Stadtteil Wilhelmsburg:Lego-Spiele in Hamburg

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Hier entsteht ein sechsgeschossiges Holzhaus, in das einmal Studenten einziehen sollen. Das Besondere daran ist die Bauweise: Die fertigen Apartments werden einfach aufeinandergestapelt.

Von Sabine Richter

Im Hamburger Stadtteil Wilhelmsburg, überregional bekannt geworden durch die Internationale Bauausstellung IBA in den Jahren 2006 bis 2013, entsteht derzeit ein ungewöhnliches Gebäude: Sechs Geschosse mit 371 Studentenwohnungen, fast komplett aus Holz und damit derzeit das größte Holzhaus Hamburgs. Warum der Bau die Art, wie heute Wohnhäuser gebaut werden, revolutionieren könnte, liegt aber nicht nur am Material, sondern an der Bauweise.

Jedes der knapp 20 Quadratmeter großen Holzmodule kommt inklusive Innenausbau samt Elektro- und Sanitärleitungen sowie kompletter Nasszelle und einer kleinen Vorratskammer per Lkw fertig montiert auf die Baustelle. Auch die Möblierung ist komplett, mit Schreibtisch, Bett und Bettkasten, Einbauschrank, kleinem Küchenblock und ausklappbarem Tisch. Möbel und Wände sind aus hellem Vollholz gefertigt. Wer einzieht, braucht nur seinen Laptop und seine Zimmerpflanze mitzubringen, heißt es auf der Projekt-Homepage. Die fertigen Apartments werden wie bei einem Lego-Bauwerk aufeinandergestapelt und verbunden.

Das erste Geschoss und die späteren Fahrstuhlschächte des Studentenwohnheims werden aus Beton sein. Auch die tragende Sockelkonstruktion im Erdgeschoss wird aus Stahlbeton gefertigt, um die Lasten der sechs Etagen aus Holzcontainern (insgesamt 1786 Tonnen Holz) abzufangen und in die Fundamente zu leiten. Die Treppenhäuser sind ebenfalls aus Stahlbeton und dienen zur Aussteifung und zum Abfangen der Windlasten.

Offizielle Grundsteinlegung für das "Woodie", so der Projektname, war im Dezember 2016. In diesem Herbst, zum Beginn des Wintersemesters, soll es bezugsfertig sein, etwa acht Monate früher als ein herkömmlicher Bau. Derzeit seien bei der Herstellerfirma 50 Module gleichzeitig in Arbeit, erklärt Bauherr Achim Nagel. Das Projekt gilt bei der Stadt als spektakuläres "Auftaktprojekt" für eine neue Siedlungsachse mitten im Stadtteil Wilhelmsburg, die dort in den kommenden Jahren entsteht - nach der Verlegung der den Stadtteil trennenden Wilhelmsburger Reichsstraße.

Im Osten Hamburgs liegt das größte Reservoir für Wohnungsneubau in Hamburg. Die Bauausstellung IBA, die sich als Experimentierfeld der Stadtentwicklung versteht, machte dafür den Anfang. Deshalb sei das Holzgebäude auch als eine Art Nachklapp der Bauausstellung zu verstehen, sagt Nagel dazu. Hier lernte er auch seinen Co-Investor Torsten Rieckmann kennen, beide haben IBA-Gebäude gebaut.

Etwa 37 Millionen Euro investieren nun Nagel und Rieckmann in den Bau. Sie wollen das Haus im eigenen Bestand halten; dem Prototypen sollen weitere folgen. Billig wird der Bau nicht; Nagel schätzt, dass die Kosten zehn bis 20 Prozent über den Baukosten eines vergleichbaren konventionellen Studentenbaus liegen. Die Höhe der Miete werde noch kalkuliert, sagt der Bauherr, sie dürfte aber über 400 Euro netto kalt liegen. "Bei dem hohen Standard auch im Innenausbau geht es nicht billiger", meint Nagel. Der Entwurf für den Holzbau stammt vom Berliner Architekturbüro Sauerbruch Hutton, das auch das benachbarte, architektonisch ebenfalls ungewöhnliche Behördengebäude entworfen hat.

Die Gemeinschaftsbereiche sind bei Woodie genauso durchdacht wie die Wohneinheiten. Der Eingangsbereich soll als gemeinsames Wohnzimmer der Bewohner dienen, hier kann gespielt, gelesen, gemeinsam ferngesehen werden. Im Erdgeschoss sind Gewerbeflächen sowie überdachte Fahrradstellplätze geplant. An einem zentralen Ort wird der Bau Waschmaschinen und Trockner bieten, die mithilfe einer App gesteuert und abgerechnet werden. Produzent der Holzmodule ist das Vorarlberger Unternehmen Kaufmann Bausysteme, das neben einer Reihe von Wohnbauprojekten in München auch ein Hotel aus Holzmodulen errichtete.

"Die Serienproduktion und der hohe Grad der Vorfertigung verkürzen die Bauzeit drastisch."

Die Module werden in Folien verpackt, per Tieflader nach Hamburg transportiert und dann vor Ort montiert, die Anschlüsse für Sanitär- und Elektroleitungen müssen nur noch in den außen liegenden Schächten zusammengestöpselt werden. Dann ist das Apartment bezugsfertig.

Gut 80 Prozent des Neubaus sind damit vorgefertigt, auch die (Holz-)Fenster sind schon eingebaut. Nur eine vorfabrizierte Holzfassade muss noch nachträglich auf die einzelnen Elemente geschraubt werden - dafür muss das Gebäude dann doch eingerüstet werden. "Die Serienproduktion und der hohe Grad der Vorfertigung verkürzen die Bauzeit drastisch", sagt Nagel. Gleichzeitig werde eine sehr hohe Qualität im "Ausbau-Finish" erreicht. Die konstruktiven Wände aus zehn bis zwölf Zentimeter dickem Massivholz blieben sichtbar, was eine angenehme Wohnatmosphäre schaffen soll.

Seine Liebe zum Baustoff Holz hat auch Rolf Buch, Chef des Wohnungskonzerns Vonovia, entdeckt. Im Bochumer Stadtteil Hofstede entsteht derzeit ein Holzhybridgebäude mit 45 Holzmodulen, laut Vonovia das erste seriell produzierte Mehrfamilienhaus Deutschlands. Ein Pilotprojekt, bei Erfolg sollen weitere Projekte folgen. In der Rekordzeit von drei Monaten wurde das dreistöckige Haus mit 14 Wohnungen, alle mit Balkon oder Terrasse, hochgezogen, und zwar innerhalb einer bestehenden Vonovia-Siedlung. Die Baukosten betragen 1,6 Millionen Euro, 1800 Euro pro Quadratmeter.

In Kürze können die ersten Mieter einziehen. Sie bezahlen für die 44 bis 88 Quadratmeter großen, teils Barriere-armen Wohnungen eine Kaltmiete von knapp über neun Euro. "Wir können damit schnell günstigen Wohnraum schaffen und das Flächenpotenzial durch Verdichtung und Aufstockung besser ausnutzen", sagte Buch bei der Vorstellung des Projekts. Und beim modernen Stand der Materialtechnik weise Holz bei Wärmedämmung, Lärm- und Brandschutz keinerlei Nachteile mehr gegenüber anderen Baustoffen auf.

© SZ vom 31.03.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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