Zentralbanken:"Als ob der Alkoholiker die Getränke wegschließt"

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Von Adenauers Fallbeil-Rede bis zu Kohls "Operation Goldfinger" - Politiker-Schelten an den Währungshütern haben Tradition.

Helga Einecke

Der Angriff kam dieses Mal von ungewohnter Seite. Die Europäische Zentralbank beuge sich internationalem Druck, handele weder vernünftig noch unabhängig, rügte Bundeskanzlerin Angela Merkel. Dieser öffentlichen Ohrfeige folgten Telefonate zwischen Merkel und EZB-Präsident Jean-Claude Trichet. Experten rätseln seither über Hintergründe und Folgen der Merkel-Attacke.

Die EZB hatte sich bei ihrer Gründung die Bundesbank als Vorbild genommen. Diese galt als immun gegen Schelte von außen. Der verstorbene EZB-Chef Duisenberg lobte einst: "Mit der Bundesbank ist es wie mit Schlagsahne - je mehr man sie schlägt, desto fester wird sie." (Foto: Foto: ddp)

Für Thomas Mayer, Volkswirt der Deutschen Bank, ist die Sache klar. Die Kanzlerin habe auf langfristige Inflationsgefahren hinweisen, damit ebenso wie Bundesfinanzminister Peer Steinbrück ein in Deutschland populäres Thema aufgreifen und Wählerstimmen gewinnen wollen.

Am Finanzplatz Frankfurt wird kolportiert, Bundesbankpräsident Axel Weber habe Merkel zu Hilfe gerufen, weil er kurz vor der Sitzung des EZB-Rats Stimmung gegen den geplanten Ausbau von Wertpapier-Käufen habe machen wollen. Die Europäische Notenbank senkte im Zuge der Finanzkrise ihre Leitzinsen auf ein Prozent und kauft demnächst direkt Pfandbriefe. Sie stellt damit den Banken immer mehr Geld zu geringen Kosten zur Verfügung, betreibt also eine extrem lockere Politik. In der Vergangenheit forderte jedoch die eher strenge Haltung der EZB regelmäßig zur Kritik heraus.

"Wim der Würger"

Bereits kurz nach Gründung der Notenbank vor elf Jahren forderte der damalige deutsche Finanzminister Oskar Lafontaine barsch, gefälligst die Zinsen zu senken und so die Wirtschaft anzukurbeln. Europäische Regierungschefs wie der Deutsche Gerhard Schröder, der Italiener Silvio Berlusconi und der Franzose Nicolas Sarkozy prügelten verbal auf die EZB ein. Mal waren die Zinsen zu hoch, mal erschwerte der teure Euro die Exporte. Trichets Vorgänger Wim Duisenberg musste sich den Titel "Wim der Würger" gefallen lassen. Als vorbildlich hielten ihm und seinem Nachfolger Trichet die Staatsmänner die lockere Geldpolitik der Amerikaner vor. Im Dezember 2005 forderten sogar zehn Regierungen die EZB auf, die Zinsen nicht zu erhöhen - vergeblich.

Tatsächlich tun sich Politiker schwer, die eigene Notenbank zu respektieren, obwohl deren Unabhängigkeit politisch gewollt und im Gesetz festgeschrieben ist. "Es ist so, als ob der Alkoholiker die Getränke wegschließt", erläuterte Mayer das gespannte Verhältnis. Einerseits würden sich Finanzpolitiker gern der Notenbankpresse bedienen oder zumindest die EZB zu niedrigen Zinsen drängen, um mehr Geld ausgeben zu können.

Andererseits müssen sie aus übergeordneten Gründen auf die Droge des billigen Geldes verzichten, weil die damit einhergehende Entwertung des Euro großen Schaden anrichten könnte. Wegen der unvergessenen Hyperinflation und der Währungsreform des vorigen Jahrhunderts gelten die Deutschen als die größten Angsthasen beim Thema Inflation.

Noch in den 70er Jahren bedienten sich viele Industrieländer ihrer Notenbanken, diktierten deren Leitzinsen und steuerten so auch die Staatsfinanzen. Die Notenbanken in Frankreich und England wurden erst in den 90er Jahren völlig unabhängig. Heute wird die Praxis staatlicher Geldbeschaffung eher in Entwicklungsländern praktiziert. Ein extremes Beispiel ist Zimbabwe, wo Hyperinflation herrscht.

Dagegen lernten die Deutschen schon nach dem Krieg die Vorzüge einer unabhängigen Notenbank und einer starken Währung schätzen. Legendär ist die Fallbeil-Rede des ersten Bundeskanzlers Konrad Adenauer. Der forderte 1956 die Bundesbank auf, die Zinsen nicht zu erhöhen, vergeblich. Er behauptete damals, der Konjunktur sei ein schwerer Schlag versetzt worden, und das Fallbeil treffe die kleinen Leute. Danach solidarisierten sich die kleinen Leute mit der Notenbank. Adenauers Erbe Helmut Kohl wagte nie Kritik an Zinsbeschlüssen.

Pöhl aus dem Amt getrieben

Er sagte lediglich, manche davon möge er nicht. Als Bürger aber sei er froh über die Existenz der Bundesbank. Allerdings düpierte er die Notenbank bei der deutsch-deutschen Währungsunion, legte den Umtauschkurs gegen deren Rat auf pari fest und trieb Bundesbankpräsident Karl Otto Pöhl aus dem Amt. Die deutsche Wiedervereinigung kostete so viel Geld, dass Deutschland um den Beitritt in die Europäische Währungsunion bangen musste. Da forderte die Regierung Kohl doch noch die Notenbank heraus. Sie griff nach deren Goldreserven, holte sich bei dieser Operation "Goldfinger" eine blutige Nase, bescherte der Bundesbank aber eine Welle der Sympathie.

In den 60er und 70er Jahren sorgten Währungsturbulenzen für Streit zwischen Politik und Notenbank. Aufwertungsdebatten, weitaus heftiger als heute beim Euro, erschütterten die Republik, bereiteten aber auch einer Währungsunion in Europa den Weg.

Manche Experten halten eine Auseinandersetzung zwischen Politik und Notenbank für überholt, weil sie sich in populistischen Reden oder diplomatischen Telefonaten erschöpft. Karsten Junius von der Dekabank sähe die Politiker lieber in der Rolle von Vermittlern, die der Bevölkerung erklären, welche Aufgaben die Notenbank hat und wie deren Politik funktioniert. Andere wissen, dass die Attacken der Politiker einer Notenbank auch zugute kommen und ihr zu einer starken Reputation verhelfen können, falls sie nicht einknickt . Duisenberg, auch "Big Wim" genannt, sagte einmal: "Mit der Bundesbank ist es wie mit Schlagsahne - je mehr man sie schlägt, desto fester wird sie."

© SZ vom 16.06.2009/hgn - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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