterschätztes Risiko: Unterkühlung durch zu kalte OP-Säle. Mehr als die Hälfte der Patienten liegen mit Schüttelfrost unter dem Messer - mit teilweise schweren gesundheitlichen Folgen.

Von Kathrin Burger

Jede Operation birgt Risiken. Eine Wunde könnte sich entzünden, der Patient sich eine Infektion einfangen. Oder dem Chirurg misslingt ein Schnitt. Ein offenbar häufiges Problem wird in diesem Zusammenhang jedoch oft übersehen: Patienten können während der Operation unterkühlen.

Genau davor warnt nun der Verband der Elektrotechnik (VDE) in einem Positionspapier. Von Unterkühlung oder Hypothermie spricht man, wenn die Körperkerntemperatur unter 36 Grad Celsius sackt. Die Betroffenen leiden dann unter starkem Schüttelforst. Bis zu 60 Prozent der OP-Patienten sollen davon betroffen sein, so der VDE. Allerdings stellen dessen Mitglieder auch die Geräte her, die das verhindern sollen.

Aber auch Ärzte setzen sich für mehr Wärme im OP ein: Alexander Torossian, Anästhesist am Universitätsklinikum in Marburg, arbeitet derzeit an einer Leitlinie zur Verhinderung von Patientenunterkühlung. Gemäß seinen Angaben gibt es sogar Studien, die bis zu 70 Prozent der Patienten als betroffen ansehen. Auch Anselm Bräuer, Narkosearzt am Universitätsklinikum in Göttingen, nimmt das Problem ernst: "Es ist seit vielen Jahren bekannt, dass das Auskühlen ernste gesundheitliche Folgen haben kann."

Laut Infektionsschutzgesetz und entsprechenden Empfehlungen des Robert-Koch-Instituts ist die normale Körpertemperatur der Patienten zu bewahren. Normal sind 37 Grad. Ausgekühlte Patienten haben nämlich ein erhöhtes Risiko für Gerinnungsstörungen, sie brauchen häufiger Bluttransfusionen, erleiden häufiger Wundinfektionen oder Herzkomplikationen. Das alles führt laut VDE dazu, dass die Betroffenen rund 20 Prozent länger in der Klinik verweilen müssen und auch mehr Kosten verursachen.

Laut einer britischen Studie des National Institute for Health and Care Excellence (NICE) aus dem Jahr 2008, bei der je nach Eingriff, Grad der Unterkühlung, Alter des Patienten und OP-Dauer verschiedene Szenarien durchgerechnet wurden, entstehen bis zu 2800 Euro mehr an Behandlungskosten, wenn der Patient nicht ausreichend warm gehalten wird. Im schlimmsten Fall kann es zu Todesfällen durch Auskühlung kommen.

Die Unterkühlung liegt teilweise in der Natur der Sache: Da die Narkosemittel die Hautdurchblutung steigern, wird die Körperkerntemperatur heruntergefahren. Zudem haben OP-Säle aus hygienischen Gründen eine besondere Klimatisierung, sie sind kühl und oft zugig. So kalt müsste es jedoch nicht sein: "Es ist nicht bewiesen, dass eine derzeit übliche Raumtemperatur von 15 bis 18 Grad das Infektionsrisiko reduziert", sagt Torossian. Er plädiert darum für 21 Grad warme OP-Säle, Kinder werden sogar bei 24 Grad operiert, weil sie besonders leicht unterkühlen.

Zudem gibt es Möglichkeiten, bereits in der Narkosevorbereitung einer Unterkühlung vorzubeugen. Etwa mithilfe von speziellen Heizdecken, wie die Warmluftgebläsedecke. Hierbei wird von einer Heizeinheit mit Ventilator 44 Grad warme Luft über einen Schlauch in eine luftmatratzenähnliche Decke gepumpt. "Diese Decke ist effektiv und relativ weit verbreitet, ist aber auch laut und braucht eine externe Stromquelle, die nicht immer vorhanden ist", sagt Torossian. Solch ein "Prewarming" kann laut einer aktuellen brasilianischen Übersichtsarbeit, für die 14 Studien ausgewertet wurden, so effektiv sein, dass die widrigen Umstände im OP dem Patienten nichts mehr anhaben können. Oft reicht eine Anwendung von zehn bis 20 Minuten, um eine OP-Dauer von einer Stunde zu überbrücken, hat eine Studie des Anästhesisten Ernst-Peter Hornam vom Regio Klinikum Pinneberg ergeben.

Auch Systeme wie Matten, die direkt die Haut erwärmen, verhindern Unterkühlungen, ebenso wie selbstwärmende Decken, die Eisenoxid enthalten. Dieses führt zusammen mit Sauerstoff zu einer Erwärmung. Eine weitere Maßnahme ist es, Infusionen vorzuwärmen. Wichtig ist auch, dass regelmäßig die Temperatur des Patienten vor und während der Operation kontrolliert wird. Im OP-Saal misst am zuverlässigsten eine Sonde, die durch Nase und Rachenraum geführt wird.

All die Technik, um die Körpertemperatur zu ermitteln und den Patienten warm zu halten, ist verfügbar und in Krankenhäusern teils schon vorhanden. Dass sie nicht allerorts angewendet wird, hat vor allem logistische Gründe: "Wir bräuchten zusätzliche Geräte entweder auf allen Stationen, in den Wartezonen oder in den Narkoseeinleitungsräumen. Dazu braucht man entsprechende Lagerräume, auch das Personal müsste geschult werden", sagt Bräuer. Auch Torossian meint: "Das Prewarming verzögert den ganzen OP-Ablauf, dadurch kann weniger operiert werden." Zudem fehle es Ärzten und Pflegepersonal an Problembewusstsein, moniert der VDE. Die positiven Effekte wie Kostenersparnis seien eben nicht unmittelbar erkennbar. "Schließlich muss erstmal Geld investiert werden", sagt Bräuer.

Bis Ende des Jahres soll die Leitlinie "Vermeidung von ungeplanter perioperativer Hypothermie" fertiggestellt sein. Der Marburger Wissenschaftler Torossian hofft, dass dann das Frieren im OP ein Ende hat, weil das Warmhalten der Patienten womöglich mehr zur Routine werde. Und das könnte auch noch einen positiven Nebeneffekt haben: "Wärme vermittelt Wohlgefühl und kann die Angst vor der OP ein wenig lösen."

© SZ vom 02.08.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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