Nebenwirkungen der Covid-Impfung?:Verdachtsfall Gürtelrose

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(Foto: Marijan Murat/dpa)

Seit Beginn der Corona-Impfkampagne erkranken offenbar auffallend viele junge Menschen an Herpes Zoster. Eine Studie bestreitet nun einen Zusammenhang. Was die Wissenschaft über die Impfnebenwirkung Gürtelrose herausgefunden hat.

Von Michael Brendler

Bei Karin Bauer begann es eine Woche nach ihrer zweiten Covid-Impfung. Zunächst waren es nur vier bis fünf gerötete Stellen und Bläschen seitlich am Bauch. Dann breiteten sich die Flecken Richtung Nabel und Rücken aus. Wirklich unangenehm wurde es, als die Pickel zu jucken begannen. Und zu brennen, wenn sie die Region berührte. Weil sie sich außerdem müde und fiebrig fühlte, ging sie zum Arzt. Gürtelrose lautete die Diagnose, die Therapie Salbe und antivirale Tabletten. Einen Monat später war auch der letzte Flecken verschwunden.

Bauer, die in Wahrheit anders heißt, aber mit ihrem echten Namen nicht in der Zeitung auftauchen möchte, ist 51 Jahre alt. Das ist für das Auftreten eines Herpes Zoster, wie Fachleute die Krankheit nennen, eigentlich ein recht junges Alter. Die meisten Menschen mit solchen Problemen haben die 60 überschritten. Die vor der Krankheit schützende Impfung wird von der Stiko auch erst ab diesem Alter empfohlen.

Wenn die Bläschen bei Jüngeren auftauchen, dann meist bei solchen, deren Immunsystem sich beispielsweise aufgrund einer Krebserkrankung nicht mehr richtig wehren kann. Der Grund: Verursacher der Krankheit ist das Varizella-Zoster-Virus. Das dringt meist schon im Kindesalter in den Körper ein, was sich als Windpocken bemerkbar macht. Danach wird das Virus von den Abwehrzellen in Schach gehalten und nistet sich in Nervenzellen ein. Dort verfällt es in eine Art Winterschlaf.

Wird das Immunsystem später durch Medikamente oder Alterungsprozesse geschwächt, eröffnet das dem Erreger die Chance, auszubrechen und entlang der Nervenbahnen die Gürtelrosen-Symptome zu verursachen. Vorausgesetzt, er wird durch Stress oder ein anderes Signal aus seinem Tiefschlaf geweckt.

Die gegen Covid geimpften Herpes-Zoster-Patienten sind im Schnitt 46 Jahre alt

Karin Bauer ist kein Einzelfall. Der Dermatologin Esther Freeman von der Harvard Medical School ist schon Anfang des Jahres aufgefallen: Seit Beginn der Covid-Impfkampagne tauchen auffallend viele junge Herpes-Zoster-Patienten in den Praxen auf. Das Durchschnittsalter liege bei geimpften Betroffenen mit 46 Jahren deutlich niedriger als bei Menschen, die vor der Spritze zurückschrecken, hat sie in der Fachzeitung Journal of the European Academy of Dermatology and Venereology berichtet.

Auch andere Wissenschaftler äußerten den Verdacht, dass die Impfung gegen Corona manchmal eine Gürtelrose auslösen kann. Die überzeugendsten Indizien lieferte im September des vergangenen Jahres eine Studie in der Fachzeitung New England Journal of Medicine. Bei der Analyse der Krankenakten von fast 900 000 Landsleuten hatten israelische Wissenschaftler errechnet: Unter 100 000 Geimpften müssen etwa 16 mit dem Auftreten von Herpes Zoster rechnen.

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Andere Untersuchungen fanden allerdings keine derartige Häufung von Herpes-Zoster-Fällen. Die jüngste Entwarnung stammt von Wissenschaftlern der University of California und wurde am Mittwochnachmittag veröffentlicht. Die Augenärztin Nisha Acharya und ihr Team haben ausgewertet, wie oft Menschen im ersten Monat nach der Covid-Impfung mit Herpes Zoster einen Arzt aufsuchen. Nicht häufiger als der Durchschnittsamerikaner, lautet das Ergebnis der Analyse von Behandlungsdaten von rund zwei Millionen US-Bürgern. Das deutsche Paul-Ehrlich-Institut hat bei einer eigenen Analyse ebenfalls keine Anzeichen für eine solche Nebenwirkung gefunden, ließ eine Frage nach Details aber bis Redaktionsschluss unbeantwortet.

"Ich denke nicht, dass es einen ursächlichen Zusammenhang zwischen Impfung und Herpes Zoster gibt", sagt Hartmut Hengel nach der Lektüre der Arbeit von Nisha Acharya. Er leitet das Konsiliarlabor für Varizella-Zoster-Viren am Institut für Virologie der Uniklinik Freiburg. Auch der Molekularbiologe Henri-Jacques Delecluse, der sich am Deutschen Krebsforschungszentrum mit Herpesviren beschäftigt, glaubt nicht, dass die Impfung das Immunsystem derart schwächen kann, dass es anschließend nicht mehr in der Lage ist, Varizella Zoster im Zaum zu halten. Würde es eine solche Impfnebenwirkung geben, müssten die Symptome eigentlich viel ausgeprägter sein, sagt er. Denn bei Menschen mit schweren Abwehrproblemen sind in der Regel viel größere Hautbereiche als bei einer klassischen Gürtelrose, manchmal sogar Mundschleimhäute oder Organe betroffen.

Theoretisch denkbar: Die Spritze könnte das Virus aufwecken

Aber ein Herpes Zoster, sagt Delecluse, könne eben auch bei Menschen mit völlig gesundem Immunsystem auftreten. Denn manchmal reicht allein schon der Weckreiz für die Viren aus, damit diese Symptome verursachen. Und den kann theoretisch auch eine Covid-Impfung darstellen. Die Vakzine erregt die Abwehrzellen unter anderem über sogenannte Toll-Like-Rezeptoren. Und diese sind laut dem Forscher direkt involviert in die Aktivierung von Varizella-Zoster-Viren. Studienlage zur potenziellen Impfnebenwirkung Herpes Zoster sei weiter widersprüchlich, schon jetzt lasse sich aber sagen: "Sollte es einen solchen Zusammenhang geben, wird das Problem mit Sicherheit sehr selten sein."

Unterstützt wird diese Hypothese durch die Beobachtung, dass eine richtige Corona-Infektion ebenfalls das Entstehen einer Gürtelrose zu begünstigen scheint. Beruhigend ist: Bei intakten Immunsystem fallen die Symptome im einen wie im anderen Fall meist schwach aus. Was einen keinesfalls davon abhalten sollte, mit entsprechenden Beschwerden einen Arzt aufzusuchen. Denn eine Gürtelrose lässt sich im Anfangsstadium sehr gut behandeln. Zudem mindert eine frühe Therapie das Risiko von Langzeitkomplikationen.

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