Shopping-Center:Neu gemischt

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Das Forum Steglitz wurde 1970 als Einkaufszentrum eröffnet. Weil Besucher ausblieben, werden Teile des Gebäudes in Büros umgewandelt. (Foto: Steglitz Museum)

Klassische Shopping-Center funktionieren oft nicht mehr. Die Eigentümer müssen sich daher frische Ideen einfallen lassen - oder radikale Entscheidungen treffen.

Von Stefan Weber

Das Foto aus dem Archiv ist in Schwarz-Weiß - schon das lässt ahnen, dass die Aufnahme aus einer anderen Epoche stammt. Zu sehen ist eine Szene vom Eröffnungstag des Forum Steglitz in der Berliner Schlossstraße, einem der ältesten deutschen Einkaufscenter. Zu Hunderten drängen die Menschen an diesem 23. April 1970 durch die Eingangstüren. Die ersten Ungeduldigen stehen bereits dicht an dicht auf den Rolltreppen, auf dem Weg zu den Shops in der ersten Etage. Es war die Zeit der ersten Center-Generation. Ein neues Handelskonzept, importiert aus den USA, begeisterte die deutschen Konsumenten. In zahlreichen großen Städten entstanden damals solche Einkaufstempel, nicht selten mehrere Zehntausend Quadratmeter groß. Die Kunden waren neugierig und strömten herbei.

Das ist lange vorbei. Das Forum Steglitz hat nach zwei umfangreichen Sanierungen 2007 und 2012 im Juli vergangenen Jahres die weiße Fahne gehisst. Schluss mit lupenreinem Einzelhandel. Nach Abschluss des derzeit laufenden 70 Millionen Euro teuren Umbaus wird die einst 36 000 Quadratmeter umfassende Verkaufsfläche ab der zweiten Jahreshälfte 2020 zum großen Teil als Büroraum genutzt werden. "Das Forum Steglitz ist künftig kein Shopping-Center mehr, sondern Nahversorger für die Menschen in der Umgebung. Ohne große Modemarken, von denen es in der Umgebung ohnehin genug gibt", betont Maximilian Ludwig, Manager des Immobilienanbieters Real I.S.

Etwa 40 Prozent der Einkaufszentren verzeichnen weniger Besucher

Mixed Use, gemischte Nutzung, heißt die Strategie, mit der viele Shopping-Center auf rückläufige Kundenfrequenzen, Mietausfälle und Leerstand reagieren. Nach einer Studie des Handelsforschungsinstituts EHI ist aktuell nahezu jedes zweite Shopping-Center in Deutschland zugleich ein Bürostandort. 41 Prozent der Center beherbergen zudem Leistungen des Gesundheitswesens, vor allem Praxen für Ärzte und Physiotherapeuten. Und ähnlich viele Center sind den Zahlen von EHI zufolge Standorte von Freizeitangeboten, wie zum Beispiel Kinos. Seltener ist dagegen eine Mischnutzung mit Wohnungen oder Hotels.

Einzelhandelsfremde Verwendung aus Mangel an Nachfrage, weil Modeanbieter, Elektronikhändler und andere früher stark expansive Ladenbetreiber immer weniger Flächen nachfragen? Nicht nur, analysieren die Autoren der EHI-Studie. "Viele Zusatznutzungen dienen auch dazu, zusätzliche Frequenz in den Centern zu generieren", betonen sie. Auf dem Weg zum Arbeitsplatz oder Arzt sollen möglichst viele Menschen zum Einkauf animiert werden.

Mangelnder Kundenzuspruch ist das Problem vieler Shopping-Center. Befragungen zufolge verzeichneten in den vergangenen zwei Jahren gut 40 Prozent der Standorte weniger Besucher; jedes fünfte Center verbuchte dabei sogar einen Rückgang von zwei Prozent und mehr. Andererseits zeigen aktuelle Untersuchungen, etwa von der Cima Beratung + Management GmbH, dass die überwiegende Zahl der Verbraucher Shopping-Center als Bestandteil der Innenstädte nicht missen möchte. Vor allem jüngere Besucher schätzen sie, weil "dort alles an einem Ort unter einem Dach konzentriert ist".

Wie passt diese vermeintliche Beliebtheit mit rückläufigen Besucherzahlen zusammen? Die Erklärung: Die Shopping-Center in Deutschland haben eine sehr unterschiedliche Qualität. Sie erleben einen unterschiedlich starken Zuspruch. Ein Teil verzeichnet immer noch steigende Mieteinnahmen, freut sich über einen stabil hohen Vermietungsstand sowie einen steten Kundenzuspruch. Andere dagegen beklagen sinkende Einnahmen, hohen Leerstand und schwache Frequenzen. Dabei macht keineswegs immer nur das Baujahr eines Centers den Unterschied aus. Häufig seien gerade sehr alte Center aus den 70er-Jahren vergleichsweise selten von Leerstand betroffen, stellt das EHI fest.

Viele Betreiber wollen mit hochwertiger Gastronomie mehr Kunden in die Center locken

Ein Grund könnte sein, dass sich diese Standorte über Jahrzehnte hinweg etabliert hätten. Möglicherweise seien die Initiatoren bei der Wahl des Standorts damals auch vorsichtiger vorgegangen als ihre Nachfolger in den 80er- und 90er-Jahren, vermuten die Handelsforscher. Schließlich seien in den Jahren 1964 bis 1979 lediglich 65 Shopping-Center eröffnet worden. In den folgenden Jahren bis 1999 waren es dagegen bereits 214 Center. Entscheidend für den langfristigen Erfolg eines Standorts sind offensichtlich vor allem zwei Dinge: die Kreativität des Managements und die Bereitschaft der Eigentümer, Neues zu wagen und zu gegebener Zeit kräftig in eine Neupositionierung zu investieren. Kundenbefragungen zeigen, dass beispielsweise Events einen starken Besuchsanreiz darstellen. Insbesondere junge Menschen suchen demnach nach tollen Erlebnissen und möchten diese über Social-Media-Kanäle teilen. Nach Analyse des EHI haben 45 Prozent der Center diesen Trend aufgegriffen und veranstalten heute mehr Events als noch vor zwei Jahren. Dabei vertrauen sie in der Mehrzahl der Fälle auf den Rat professioneller Agenturen und haben auch ihre Budgets entsprechend aufgestockt.

Ein weiterer Trend: Pop-up-Stores, also Einzelhandelsflächen, die nur für kurze Zeit mit einem Thema bespielt werden: "Alles fürs Baby" zum Beispiel, oder "Sommer". Solche Stores wollen neugierig machen, Aufmerksamkeit für eine Marke schaffen. Manchmal soll ihre kurze Präsenz auch den Jagdinstinkt der Verbraucher wecken. So hat beispielsweise der Immobilienentwickler ECE gemeinsam mit einer Agentur im Herbst vergangenen Jahres im Essener Shopping-Center am Limbecker Platz ein Konzept gestartet, das alle zwei Monate eine neue Themenwelt aufgreift. Center profitieren von solchen Konzepten gleich mehrfach: Sie können zeitweise leer stehende Flächen sinnvoll nutzen, neue Ideen ausprobieren und Besuchern Abwechslung bieten. Auch technische Services tragen zum Wohlfühlen der Center-Besucher bei - hier haben viele Center-Manager in den vergangenen Jahren aufgerüstet. Mehr als 80 Prozent der Standorte, so die EHI-Studie, bieten Kunden-Wlan. Und bereits an vier von zehn Centern können E-Auto-Fahrer ihre Fahrzeuge aufladen.

"Die neue Generation von Shopping-Centern unterscheidet sich fundamental von ihren Vorgängern. Heute geht es viel mehr um das Erlebnis vor Ort, um Komfort und um die Qualität der in den Centern verbrachten Zeit", erläutert Thomas Beyerle, Marktbeobachter beim Immobilieninvestor Catella. Eine zentrale Rolle spielt dabei nach seiner Einschätzung auch das gastronomische Angebot. Neue Center kämen nicht mehr ohne umfangreiche Gastronomieflächen aus, und auch bestehende Standorte seien gezwungen, ihre Angebote auszuweiten. Tatsächlich hat ein Viertel der Center seine Gastronomieflächen in den vergangenen drei Jahren erweitert. Weitere 46 Prozent wollen dies laut EHI in naher Zukunft tun. Wenn alle geplanten Erweiterungen umgesetzt sind, werden vier von zehn Centern mehr als zehn Prozent ihrer Quadratmeterzahl für Gastronomie reserviert haben. Bewirtschaftet werden diese Flächen häufig von Systemgastronomen. Nach einer Analyse von Catella sind in den führenden 19 Centern 38 Ketten vertreten, allen voran Fast-Food-Anbieter. Zunehmend setzten sich jedoch auch andere, hochwertigere Konzepte durch. "Neue Namen und Ideen sind ein Muss bei der Repositionierung", betont Catella.

Die Kunden wollen Abwechslung, sie möchten unterhalten werden und kommen nicht nur um einzukaufen. "Früher nahmen Shopping-Center eine zentrale Rolle im Einzelhandel ein. Jetzt fungieren sie als Einzelhandels- und Freizeitzentren", resümiert Catella-Manager Thomas Beyerle. In diesem Sinne hat auch das traditionsreiche Forum Steglitz in Berlin nach erfolgtem Umbau gute Chancen auf ein zweites Leben. Nicht als Shopping-Center mit Geschäften in vier Etagen und einem Wochenmarkt im Untergeschoss, so wie früher. Sondern als Hybrid-Center mit einem Mix aus Nahversorgung, Büros, Fitness-Angeboten und Gastronomie.

© SZ vom 14.03.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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