Streit um Gesundheitsreform:Jahrmarkt der Milliardenjongleure

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Mehrkosten für alle: Versicherte und Arbeitgeber sollen von 2011 an höhere Beiträge für die Krankenkassen zahlen, aber auch auf Bund und Länder kommen neue Belastungen zu. Die Koalition ist sich in zwei zentralen Fragen uneinig.

Guido Bohsem

Wer sich mit eigenen Augen ein Bild vom Zustand der schwarz-gelben Koalition machen möchte, sollte ins niederbayerische Abensberg reisen. Dort geht an diesem Montag der Gillamoos zu Ende, ein riesiges Volksfest, das jedes Jahr schon mindestens seit 1313 gefeiert wird. Ebendieser Jahrmarkt wird aller Voraussicht nach zum Ort des nächsten Koalitionskrachs in der Gesundheitspolitik werden. Unweit von einander treten in den Bierzelten sowohl Bundesgesundheitsminister Philipp Rösler (FDP) als auch sein bayerischer Amtskollege Markus Söder (CSU) an die Rednerpulte, um dem Volk möglichst deftig ihre Sicht der Dinge unter die Nase zu reiben.

Versicherte und Arbeitgeber müssen sich auf höhere Kosten einstellen. (Foto: ZB)

Und diese Sicht geht zumindest zwischen Rösler und Söder ziemlich weit auseinander, was die aktuellen Pläne für eine Reform des Gesundheitssystems betrifft. Der Koalitionsstreit zwischen FDP und CSU, er ist nicht vorbei, einer Grundsatzvereinbarung der drei Parteichefs von CDU/CSU und Liberalen zum Trotz. Der Zoff hat den Sommer über nur eine Pause gemacht.

Den Auftakt hatte Johannes Singhammer gemacht, CSU-Politiker und stellvertretender Vorsitzender der Unionsfraktion im Bundestag. Er deutete in einem Interview der Berliner Zeitung an, Teile der Reform erst später zu vereinbaren. Schließlich gebe es keinen Zeitdruck, was die Einführung eines Sozialausgleichs für die Zusatzbeiträge der Versicherten betreffe. Söder konkretisierte die Bedenken am Sonntag in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung.

Die Streitpunkte für die kommenden Wochen sind schon benannt. Bei der Klausurtagung der schwarz-gelben Gesundheitsexperten wurden die Verhandlungen darüber aber zunächst vertagt:

Zusatzbeiträge: Im Zentrum des Konflikts steht die alte Frage, inwieweit es Rösler gelingen wird, einen Einstieg in eine Kopfpauschale zu verankern. In diesem System würde jedes Kassenmitglied unabhängig vom Einkommen den gleichen Beitrag zahlen - egal ob er als Ingenieur bei Daimler arbeitet oder dort die Toiletten schrubbt. Um die Putzfrau nicht zu überfordern, würde sie einen staatlichen Sozialausgleich erhalten, so das Fernziel des FDP-Politikers.

CSU-Chef Horst Seehofer hat seit dem Start des Regierungsbündnisses in Berlin hingegen alles versucht, um dieses Modell zu verhindern. Als Kompromiss vereinbarte er dann mit FDP-Chef Guido Westerwelle und Bundeskanzlerin Angela Merkel eine Überarbeitung der bisherigen Zusatzbeiträge. Diese müssen die Kassen direkt von ihren Mitgliedern einfordern, wenn sie mit dem Geld aus dem Gesundheitsfonds nicht auskommen.

War dieser zusätzliche Beitrag bislang nach oben gedeckelt, kann er künftig beliebig hoch sein. Nach den bisherigen Plänen wird das Gesundheitsministerium Anfang 2011 eine Art durchschnittlichen Zusatzbeitrag festsetzen. Wenn dieser zwei Prozent des Einkommens eines Versicherten übersteigt, soll es einen Sozialausgleich geben. Verdient also ein Arbeitnehmer 1000 Euro brutto im Monat, dann erhält er einen Ausgleich, wenn der Zusatzbeitrag beispielsweise bei 25 Euro liegt. Sein Arbeitgeber soll diese fünf Euro dann automatisch von den prozentual erhobenen Beitragszahlungen abziehen und somit die Gesamtzahlungen des Mitarbeiters an die Kasse senken. Bei Ruheständlern ist die Rentenversicherung dafür zuständig.

Der Rösler-Plan erntet in Fachkreisen durchaus Lob. Der Erfinder des Gesundheitsfonds beispielsweise, der Dortmunder Ökonom Wolfram Richter, urteilte jüngst: "Insgesamt kann man von einer sinnvollen Weiterentwicklung sprechen." Er meinte damit die Geldverteilungsmaschine Gesundheitsfonds, den die FDP vor der Bundestagswahl freilich noch abschaffen wollte.

Zu Änderungen wird es voraussichtlich bei der Frage kommen, ob Bezieher von Arbeitslosengeld 1 ihre Zusatzbeiträge selbst tragen sollen. Nach den bisherigen Vorstellungen würde das Geld von der Bundesagentur für Arbeit überwiesen. Der CDU-Gesundheitsexperte Jens Spahn hatte dies kritisiert. Der Punkt soll überarbeitet werden.

Hausärzte: Streit zeichnet sich auch über die Zukunft der Hausarztverträge ab. Mit der Regelung sollen die Allgemeinmediziner zu einer Art Lotsen durch das Gesundheitssystem gemacht werden. Die Kassen wehren sich mit Vehemenz gegen die Regelung, die den Medizinern eine Art Verhandlungsmonopol zusichert, und wollen sie am liebsten wieder abschaffen. Rösler und die CDU kommen ihnen dabei entgegen. Die CSU hat allerdings bereits erklärt, sie werde Einkommensverluste für die Hausärzteschaft nicht hinnehmen.

Einig sind sich die Koalitionäre über das Vorhaben, die Beiträge Anfang 2011 um 0,6 Punkte auf 15,5 Prozent des Bruttoverdienstes anzuheben. Versicherte und Arbeitgeber müssen mit Zusatzbelastungen von jeweils etwa zwei Milliarden Euro rechnen. Auf Rentner und Rentenversicherung kämen Belastungen in Höhe von 1,3 Milliarden Euro zu.

Aber Bund und Länder zahlen drauf. Der Etat von Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) wird jährlich mit etwa 420 Millionen Euro belastet werden - vor allem weil der Bund als Arbeitgeber höhere Zuschüsse zahlen muss und weil er die Kosten für die Krankenversicherung von Hartz-IV-Empfängern trägt. Für die Länder entstehen nach Berechnungen des Gesundheitsministeriums Mehrausgaben von etwa 170 Millionen Euro im Jahr.

Besonders hart werden Bund, Länder und Gemeinden aber durch eine andere Regelung getroffen. Ihnen droht, so das Finanzministerium, ein Minus bei der Einkommensteuer, weil die Krankenversicherungsbeiträge ab 2011 besser von der Steuer abgesetzt werden können.

© SZ vom 06.09.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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