Spielplätze:Klettern bis zum Dach

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Nirgends ist die Spielplatzdichte so hoch wie in Singapur. Auch bei der Gestaltung lässt sich die Stadt einiges einfallen.

Von Marcel Grzanna

Das Nationalmuseum in Singapur ist ein altehrwürdiger Ort, der schon von außen viel hermacht. Der weiße Kuppelbau in der Stamford Road vereint Elemente des Klassizismus und der Renaissance. Er zählt zu den Monumenten der britischen Kolonialzeit. Seit 1887 stehen hier die Geschichte und Entwicklung Singapurs im Zentrum aller Ausstellungen. Im vergangenen Jahr widmete das Museum einen Teil seiner Fläche sechs Monate lang einem ganz besonderen Aspekt der örtlichen Identität: den Spielplätzen der Stadt.

Singapur rühmt sich der höchsten Spielplatzdichte weltweit. Die für Kinder konzipierten Flächen gehören seit Jahrzehnten zum festen Bestandteil des Stadtbildes und sind ein wichtiger Beitrag für das gemeinschaftliche Zusammenleben. Das Museum ermöglichte einen Blick in die Vergangenheit, indem es historische Klettergerüste ausstellte, und einen Blick in die Zukunft, in der etwa die digitale Vernetzung der Spielgeräte über Handy-Apps wichtig wird. Die Veranstalter fragten Kinder und Eltern auch danach, wie sie sich den idealen Spielplatz vorstellen. Was machen Kinder dort am liebsten? Was ist den Eltern am wichtigsten? Die Resultate flossen in eine Analyse, die helfen sollte, Singapurs Spielplätze thematisch und gesellschaftlich noch stärker in die einzelnen Stadtviertel zu integrieren.

Die öffentliche Wohnungsbaugesellschaft HDB plant, die Identität der Stadt deutlicher durch ihre Spielplätze zu reflektieren, indem diese spezielle Elemente wie beispielsweise den Drachen aus der chinesischen Kultur für das Design nutzen. Vereinzelt hat die HDB den Plan bereits in die Tat umgesetzt: In einer der neuen Wohnanlagen symbolisieren zwei große Kletterelemente auf einem meerblauen Untergrund ein kenterndes Schiff. Die Anlage heißt Sengkang, florierender Hafen, und ist eine Reminiszenz an die Wurzeln Singapurs als kleines Fischerdorf, vor dessen Küste Boote im Sturm zerschellten. Im Bezirk Woodlands erinnern Elemente in Form riesiger Insekten an die große Biodiversität der Gegend, die vor ihrer Entwicklung eine riesige Graslandschaft war.

"Heutzutage geht es darum, dass Spielplätze eine Geschichte erzählen müssen. Ein Rutsche bleibt immer eine Rutsche, aber mit ihrer Einbettung in eine bestimmte Szenerie und bestimmte Skulpturen bekommen die einzelnen Elemente eine andere Dimension", sagt Jason Sim, Gründer von Playpoint, einem Büro für die Entwicklung und das Design von Spielplätzen. "Uns geht es um die Multifunktionalität der Anlagen. Sie sollen den Kindern Freude machen, wenn sie dort spielen, und sie sollen durch eine künstlerische Note auch Erwachsene anziehen. So entstehen Treffpunkte in Kommunen für Jung und Alt", sagt Sim.

In Kommunen entstehen Treffpunkte für Jung und Alt, manchmal in luftiger Höhe

Ihre Liebe zu Spielplätzen wollte die Stadt auch im neuen Terminalgebäude ihres Flughafens symbolisieren. Das dortige Klettergerüst ist fast 20 Meter hoch. In ihm wurden zehn Kilometer Seil verarbeitet und 15 Tonnen Stahl. Auf fünf Ebenen können sich darin bis zu 50 Personen gleichzeitig aufhalten, klettern und rutschen. Auch Erwachsene dürfen in und durch das Konstrukt steigen. Das Element ist einem Kelch nachempfunden und nutzt den vorhandenen Raum optimal aus, weil das Objekt fast an die Decke des Terminals stößt, wegen seines schmalen Durchmessers am Fuß aber viel Platz um sich herum frei lässt.

Das vertikale Konzept findet in Singapur zunehmend Abnehmer bei Entwicklern von Immobilienprojekten, weil Grund und Boden in der Millionenmetropole begrenzt und deshalb sehr teuer sind. Hochhäuser werden inzwischen häufig so entworfen, dass Stockwerke in luftiger Höhe als Orte für Spielplätze oder Spazierwege genutzt werden. Die Flächen sind so groß, dass sie sogar von Joggern als Laufstrecke benutzt werden können. Ein Pluspunkt ist zudem, dass oben ein kühlerer Wind weht, der am Äquator besonders an schwülen Tagen eine Wohltat ist.

Niemand käme indes auf die Idee, auf einen Spielplatz in neuen Wohnanlagen zu verzichten. Im Gegenteil, clevere Entwickler haben längst das Potenzial entdeckt, das im Design der Kinderzonen steckt. Wer in Singapur Wohnungen verkaufen will, macht sich die Begeisterung der Kinder zunutze. "Bei der Vermarktung funktionieren die Spielplätze als Magneten, um Familien anzulocken. Wenn die Kinder begeistert sind, steigen die Chancen, dass deren Eltern dort ein Apartment kaufen", sagt Designer Sim.

Entsprechend vielfältig sind die Angebote in den neueren Wohnkomplexen. Für jede Altersklasse ist etwas dabei. Die ganz Kleinen mögen es, wenn sie auf den Spielplätzen Märchenfiguren oder andere erfundene Charaktere kennenlernen, deren Geschichten sie dann über das Smartphone gleich vor Ort hören können. Über einen QR-Code lassen sich alle digitalen Angebote sofort abrufen. So folgen auf Phasen des Tobens Augenblicke des Zuhörens und der Ruhe.

Doch nicht nur Wohnanlagen nutzen die magische Anziehungskraft von Spielplätzen auf die Kinder. Auch in den Einkaufszentren der Stadt locken die Betreiber mit zunehmend kreativen und aufwendigen Installationen die Familien zum Wochenendshopping. Selbst wer nicht unbedingt einkaufen wolle, entscheide sich auf Drängen seiner Kinder oder aus eigenem Antrieb für einen Besuch der Mall mit dem besten Spielplatzangebot und wird im Laufe des Tages zumindest ein paar Singapur-Dollar für Kaffee, Mittagessen oder Getränke ausgeben, so das Kalkül der Manager. Die Betreibergesellschaften lassen sich diese Strategie teilweise siebenstellige Eurobeträge kosten.

© SZ vom 02.03.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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