Volkssport Fasten:Du bist Dreck

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Entgiften, entschlacken oder entsäuern: Die Pülverchen-Industrie denunziert den menschlichen Körper als eine Art Sondermülldeponie und immer mehr Menschen glauben, sie müssten ihren Körper reinigen. Doch besser geht es am Ende nur der Industrie. Ein Plädoyer gegen den Putzfimmel am eigenen Körper.

Werner Bartens

Nicht nur sauber, sondern rein: Das ist das Ziel. Pur, klar und ohne jeden Makel soll man sein. Was Klementine, die resolute Frau mit der weißen Latzhose, einst für die Wäsche einforderte, ist auch der Anspruch vieler Menschen an sich selbst. Sie halten ihren Körper offenbar für einen Haufen Dreck, der permanent entgiftet, entmüllt und dekontaminiert werden muss. Sie reden von Giften, Schlacken und Übersäuerung - und das muss natürlich alles raus. Offenbar sind die Zellen und Organe schon nach kurzem Gebrauch so verseucht wie manche Reaktorruine. Daher können nur drastische Radikalkuren Abhilfe schaffen. Es geht um Leben und Tod.

Die patente Klementine wusste immerhin noch, was sie mit der verschmutzten Kleidung anstellen musste. Sie hatte ja Ariel für den Hauptwaschgang. Wer sich inwendig ungewaschen vorkommt, muss sich hingegen mit anderen Mitteln behelfen und Umwege in Kauf nehmen. Und für innerlich verdreckt und verunreinigt halten sich die Menschen ständig. Anders ist der Putzfimmel, der sie regelmäßig ihre Eingeweide attackieren lässt, kaum zu erklären.

Aderlass und Schröpfköpfe sind zwar aus der westlichen Medizin so gut wie verschwunden - nur ein paar Hokuspokus-Heiler wenden diese Methoden noch an. Zum Glück. Doch das Bedürfnis nach Reinigung, Läuterung und innerer Leere bleibt. Es ist wie beim Räumungsverkauf: Alles muss raus. Und zwar sofort. Alles. Sofort. Raus.

Und so boomen Heilfasten und Entgiftungskuren, Entschlackungsangebote und besonders der neue Modebegriff "Detox". Unter diesem Motto soll der Körper von allen möglichen Giften befreit werden, die das moderne Leben mit Fastfood, Alkohol, Tabak, pestizidverseuchten Nahrungsmitteln, Medikamenten und einem bunten Cocktail an Umweltschadstoffen mit sich bringt. Der Organismus ist demnach ein Endlager für die Abfallprodukte der Wohlstandsgesellschaft und muss immer wieder einem Generalputz unterzogen werden.

Wobei - wie auf dem Wertstoffhof - unbedingt die Mülltrennung einzuhalten und penibel darauf zu achten ist, ob gerade primär entgiftet, primär entschlackt oder primär entsäuert werden soll.

Detox-Produkte sind als Tees, Lösungen, isotonische Getränke, Pulver oder sogar als Pflaster und Fußbäder zu erhalten. Zitronenwasser, Tonerde, Spargel, Graupen und Algenextrakte sollen den Körper vom überflüssigen Plunder befreien. Promis und Models wie Sienna Miller, Gwyneth Paltrow und Claudia Schiffer entgiften angeblich regelmäßig. Und von der Artischocke bis zur Zucchini wird inzwischen fast jedem Kraut eine entgiftende Eigenschaft zugesprochen. Frauenzeitschriften bieten Rezepte an, zum Beispiel für "10 Detox-Tage"; es gibt Spinatsuppe, Sellerie, Müsli und gedünstetes Gemüse in allerlei Variationen. Allerdings muss man aufpassen. Das medizinische Fachmagazin Glamour warnt, dass man beim Entgiften auf keinen Fall bauchfreie Tops tragen sollte, wenn es zu kühl ist. "Denn die Nieren, die Entgiftungsorgane, lieben Wärme. Wird es ihnen zu kalt, arbeiten sie nicht so gut." Auch Stress ist gefährlich, ergänzt die Glamour, denn "bei negativer Belastung übersäuert der Körper".

Das Problem an Theorie wie Praxis des Entgiftens - es ist alles Unsinn. ,,Die einzige Substanz, die einem Patienten entzogen wird, ist meist sein Geld'', sagt Edzard Ernst, ein deutscher Mediziner, der im englischen Exeter den ersten Lehrstuhl für Alternativmedizin aufgebaut hat und die Versprechungen der Naturheilverfahren immer wieder kritisch untersucht. "Detox beruht auf falschen Vorstellungen von Physiologie und menschlichem Stoffwechsel; ein Schwindel. Es gibt keine Belege dafür, dass es irgendeinen Gewinn bringt, manche Anwendungen wie die Chelattherapie oder die Kolonhydrotherapie können sogar schädlich sein."

Eine moderne Form des Exorzismus

Attraktiver und anziehender macht die innere Reinigung auch nicht unbedingt. In Online-Foren tauschen sich die Detox-Anhänger über typische Probleme mit der inneren Leere aus: "Ich habe vor Wochen einige Detox-Tage eingelegt!", klagt eine junge Frau im Netz. "Seit dieser Zeit habe ich einen sauren Geschmack im Mund, der nicht weggeht! Auch ist meine Zunge hinten belegt! Wer weiß, wie ich das endlich wieder wegbekomme?" Schuldbewusst schreibt sie noch, dass sie die Kur diesmal leider nicht bis zum Ende durchgehalten hat: "Ich ernähre mich inzwischen wieder normal / schlecht wie eh und je!". In Entgiftungskliniken und Fastenklöstern liegen immer auch Zungenschaber bereit.

Das schlechte Gewissen, dass die Askese nicht weit genug gegangen ist, quält die Menschen allerdings mindestens so sehr wie ihr Mundgeruch. Seit die großen Kirchen wenigstens in Mitteleuropa an Bedeutung verloren haben, dienen Wellnesskuren und paramedizinische Reinigungsexerzitien als Religionsersatz. Durch Entsagung zur Erleuchtung soll der Weg führen. Früher belasteten die Menschen schmutzige Gedanken und unreine Handlungen, heute ist der vermeintliche Schmutz im eigenen Körper der Dämon, der ausgetrieben werden muss. Manche Extremformen des Darbens wirken wie eine moderne Form des Exorzismus - die Peinigungen kommen heute als Dickdarmspülung oder Blutreinigungstee daher.

Der Glaube an die vollständige körperliche Reinigung, die auch die Seele befreit, erhöht die Entgiftung zu einer quasi-religiösen Läuterung. In Fastenklöstern oder auf Fastenwanderungen üben Satte andächtig Verzicht und begeben sich entleert und entschleunigt auf die Sinnsuche, für die sie im Alltag weder Zeit noch Ruhe finden. In vielen Entgiftungskliniken und Fastenheimen beginnt die Kur daher mit einem "Entlastungstag". Was innerlich gärt und bläht, muss erst mal raus, um mit sich ins Reine zu kommen. Die Vorstellung, sich von schädlichem Ballast zu befreien und sich "von innen heraus" zu säubern, trägt dazu bei, dass sich manche Menschen nach Entgiftungskuren tatsächlich besser und leichter fühlen. Diese seelische Zugabe ist vermutlich das Entscheidende. Leider ist in den meisten Fällen nur der Geldbeutel leichter geworden. Medizinisch haltbar ist das alles nicht.

Entgiftung? Der britische Arzt und Autor Ben Goldacre ("Die Wissenschaftslüge") hat entlarvt, wie Kunden mit einem Detox-Fußbad hinters Licht geführt werden. Auch seriöse Zeitungen hatten zuvor begeistert darüber berichtet, wie sich das Wasser in der Schüssel dunkel verfärbte, als "Toxine" dem Körper durch die Fußporen entzogen wurden. Es brauchte nur wenig Aufwand, um zu zeigen, dass ein aus dem Chemieunterricht bekannter Vorgang namens Elektrolyse bei den Detox-Fußbädern dazu führt, dass das Wasser braun wird. Eisenelektroden rosten und führen zum veränderten Farbton. Auf Nachfrage konnten und wollten die Hersteller nicht angeben, welche Gifte denn dem Körper entzogen wurden und in der Brühe zu finden seien.

Entsäuern? Der Körper hat das schon selbst geregelt. Die Zellen und das Blut werkeln bei ziemlich konstantem ph-Wert vor sich hin. Dass Stress oder andere Zivilisationspein den Körper übersäuern lassen, konnte nie nachgewiesen werden. Hier muss nichts basisch abgepuffert werden. Einzig die Heilversprechen der Entsagungs-Propheten können einen sauer machen.

Eigentlich ist von Natur aus ganz gut dafür gesorgt, dass der Organismus das los wird, was er nicht mehr braucht. Mehrmals am Tag machen die Menschen klar Schiff mit den überflüssigen Produkten, mit denen ihr Körper nichts mehr anfangen kann. Die Lungen atmen verbrauchte Luft aus. Die Nieren filtern das Blut am Tag mehr als 20 Mal - und lassen dann jene konzentrierten Reste abfließen, die der Stoffwechsel nicht mehr gebrauchen kann. Und der Darm walkt und knetet und resorbiert und saugt auf mehr als fünf Metern Länge so viel Nährstoffe aus den festen Nahrungsbestandteilen heraus, dass nur noch wenig übrigbleibt.

Trotzdem scheinen Wasserlassen und Stuhlgang vielen Menschen noch nicht genug der Reste-Entsorgung zu sein. Merkwürdig.

Welches Selbstverständnis dies enthüllt, wird ein interessantes Forschungsprojekt für die Alltagsarchäologen späterer Generationen sein. Besonders absurd wird es, wenn die vom Körper mühsam abgetrennten Abfallstoffe erneut wieder aufgenommen werden - etliche Menschen sind beispielsweise Anhänger der obskuren Urintherapie. Das entsprechende Buch von Carmen Thomas ("Urin - ein ganz besonderer Saft") hat sich fast eine Million Mal verkauft. Eine rechtschaffene Niere muss sich allerdings gehörig auf den Arm genommen vorkommen, wenn das, was sie mühsam abgepresst und ausgefiltert hat, oben mutwillig wieder reingeschüttet wird.

Popularität der Darmspiegelung

Mit dem Wunsch nach innerer Sauberkeit ist wohl auch die zunehmende - über das Vorsorgegebot gelegentlich hinausgehende - Popularität der Darmspiegelung zu erklären. Obwohl der Eingriff ziemlich lästig ist, hat keine andere Früherkennungsuntersuchung in den letzten Jahren so hohe Zuwachsraten zu verzeichnen, was nicht nur an aggressiven PR-Kampagnen liegt. Zur Vorbereitung muss - häufig noch mit Glaubersalz - abgeführt und der Darm komplett entleert werden. Dann schaut der Arzt persönlich nach, ob alles auch schön aufgeräumt und sauber ist. Die Darmreinigung wird so zur existentiellen Erfahrung.

Sauber? Es wäre hochgefährlich, Darm, Blutgefäße oder Organe blitzeblank zu putzen. Bei der Darmspiegelung passiert das ja nur vorübergehend, damit der Blick auf bösartige Veränderungen frei wird. Auf Dauer wäre es tödlich. Der Darm beinhaltet Abermillionen von Zotten, die zur Nahrungs- und Flüssigkeitsaufnahme lebensnotwendig sind. Zudem wird er von Milliarden Bakterien besiedelt, die für die Verdauung unverzichtbar sind. Würden mittels rabiater Reinigung die Zotten und Keime entfernt werden, hätte das fatale Folgen. Auch die Blutgefäße sind keine starren Rohre, die sich mit der Zeit wie eine Wasserleitung zusetzen und wieder von innen blankgeputzt werden können. Blutgefäße sind elastisch, können sich weiten und zusammenziehen und so die Menge des Blutflusses regulieren.

Zwar können sich in den Blutgefäßen sogenannte Plaques bilden. Das sind Ablagerungen aus abgestorbenen Blutzellen und Cholesterinkristallen in den Gefäßen, die verkalken und die Öffnung nach und nach zusetzen können. Doch auch sie sind nicht mit Entgiftungskuren, Entschlackungstees oder anderen "reinigenden" Maßnahmen zu entfernen. Der Befehl "Abfluss frei!" mag im heimischen Badezimmer Wirkung zeigen, im Körper funktioniert er nicht.

Schlacken? "Im Stoffwechsel des Menschen fallen keine Schlackenstoffe an. Der Organismus scheidet Endprodukte des Stoffwechsels über Niere, Darm, Lunge oder Haut aus'', teilt die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) lapidar mit. Schlacken sind allenfalls im Bergbau zu finden. ,,Der Glaube an Entgiftung oder Entschlackung ist ein absolutes Steinzeitkonzept", sagt Martin Reincke, Chefarzt der Inneren Medizin an der Ludwig-Maximilians-Universität in München. "Die einzige Entschlackung, die medizinisch zu empfehlen ist, müsste im Kopf stattfinden - das heißt, sich von dieser Vorstellung zu lösen."

Fasten? Obwohl es seit Jahrtausenden von vielen Religionen propagiert wird, um sich von Sünden zu reinigen oder auf den Tod vorzubereiten, ist das Fasten keinesfalls so harmlos, wie es klingt. Wenn während des Fastens weiterhin wichtige Nahrungsbestandteile zugeführt werden, sind die Risiken zwar ziemlich gering. Totales Fasten kann jedoch gefährlich werden: Die Nieren sind dann stärker belastet und Nierensteine bilden sich schneller. Es kann leichter zu Kreislaufstörungen, Herzrhythmusstörungen und Schwindel kommen.

Kreislaufstörungen und Schwindelgefühle

Wer zuvor schon erhöhte Harnsäurewerte im Blut aufweist, kann durch Fasten einen akuten Gichtanfall auslösen. Unterzuckerungen treten häufiger auf, die sich als Zittern, Schwitzen oder Unruhe zeigen. Muskelkrämpfe, Sehstörungen und ein Hexenschuss sind bei komplettem Nahrungsentzug ebenfalls häufiger. Bei hohen Eiweißverlusten während der ersten Fastentage ist sogar der Herzmuskel in Gefahr. Aus diesen Gründen kann totales Fasten von Medizinern nicht empfohlen werden. "Wenn zu lange gefastet wird oder Kinder, Kranke und Normalgewichtige fasten, kann der Angriff auf die Energiereserven gefährlich werden. Auch bei kurzzeitigem Fasten können Probleme auftreten", warnt die Deutsche Gesellschaft für Ernährung. Mundgeruch ist da noch die geringste Nebenwirkung.

Auch zur Diät taugen Fastenkuren nicht, jedenfalls nicht auf Dauer - im Gegenteil. "Fasten ist nicht geeignet, um langfristig Gewicht zu verlieren", sagt Internist und Ernährungsexperte Reincke. "Es hat sogar eine ungünstige Wirkung, denn der Jojo-Effekt wird verstärkt. Die starke Gegenregulation des Körpers auf die plötzliche Nahrungskarenz führt dazu, dass die Kilos schneller wieder drauf sind." Evolutionär ist es schließlich sinnvoll, schnell wieder Energiereserven anzulegen, wenn nach langen Zeiten des Darbens endlich wieder Nahrung zur Verfügung steht. Wer abspecken will, sollte daher alles andere als fasten.

Was bleibt? Natürlich gibt es Menschen, die sich während oder nach einer Entgiftungs- oder Fastenkur leichter, reiner und befreiter fühlen. Das liegt dann aber vermutlich eher an den Heilserwartungen, die Fastenfreunde hegen. Wer sich besser fühlen will, fühlt sich oft auch besser. Womöglich sind auch profane medizinische Mechanismen die Ursache für den Endorphinkick: Die Überträgerstoffe, die gute Stimmung auslösen, zirkulieren länger im Gehirn, weil sich während des Fastens weniger Substanzen bilden, die sie abbauen. Womöglich kommt es durch die Radikalkur auch zu Kreislaufstörungen und Schwindelgefühlen. Eine eingeschränkte Gehirndurchblutung kann schon mal euphorische Gefühle auslösen.

© SZ vom 23./24./25. April 2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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