SZ-Serie:Der allererste Spekulant

Joseph steuerte Ägypten durch sieben fette und sieben magere Jahre. Die Bibel liefert eine geschickte Deutung von Tendenzen auf den Märkten.

Hermann Unterstöger

"Fasse dich", sagt der Pharao zu Joseph, "dass du nachher nicht etwa in Ohnmacht sinkst, weil dir zumute ist, als trüge ein geflügelter Stier dich zum Himmel!" Joseph ist indessen weit davon entfernt, in Ohnmacht zu sinken.

SZ-Serie: Joseph gibt sich seinen Brüdern zu erkennen.

Joseph gibt sich seinen Brüdern zu erkennen.

(Foto: Foto: dorelillustrations.com)

Er sieht, was nun mit ihm geschieht, vielmehr als notwendigen und zudem höchst erfreulichen Teil dessen an, was Thomas Mann am Ende seiner Josephs-Tetralogie eine "schöne Geschichte und Gotteserfindung" nennt. Aufgrund dieser Einordnung kann er gelassen anhören, welche Titel ihm der Pharao zu verleihen geruht: Groß-Wesir, Freund der Ernte Gottes, Nahrung Ägyptens, Schattenspender des Königs, Vater des Pharao, Fürst des Inneren, Vize-Gott.

Im Nahrungsmittelgeschäft tätig

Das ist mehr, als auf eine Visitenkarte passt, selbst auf eine altägyptische, und heutige Josephs-Kritiker sähen es sowieso lieber, wenn darauf nur ein einziger Titel stünde: Spekulant.

Sie halten den biblischen Joseph für den ersten Spekulanten der uns bekannten Geschichte, dazu für einen besonders üblen, weil er im Nahrungsmittelgeschäft tätig war. Auf einem Diskussionsforum stand kürzlich folgendes über ihn zu lesen: "Seinen Ruf als Ernährer verdankt er im Grund einer gut organisierten Spekulation gigantischen Ausmaßes. Selbst in der Darstellung der Bibel ist unschwer erkennbar, dass Joseph die Hungersnot, der er seinen Ruf verdankt, selbst erzeugte."

Dass Joseph die Hungersnot selbst erzeugt habe, dafür gibt es in der Bibel allerdings keinen Hinweis. Die Geschichte findet sich im ersten Buch Mose, der Genesis, und sie geht ungefähr so. Der von seinen Brüdern in die Fremde verkaufte Joseph saß damals im Gefängnis, weil er sich, keusch wie er war, der Frau seines Dienstherrn Potiphar verweigert hatte und deswegen von dieser der versuchten Vergewaltigung bezichtigt worden war.

Zusammen mit ihm saßen im Knast auch der Mundschenk und der Oberbäcker des Pharao, und als die beiden eines Nachts seltsame Träume hatten, deutete Joseph sie ihnen kollegialerweise aus: Der Mundschenk komme wieder zu Gnaden, der Oberbäcker an den Galgen. Genauso geschah es dann auch.

Zwei Jahre später träumte der Pharao. Beim ersten Mal sah er sieben fette Kühe, die von sieben mageren aufgefressen wurden, bei zweiten Mal waren es sieben schöne, pralle Ähren, die von sieben dürren verschlungen wurden.

Da ließ er alle Wahrsager des Landes zusammenrufen, doch es war keiner darunter, der ihm die Träume hätte auslegen können. Bei dieser Lage der Dinge fiel dem Mundschenk sein einstiger Mitgefangener ein, und so holte man Joseph aus dem Loch.

Dieser analysierte sofort, dass es sich hier nicht um zwei Träume handle, sondern um ein und denselben, nur mit jeweils anderen Versatzstücken, und ähnlich leicht fiel ihm die Interpretation. Es kämen, sagte er, zunächst sieben ertragreiche Jahre, danach aber sieben Hungerjahre, "und die Größe des Mangels wird die Größe des Überflusses zunichte machen".

Herr des Überblicks

Da Joseph schon mal in Fahrt war, gab er dem Pharao auch gleich den Rat, sich nach einem obersten Verwalter umzusehen, der sowohl den Überfluss als auch den Mangel würde zu managen haben - eine Stellenbeschreibung, die sich wie eine Eigenbewerbung anhörte und vom Pharao auch so verstanden wurde.

Ohne sich lang zu bedenken, erhöhte er ihn zum, wie es im Roman heißt, "Herrn des Überblicks, in dessen Hände oberste Vollmacht gegeben sei, dass du die Fülle züchtigst und die Länder ernährst in den Jahren der Dürre".

Ist das eine Spekulation in dem Sinn, wie sie landläufig und auch kirchlicherseits verstanden wird? Das Lexikon für Theologie und Kirche definiert die Spekulation zweifach: zum einen als unternehmerische Tätigkeit, die sich von bestimmten Erwartungen über die künftige Marktentwicklung leiten lässt, zum anderen als das Streben, aus zu erwartenden oder vom Spekulanten selbst herbeizuführenden Preisbewegungen Gewinne zu erzielen.

Misst man Josephs und des Pharaos unternehmerische Tätigkeit daran, steht man als erstes vor der Frage, ob und inwieweit der Traum von den Kühen und Ähren als Erwartung künftiger Marktentwicklungen einzuschätzen ist.

Auf der nächsten Seite: Wie Joseph zum Tycoon wurde.

Der allererste Spekulant

Selbst in Zeiten, da man den Träumen allergrößte Geltung beimaß, aus ihnen nicht selten die Gottheit höchstpersönlich heraushörte, besaß man die Freiheit, den aktuellen Traum als wirres Zeug abzutun.

Nun hatte freilich in diesem Fall nicht irgendwer geträumt, sondern der Pharao, und das noch dazu doppelt. Dergleichen ungedeutet im Raum stehenzulassen, wäre seinerzeit nicht angegangen, wobei höchstens zu fragen wäre, wieso der Pharao der Gurus bedurfte, wo er doch, dank seiner Gottgleichheit oder jedenfalls -ähnlichkeit, die Auslegung locker selbst hätte erledigen können. Thomas Mann trägt diesem Umstand Rechnung, indem der Joseph seines Romans stets so tut, als rede er nur das daher, was zu reden der Pharao ihm auf magische Weise eingibt.

Goldene Nase verdient

Wie auch immer, die Träume wurden für bare Münze respektive echte Markttendenzen genommen. Das führt zu der zweiten und entscheidenden, weil moralisch relevanten Frage, ob da auf unredlichen Gewinn gesetzt wurde. Dass weder der Pharao noch Joseph die Dürre herbeiführten, ist unstrittig; sie waren sich der kommenden Ereignisse jedoch absolut sicher.

Dem Bibelbericht ist in dieser Hinsicht nichts Bündiges zu entnehmen, aber dass die Hortung des Getreides und dessen spätere Ausgabe keine reine Wohltätigkeitsveranstaltung waren, wird hinlänglich deutlich: Der Nilstaat verdiente gut am Verkauf, bei der pharaonischen Machtfülle dürfte es auf die sprichwörtliche goldene Nase hinausgelaufen sein.

Darüber hinaus wird man den außenpolitischen Nutzen, der aus der Not der umliegenden, von der Hungersnot nicht weniger betroffenen Länder zu ziehen war, gern mitgenommen haben. Zu diesem Punkt schweigt sich die Genesis ebenfalls aus, aber wir haben ja Thomas Mann, der, wiewohl in Bibeldingen ohne kirchenamtliche Deutungsbefugnis, diesen Aspekt auf seine Weise bedacht hat. Er lässt seinen Joseph zu Pharao über gewisse Stadtkönige Syriens und des Fenechierlandes sprechen, die auf beiden Achseln trügen und es mit ihrer Treue zum Pharao nicht allzu genau nähmen. Ein guter Verwalter des gehorteten Reichtums müsse auf sie ebenfalls sein Augenmerk richten "und zusehen, dass Untreue gedämpft und Wankelmut gefesselt werde an Pharao's Thron".

So wurde Joseph ein großer Mann in Ägypten, eine Art Tycoon, wie man heute sagen würde. Woher er seinen durchaus listigen Geschäftssinn hatte, steht übrigens sehr wohl in der Bibel. Joseph war ja ein Kind Jakobs, sein erster Sohn mit Rahel, der Lieblichen.

Dieser Jakob diente lange Jahre bei Laban, seinem Schwiegervater (alias Schwäher, wie es in der Bibel heißt). Als er aus dessen Diensten treten wollte, machte er ihm wegen des Lohnes einen kuriosen Vorschlag. Er wolle, sagte er, aus den Herden nur das, was künftig gesprenkelt oder gefleckt zur Welt käme. Laban war das recht, doch hatte er nicht mit Jakobs spekulativem Geist gerechnet. Dieser legte nämlich an den Stellen, wo die Schafe und Ziegen zur Tränke kamen und sich auch zu paaren pflegten, Stecken ins Wasser, die er vorher so geschält hatte, dass sie hell und dunkel gestreift waren.

Und was soll man sagen: Die weiblichen Tiere empfingen und warfen Junge, so gesprenkelt und gefleckt, dass es eine Freude war, wenn auch nicht für den Geizkragen Laban. Jakob aber wurde ein reicher Mann - "herdenschwer", wie Thomas Mann das gerne nennt.

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