Spielplätze:Lozziwurm und Rüsselrutsche

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Kindheit in den 70er-Jahren: Der Lozziwurm, ein Spielschlauch aus Plastik, wurde 1972 von einem Schweizer Künstler entworfen. (Foto: Heidy Gantner)

Kinder verbringen immer weniger Zeit im Freien. Umso wichtiger sind Spielplätze, die Mut und Geschicklichkeit fördern. Dazu braucht es gar nicht viel.

Von Joachim Göres

Eine Wippe, zwei Schaukeln, ein Kletterturm und ein kleines Fußballtor. Am Eingang weist ein Schild darauf hin: "Spielplatz für Kinder und Jugendliche". So sieht es hier aus, am Rande eines Wohnviertels. Es ist einer von etwa 120 000 Spielplätzen in Deutschland. Kinder sieht man hier eher selten. Liegt es daran, dass in der Nachbarschaft nur wenige Mädchen und Jungen leben, dass es keine Rutsche gibt, dass die Fläche ohne Höhenunterschiede und ohne Versteckmöglichkeiten nicht attraktiv genug ist? Immer wieder werden kleine Spielplätze wegen geringer Nutzung geschlossen, vor allem in kleinen Siedlungen oder abseits der Stadtzentren. In vielen Großstädten dagegen ist die Lage ganz anders. Weil die Metropolen wachsen, wird es auch auf den Spielplätzen immer voller. Viele Stände investieren daher in neue Flächen und Spielgeräte.

Das ist dann zum Beispiel ein Fall für die Bernd Merten GmbH. Das Unternehmen im niedersächsischen Hude baut Spielgeräte. "Lange Rutschen sind bei Kindern nach wie vor beliebt", sagt Bernd Merten. Der Trend geht aber klar weg vom Standard-Spielplatz. Im vergangenen Jahr hat das Unternehmen zum Beispiel in Osnabrück einen sechs Meter hohen Holzturm gebaut, an dem Kinder über eine Hängebrücke und Balancierbalken hochklettern können, um dann über eine der beiden Tunnelrutschen in hohem Tempo nach unten zu gelangen.

Es müsse aber nicht immer das Modernste und Teuerste sein, sagt Merten. "Viele Kinder können nicht mehr schaukeln und richtig in Schwung kommen, weil es oft nur Vogelnestschaukeln gibt. Eine einfache Schaukel ist für die motorische Entwicklung wichtig." Großer Beliebtheit erfreut sich bei Mädchen und Jungen Wasser - zu erleben auf der Spielanlage des Kinder- und Familienzentrums Norderholz in Bremen, für den die 20 Mitarbeiter zählende Firma aus Hude neben einem Spielschiff mit Rutsche sowie einer Doppel- und Bauchschaukel auch eine Wasserspielanlage mit Matschtisch gebaut hat. Aus optischen Gründen sind auf Spielplätzen laut Merten krumme statt gerade Hölzer immer mehr gefragt. "Das Holz der Robinie ist 30 Prozent teurer als Kiefernholz, verfault aber nicht so schnell und wird deswegen zunehmend für Spielgeräte eingesetzt."

Robinie ist teurer als Kiefernholz, verfault aber nicht so schnell - gut für Spielgeräte

Warum sehen Spielplätze so aus, wie sie aussehen, welche Konzepte und Ideen gab und gibt es in aller Welt? Diesen Fragen geht derzeit eine Ausstellung unter dem Titel "The Playground Project" im Deutschen Architekturmuseum in Frankfurt nach. Dort werden die jungen Besucher ausdrücklich zum Toben und Spielen aufgefordert, was sie sich nicht zweimal sagen lassen - man hört Kinder und Jugendliche juchzen und schreien, wenn sie sich in einer Tunnelrutsche zunächst krabbelnd aufwärts bewegen und dann abwärts sausen. Auch die Plastikdoppelwippe und das Plastikkarussell werden von den jungen Besuchern gerne benutzt, während sich ihre Eltern in der Ausstellung über deren Schöpfer Günter Beltzig informieren. Der heute 78-Jährige lebt in Hohenwart bei Ingolstadt und gilt als einer der erfahrensten Spielplatz-Designer, der für westdeutsche Spielplätze ganze Rutschberge entwarf und in den 60er-Jahren auf Polyester in knalligen Farben als Material setzte. Seit der Ölkrise in den 70er-Jahren gewann dann Holz auf den Spielplätzen immer mehr an Bedeutung. In der DDR war dagegen seit Mitte der 60er-Jahre überall die Rüsselrutsche zu finden. Über eine kleine Leiter gelangten Kinder auf einen Betonelefanten, über dessen Rüssel sie runterrutschen konnten.

In der Ausstellung werden auch andere Pioniere gewürdigt, die maßgeblich die Entwicklung von Spielplätzen beeinflusst haben. Dazu gehört der Däne Carl Theodor Sørensen (1893-1979). Der Landschaftsarchitekt bemerkte, dass seine ersten konventionell angelegten Spielplätze nur wenig Zulauf von Kindern hatten. Daraufhin beobachtete er Mädchen und Jungen beim Spielen im Freien und stellte fest, dass sie sich vor allem auf Brachflächen, Schrotthalden und Trümmergrundstücken aufhielten und das Material, das sie dort vorfanden, zum Spielen nutzten. So entstand bei Sørensen die Idee des Skrammellegeplads - zu Deutsch: Gerümpelspielplatz. Er war überzeugt, dass Kinder als Spielgeräte höchstens einen Kletterbaum oder hängende Autoreifen zum Schwingen brauchen und sich ansonsten mit Sand und Wasser beim Matschen vergnügen oder mit Baumaterial und Werkzeug ihre Umgebung nach ihren Wünschen gestalten. Weniger ist mehr, um die Fantasie und Selbständigkeit anzuregen. Sein Konzept verwirklichte er erstmals 1943 im Kopenhagener Vorort Emdrup. Auf historischen Fotos sind in der Ausstellung Kinder und Jugendliche zu sehen, die auf einem großen freien Platz Steine zu einer Mauer aufstapeln, mit Pinseln Mauern bemalen, es wird gehämmert, gesägt, geschraubt.

Die Nachbarn sollten bei der Planung der Anlagen mitreden dürfen

Sørensens Idee des Bauspielplatzes entwickelte sich vor allem in England weiter zum Abenteuerspielplatz. In Deutschland eröffnete 1967 in Berlin im Märkischen Viertel der erste Abenteuerspielplatz, heute ist Nürnberg die Hochburg der Abenteuerspielplätze. "Mit Abenteuer ist nicht eine besondere Gefahr beim Spielen gemeint, sondern ein durchs Spielen eingeleiteter Lernprozess mit unbekanntem Ausgang", sagt Rainer Deimel, der den Verein ABA Fachverband Offene Arbeit mit Kindern und Jugendlichen mit Sitz in Dortmund leitet. Heute gibt es nach seiner Schätzung in Deutschland etwa 500 Bau- und Abenteuerspielplätze inklusive Jugendfarmen und Kinderbauernhöfe. Dort steht für die Kinder der Umgang mit Feuer, Wasser, Erde und Luft im Mittelpunkt, vielerorts gehört auch Tierhaltung zum Konzept. Sozialpädagogen und Erzieher betreuen die Plätze und unterstützen die Kinder zum Beispiel beim Hüttenbau - ohne Vorgaben, das Ziel ist der selbständige Umgang mit den Materialien. Deimel weiß, dass die draußen verbrachte Zeit von Kindern seit den 70er-Jahren (mehr als 30 Stunden in der Woche) auf heute unter zehn Stunden gesunken ist. "Früher haben Abenteuerspielplätze Spielgeräte abgelehnt, heute gibt es zum Teil welche, um Kinder langsam ans freie Spielen heranzuführen", sagt er.

Deimel lobt Hersteller dafür, zunehmend Geräte anzubieten, die Mut und Geschicklichkeit sowie Kooperation zwischen Kindern fördern. Die Richter Spielgeräte GmbH aus Frasdorf am Chiemsee hat zum Beispiel eine Anlage entwickelt, auf der größere Kinder in einer Höhe von 1,75 Meter mehrere Meter über ein Seil balancieren können. Auf einer Wippkarussellschaukel finden bis zu zehn Kinder sitzend und stehend Platz auf Reifen, die sie durch Gewichtsverlagerung zum Schwingen bringen können, wenn sie ihre Bewegungen miteinander abstimmen. Gleichzeitig beobachtet Peter Heuken, Leiter der Planungsabteilung in dem mehr als 100 Mitarbeiter zählenden Unternehmen, dass Kinder auf dem Spielplatz nicht mehr das tun und lassen dürfen, wozu sie Lust haben. "Viele Eltern lassen ihre Kinder auf dem Spielplatz nicht mehr selbstbestimmt spielen, sondern sie müssen höher klettern, schneller rennen oder nichts davon, weil Risiko und Wagnis den Eltern nicht geheuer sind", sagt Heuken. Zudem kritisiert er Planer und Architekten, die viele Spielplätze vor allem unter ästhetischen Aspekten entwerfen: "Die Welt der Kinder findet sich eher in einer Baugrube als auf dem supersicheren, superstylischen Spielplatz." Nötig seien Spielräume, die von den Kindern verändert werden können.

Nach den Bauordnungen der Bundesländer müssen beim Neubau von mehr als drei Wohnungen auch Spielplätze mit eingeplant werden. Rolf von der Horst, Herausgeber der Fachzeitschrift Stadt und Raum, glaubt nicht, dass diese Bestimmungen immer eingehalten werden. Mitunter könne es auch sinnvoll sein, Spielplätze aufzugeben und sich auf Flächen zu konzentrieren, die Kinder tatsächlich nutzen. Wichtiger ist ihm etwas anderes: "Spielplätze sind abgezirkelte Räume mit vorgegebenen Regeln. Wir bevorzugen Spielräume mit Anregungspotenzial, bei denen nicht definiert ist, was wo gemacht wird", sagt das Mitglied der Jury, die alle zwei Jahre den deutschen Spielraum-Preis verleiht. 2019 gingen die Hauptpreise an den Hamburger Baakenpark, den Regensburger Brixenpark und den Sport- und Freizeitcampus Kohlelager in Landau, die ausdrücklich für die gemeinsame Nutzung von Jung und Alt angelegt wurden. Ein Modell ist für von der Horst die hessische Stadt Griesheim, die 100 Spielobjekte auf Wegen und Plätzen aufgestellt hat, die zum Klettern, Hüpfen, Balancieren und vielem mehr anregen sollen. Sie sind mit einem Wegenetz so verbunden, dass Kinder sie gut zu Fuß erreichen können.

Von der Horst sieht auch bei der Anlage von speziellen Kinderspielplätzen positive Entwicklungen: Es werde zunehmend die räumliche und soziale Umgebung des einzelnen Standorts berücksichtigt. Teilweise werden extra gefertigte Geräte in Auftrag gegeben, um die Kreativität von Kindern zu fördern. "Das muss nicht spektakulär aussehen und auch nicht besonders teuer sein", sagt von der Horst. Die Beteiligung von Kindern bei der Planung von Spielplätzen beurteilt er so: "Das ist nichts Neues, es ist auch keine Garantie für eine gute Gestaltung. Aber die Einbeziehung der Nachbarschaft, Klein wie Groß, ist auf jeden Fall für die Akzeptanz und die Pflege des Spielplatzes wichtig."

Die Ausstellung im Deutschen Architekturmuseum Frankfurt läuft noch bis zum 21. Juni (Schaumainkai 43, Mittwoch 10 bis 20 Uhr, dienstags und donnerstags bis Sonntag von 10 bis 18 Uhr). Vom 19. bis 21. März findet in Osnabrück der Kongress Bewegte Kindheit statt, auf dem es auch um Spielplätze geht. (www.bewegtekindheit.de).

© SZ vom 29.02.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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