Wohnserie:Kaufen verboten

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In China darf man Grundbesitz nur pachten. Wohnungen in den großen Städten wie Peking und Shanghai sind schwer zu bekommen - es sei denn, man gehört zur Elite. Doch auch die Reichen haben so ihre Sorgen mit dem heiß gelaufenen Immobilienmarkt.

Von Christoph Giesen

Genau 621 Chinesen sind es inzwischen, die mehr als eine Milliarde Doller besitzen. Nirgendwo sonst auf der Welt gibt es mehr Superreiche als in der Volksrepublik. Die Welthauptstadt der Vermögenden ist längst nicht mehr New York oder London, sondern das vom Smog geplagte Peking. In den vergangenen Jahren sind daher die Immobilienpreise massiv in die Höhe geschnellt. In Peking zahlt man längst ähnlich hohe Preise wie in Paris oder Los Angeles. Mit einem Unterschied: In China kann man Immobilien nicht besitzen, die Volksrepublik ist ein sozialistisches Land. Grundbesitz darf man lediglich für 70 Jahre pachten.

Berechtigt in großen Städten wie Shanghai und Peking zu kaufen sind nur Bürger der jeweiligen Stadt - dieses Recht wird gewöhnlich vererbt. Sind die Eltern Pekinger, ist es auch das Kind. Egal, wo es geboren wurde. Die andere Möglichkeit: Man muss mindestens fünf Jahre lang Einkommenssteuer und Sozialabgaben gezahlt haben, bevor man kaufen darf. Trotzdem ist die Nachfrage ungebrochen.

Teilweise wird sogar die Mathematik ausgehebelt. Manche Wohnungen sind so teuer, dass man mit den Mieteinnahmen mehr als die 70 Jahre bräuchte, um die Kredite abzubezahlen. Doch: Auf den Sparkonten ist die Rendite gering, die Staatsbanken halten die Zinsen klein. Vom Aktienmarkt haben sich viele zurückgezogen. Und wegen der strikten Devisenkontrollen dürfen Chinesen nicht mehr als 50 000 Dollar pro Jahr ins Ausland transferieren. Viele hoffen auf den Wohnungsmarkt.

Zu denen, die sich Peking leisten können, gehört Jiang Xiaobei. Der 41-Jährige ist Schauspieler und Regisseur, vier Wohnungen in Peking gehören ihm bereits, er plant, eine weitere für seine Tochter zu kaufen. Sie ist im Vorschulalter. Gemeinsam mit seiner Frau Chen Rongrong, die als Partnerin einer PR-Agentur arbeitet, lebt er im Nordosten der Stadt auf 200 Quadratmetern, "Bing He No.1" heißt die Wohnanlage. Es gibt einen Wächter am Tor und gleich hinter dem Eingang einen hübschen Teich mit einem kleinen Wasserfall. Kinder spielen mit ihren Nannys. Chen bittet ins Haus, eine Villa im englischen Stil, er trägt Baseballmütze und Lederweste. "Ich habe noch eine weitere Wohnung in der Anlage, die habe ich vor einigen Jahren gekauft. Ich finde die Gegend schön", sagt er. Vom Fenster aus sieht man, wie seine Frau gerade ihren wuchtigen Porsche-Geländewagen eingeparkt. "Jetzt planen wir für unser Kind eine Wohnung in der Nähe einer Schule zu kaufen", erzählt er.

Nicht schön, aber kostspielig: Neubauwohnungen in Peking. (Foto: Jason Lee/Reuters)

Unschlüssig sind sie noch, wo. Die beiden besten Hochschulen des Landes, die Tsinghua-Universität und die Peking-Universität haben beide ihre Campusse im Bezirk Haidian, im Nordwesten der Stadt. Also nach Haidian ziehen? Die Tochter ist doch gerade erst fünf Jahre alt geworden. "Nun, die Sache ist so", sagt Chen, "die großen Universitäten kooperieren mit bestimmten Ober- und Mittelschulen, wer diese besucht, hat später einmal größere Chancen, an der Tsinghua oder der Beida zu studieren." Um wiederum auf die weiterführenden Schulen zu kommen, sei es ratsam, sein Kind in den richtigen Grundschulen anzumelden. Natürlich in Haidian.

"Ich habe einen Freund, der seine Wohnung verkauft und ein winziges Apartment in der Nähe einer der besten Grundschulen gemietet hat", sagt Chen. Das Problem: Außer den Universitäten ist in Haidian kaum etwas los. "Ich denke nicht, dass es sich lohnt, die Lebensqualität auf diese Weise zu senken. Ich würde mich sehr unwohl fühlen." Entschieden haben sie sich aber noch nicht.

Die Qual der Wahl der reichen Pekinger, Shi Liu hört davon fast jeden Tag. Seit drei Jahren arbeitet sie als Immobilienmaklerin in Peking. Sie stammt aus der Provinz Liaoning, im Nordosten Chinas, an der Grenze zu Nordkorea. Eine eigene Wohnung in Peking kaufen? Unmöglich. "Ich kann mir das nicht leisten." In ihrer Heimatprovinz hat sie vor Kurzem gekauft für 100 000 Yuan. "Eine kleine Wohnung im fünften Stock ohne Aufzug. Ich habe sie gekauft, ohne sie mir anzusehen." Damit die Eltern zufrieden sind. In Peking teilt sie sich ein Apartment mit zwei anderen Frauen. Dafür zahlt sie 2500 Yuan pro Monat, etwa 320 Euro, ziemlich genau ihr Grundgehalt. Der Rest ist Provision. In guten Monaten verdient sie 10 000 Yuan. "Ich arbeite dafür 14 Stunden, sechs Tage die Woche."

Zu den attraktivsten Kunden gehören Ausländer, vor allem Manager, die entsandt worden sind. Von BMW, Siemens oder Volkswagen. Die meisten Makler kennen die Wohnungszuschüsse der Konzerne im Detail und passen die Angebote daran an: 30 Euro pro Quadratmeter ist keine Seltenheit, dazu kommt noch die unterschiedliche Auslegung, wie man die Größe einer Wohnung ermittelt. In China werden alle Wände miteingerechnet, auch die dicken Außenmauern, die im frostigen Pekinger Winter die Kälte abhalten sollen. Außerdem werden Keller, Lobby und Aufzug prozentual umgelegt. Wer also eine hundert Quadratmeter große Wohnung sucht, sollte von 160 chinesischen Quadratmetern aufwärts besichtigen.

Moskau (Foto: Mainka; Logo wohnen in)

Shi Liu selbst hat in ihren drei Jahren in Peking schon in vier Wohnungen gelebt. "Am Anfang am Stadtrand, das Haus wurde abgerissen. Für ein Einkaufszentrum", sagt sie. So kann das gehen in Peking. Auch die Mietverträge schützen kaum. Gewöhnlich werden sie für ein Jahr abgeschlossen. Erhöhungen von 40 Prozent können danach schon einmal vorkommen. Manchmal sogar noch während der Vertragslaufzeit. Denn: Kündigt eine Partei vorzeitig, sind zwei Monatsmieten fällig. Manchen Vermieter stört das nicht, findet er einen neuen Mieter, der bereit ist, deutlich mehr zu zahlen, bekommt man das Geld ausgehändigt und sitzt auf der Straße.

So wie Hua Li vor ein paar Jahren. Auch sie weiß, wie die reichen Pekinger leben. Sie putzt ihre Wohnungen. Tante Hua wird sie überall genannt. "Einmal wurden mein Mann und ich von der Polizei aus unserem Zimmer vertrieben, weil wir keine Aufenthaltserlaubnis für Peking haben", erzählt sie. "Wir haben auf der Straße gewartet, bis die Polizei weg war und sind dann wieder zurück gezogen." Geboren wurde sie während der Kulturrevolution in der bitterarmen Provinz Anhui. Lesen und schreiben kann sie kaum, ein paar Jahre Grundschulde hat sie besucht, dann musste sie aufs Feld, zur Arbeit.1999 kam sie nach Peking. Der Sohn war damals zehn Jahre alt. Die Tochter sechs. Inzwischen sind ihre Kinder auch Wanderarbeiter, sie leben in Nanjing. Vor ein paar Wochen ist sie Großmutter geworden, gesehen hat sie ihren Enkel noch nicht. Während des Frühlingsfestes, Ende Januar, wird es soweit sein, wenn die Familie im Heimatort in Anhui zusammenkommt. Von dem Ersparten haben sie dort ein Haus gekauft. Es gehört inzwischen dem Sohn.

In Peking leben ihr Mann und sie in einem Dorf vor den Toren der Stadt, da, wo Peking sehr ländlich ist. Wo die Berge beginnen und man Bauern mit Sensen das Gras mähen sieht. Für das Zimmer, zwölf Quadratmeter, in einem zweistöckigen Gebäude, zahlen sie 800 Yuan pro Monat. Fünf Tage die Woche fährt sie mit dem Bus zur Endhaltestelle der U-Bahn und dann in die Stadt, zwei Stunden ist sie dann unterwegs. Ein wenig mehr noch als der Durchschnitt. In keiner Stadt der Welt wird länger gependelt als in Peking. 105 Minuten jeden Tag.

Die SZ berichtet in dieser Serie über das Thema Wohnen in wichtigen Städten der Welt. Bisher sind folgende Texte erschienen: Rom (17./18. August), Madrid (7./8. September), Tokio (21./22. September), Istanbul (12./13. Oktober), Tel Aviv (2./3. November) und Bern (16./17. November).

© SZ vom 30.11.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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