Wohnungsbau:Grenzenlos bauen

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Deutsche Autos und Maschinen sind international gefragt, deutsche Architektur weniger. Aber jetzt kommt einiges in Bewegung.

Von Christine Mattauch

Es ist, mal wieder, ein Superlativ: Christoph Ingenhoven baut den größten Wohnturm Sydneys. 270 Meter hoch, 80 Etagen, schlanker Baukörper mit den Proportionen einer griechischen Säule. Der Turm wird ein neues Wahrzeichen für die australische Fünf-Millionen-Einwohner-Stadt, ein ökologisches noch dazu, mit Gärten, recycelten Baustoffen und hybriden Solarkollektoren für Strom und warmes Wasser. Ingenhoven setzte sich gegen fünf renommierte Konkurrenten durch, darunter Starbüros wie Foster oder Skidmore, Owings & Merrill. Den Düsseldorfer Architekten freut's: "Ein schöner Auftrag."

Der gebürtige Rheinländer zählt zu den erfolgreichsten deutschen Architekten im Ausland - und damit, immer noch, zu einer kleinen Minderheit. Während Autos und Maschinen weltweit gefragt sind, tut sich Deutschland mit dem Export von Architektur schwer - und das, obwohl Ingenieurleistungen "made in Germany" einen so guten Ruf haben. Die gute Nachricht aber ist: Es ist etwas in Bewegung geraten. Bei einer Umfrage der Bundesarchitektenkammer (BAK) gaben acht Prozent der selbständigen Architekten an, innerhalb des vergangenen Jahres im Ausland tätig gewesen zu sein. Das sind, bei bundesweit 60 000 freischaffenden Architekten, knapp 5000 Büros. Bei größeren Büros mit mehr als zehn Angestellten liegt der Anteil sogar zwischen 15 und 20 Prozent.

Viele deutsche Planungsbüros sind zu klein für große Projekte

Vor 20 Jahren noch konnte man jene, die relevante Projekte jenseits der Grenzen verwirklichten, an einer Hand abzählen. Ingenhoven gehörte dazu, das Hamburger Großbüro Gerkan Marg Partner, die einst von Helmut Hentrich gegründete Architektengruppe HPP mit Hauptsitz in Düsseldorf. Wenn damals junge Architekten ins Ausland drängten, war das oft aus der Not geboren. Heute streben selbst diejenigen über die Grenzen, die mit Inlandsprojekten gut ausgelastet wären. "Das Feld ist deutlich breiter geworden und umfasst jetzt auch mittelgroße Büros", sagt BAK- Vizepräsident Ralf Niebergall.

Meyer Schmitz-Morkramer (MSM) zum Beispiel. Das Köln-Frankfurter Architekturbüro beschäftigt 160 Mitarbeiter und ist in Deutschland gut im Geschäft. Für eine gezielte Auslandsakquise fehlte den Gründern bislang der Anstoß. Dann aber gewannen sie in diesem Jahr überraschend zwei Awards auf der Immobilienmesse MIPIM. "Wir glauben, damit eine Visitenkarte zu haben, die uns das Entrée bei ausländischen Auftraggebern erleichtert", sagt Caspar Schmitz-Morkramer. Im November fliegen sie in die USA, um das Terrain zu sondieren. Sie nutzen dabei Kontakte, die sie durchs Bauen für internationale Auftraggeber in Deutschland erworben haben, etwa für Hines. Leicht wird es nicht werden, sich durchzusetzen, aber Holger Meyer sagt: "Wir gehen mit großer Offenheit und Neugier."

Dass sich deutsche Architekten im Ausland lange schwertaten, lag zum einen an der meist guten Binnenkonjunktur, angefangen bei Wiederaufbau und Wirtschaftswunder. Zum anderen ist die Bürolandschaft so fragmentiert wie in kaum einem anderen europäischen Land - mehr als 40 Prozent der freischaffenden Architekten arbeiten allein, 79 Prozent haben maximal fünf Angestellte. Um den Mehraufwand eines Auslandsengagements abzufangen, gilt aber eine Mitarbeiterzahl von zehn als Mindestgröße. Und schließlich gibt es in vielen Ländern eine andere Rollenteilung: In Deutschland verstehen sich Architekten traditionell als Treuhänder der Bauherren und betreuen ein Projekt vom Vorentwurf über die Ausführung bis zur Abnahme. Im angelsächsischen Raum konzentrieren sie sich auf den Entwurf und werden als kommerzielle Dienstleister gesehen.

Ingenhoven biss sich trotzdem durch. Es begann 1994 mit einem Projekt für VW in Shanghai. Das endete zwar mit einem Streit vor Gericht, trotzdem ließ er sich nicht vom Auslandskurs abbringen: Luxemburg, Kalifornien, Hongkong, Tokio - die Liste der Projekte ist lang. Wer ihn fragt, wie er das geschafft hat, erhält als Antwort eine lange Geschichte von Begegnungen und Freundschaften. Ingenhoven hat früh verstanden, dass es ein Netzwerk braucht, um international erfolgreich zu sein. Verlässliche Empfehlungen führen weit, man wird weitergereicht, mitgenommen. "Es braucht weniger eine große Akquisitionsstrategie als vielmehr die Bereitschaft, sich auf unterschiedliche Kulturen, Sprachen und Rechtssysteme einzulassen", sagt Ingenhoven.

Den Auftrag für das Wohnhochhaus in Sydney hat er bekommen, weil er sich mit Architectus zusammentat, einem Büro aus Melbourne. Es ist schon das zweite gemeinsame Projekt. Der australische Kollege habe ihn vor Jahren angerufen und gefragt, ob man sich gemeinsam an einem Wettbewerb beteiligen könne. "Großer gegenseitiger Respekt" sei erforderlich, damit die Partnerschaft funktioniere, sagt Ingenhoven: "Wir kommen nicht als diejenigen, die alles besser wissen."

Franzosen und Briten sind selbstbewusster als ihre deutschen Konkurrenten

Auch bei der Marina One in Singapur, auf der diesjährigen MIPIM als bestes innovatives Green Building ausgezeichnet, profitierte er von der Zusammenarbeit mit einem lokalen Architekten, Michael Ngu. Das hochverdichtete Ensemble ist ein imposantes Projekt mit mehr als 1000 Wohnungen und zwei Bürogebäuden. 3000 Menschen leben, 20 000 arbeiten dort, aus deutscher Sicht gewöhnungsbedürftige Dimensionen. 125 Prozent der Grundfläche des Gebäudes sind als Grünflächen konzipiert. Ingenhoven hat nachhaltiges Bauen zu seinem Markenzeichen gemacht und den Begriff "supergreen" sogar patentieren lassen. Er legt Wert darauf, dass dahinter Substanz steht: "Der Anspruch wird in jedem Projekt ernsthaft hinterlegt."

Ingenhovens Vorbild könnte Mut machen, doch verglichen mit ihren europäischen Kollegen sind deutsche Architekten eher zaghaft. Bei einer Umfrage des Architects' Council of Europe fürchteten 40 Prozent von ihnen, im Ausland keine Arbeit zu finden - aber nur 22 Prozent der britischen, 17 Prozent der französischen und sieben Prozent der schwedischen Architekten. Fast ein Viertel der Deutschen glaubte außerdem, möglicherweise nicht qualifiziert genug zu sein - aber nur jeder zehnte Franzose oder Brite.

Das Netzwerk Architekturexport (NAX), 2002 von der Bundesarchitektenkammer gegründet, versucht, solche Bedenken abzubauen. Die Idee: Erfahrene Büros sollten Neulinge bei ihren ersten Schritten auf unbekanntem Terrain unterstützen. Man fährt gemeinsam nach Norwegen, China und sogar nach Iran. Was mit einer Handvoll Mentoren begann, umfasst inzwischen 60 Büros. Seit 2008 gibt es überdies einen German Pavilion auf der MIPIM, in dem sich deutsche Architekten präsentieren. Über die Jahre hat sich die Zahl der Aussteller von 15 auf 30 verdoppelt, es gibt jetzt eine Warteliste. Im Ausland tätig zu werden, sei schon ein "extrem mühsames Geschäft", sagt Markus Lehrmann, Hauptgeschäftsführer der größten deutschen Länderarchitektenkammer AKNW in Düsseldorf. Klar sei aber auch: "Man kann es nur schaffen, indem man es tut."

Es gibt sie ja, die Wagemutigen. André Kempe und Oliver Thill zum Beispiel, die nach einem Wettbewerbssieg im Jahr 2000 in Rotterdam ein Büro eröffneten und dort heute mehr als 20 Mitarbeiter beschäftigen. Oder Dominic Wanders. 2005 folgte der Emmericher einem Freund nach Dubai. Zunächst veranstalteten sie Architekturführungen, 2008 gründeten sie das erste eigene Büro. Heute bauen Wanders und sein Kompagnon Richard Wagner Luxusvillen. An die Dimensionen musste er sich erst gewöhnen: "2000 Quadratmeter sind ein normales Raumprogramm." Und die Bauvorschriften? "Learning by doing", sagt Wanders: "Da wird man auf dem Bauamt schon mal barsch zurückgewiesen. Irgendwann hat man's dann kapiert."

Die Mischung von Selbstbewusstsein und Offenheit kommt nicht von ungefähr. Wanders hat nicht nur in Berlin studiert, sondern auch in Delft und in Stockholm. "Wer Teile seiner Ausbildung im Ausland absolviert hat, der hat eine größere Tendenz, dort später auch tätig zu werden", sagt Niebergall. Insoweit ist Architekturexport auch eine Generationenfrage: Auslandssemester sind heute üblich, digitale Plattformen erleichtern Kommunikation und Planung auch über Distanzen hinweg. Niebergall: "Es ist für junge Architekten völlig normal, in der Cloud Teams zu bilden, bei denen der eine am Zürichsee sitzt und der andere in Berlin."

© SZ vom 05.10.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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