Schlaf:Bettgeschichten

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Die richtige Matratze ist längst Gegenstand von Blogs, Vergleichsportalen und Online-Konfiguratoren. In den USA brummt der Online-Handel, auch Betten werden über das Internet verkauft. Kunden in Deutschland wollen diesen Trend nicht verschlafen. (Foto: imago)

Matratzen sind plötzlich hip und werden per Konfigurator im Internet bestellt. Auch die Auswahl an Betten ist so groß wie nie zuvor. Besser schlafen können viele Kunden aber trotzdem nicht.

Von Oliver Herwig

Im Bett lieben es die Deutschen eher hart. Zumindest, was die Matratze angeht, auf der sie schlafen. Die muss zudem gut zehn Jahre halten, bevor eine neue angeschafft wird. Bisher reichte dazu der Gang ins Fachgeschäft oder ein Matratzenlager am Stadtrand. Doch das können wir uns wohl bald sparen, wenn ein Trend aus den USA auch bei uns einschlägt: Matratzen kommen per Internet ins Haus.

Sie heißen Casper, Tuft & Needle, Saatva Mattress oder Eve und sind so etwas wie die neuen Stars unter der Bettdecke. Statt im Laden kurz mal in die Horizontale zu kippen, sich auf die eine Seite zu wälzen, dann auf die andere und schließlich auf den Bauch, werben Online-Versender mit 100 Nächten Testzeit. Mit guten Sprüchen, hoher Qualität und harten Tests haben Start-ups wie Caper ein Accessoire des Alltags in ein hippes Produkt verwandelt, das selbst zum Gesprächsstoff für Partys taugt. Dazu beigetragen haben sicher Meldungen, wonach Hollywood-Star Leonardo DiCaprio in die New Yorker Neugründung investierte.

Blogs und Vergleichsportale rund um Betten und ihr Zubehör boomen, und plötzlich unterhalten sich die Menschen über die Qualität ihrer Matratzen, als ginge es um Bordeaux-Jahrgänge. Keine Frage: Der Schlaf und sein technisches Equipment sind aus einem Dornröschenschlaf erwacht. Dabei geht es auch um Design, hauptsächlich aber um innere Werte, die wie Leistungsdaten eines Sportwagens gehandelt werden. Kaltschaum oder Taschenfederkern, Kingsize oder französisch, Box-springbetten oder klassische Rahmenkonstruktionen? Die Auswahl ist größer denn je, die Verunsicherung auch. Selbst der Fachverband Matratzen-Industrie gibt zu: "Die eine Matratze, die qualitativ perfekt ist und zu jedem passt, gibt es leider nicht."

Eine Matratze soll eben Gegensätze verbinden, einerseits den Körper stützen und doch bestimmte Partien entlasten. Experten raten Leichtgewichten eher zu weichen Unterlagen und Schwergewichten zu tendenziell harten Matratzen. Es bleibt Typ-sache, worauf Frau und Mann sich gerne betten. Dabei gibt es immer noch Verkäufer, die beim Probeliegen raunen: Harte Matratzen seien eben etwas für harte Männer, alles andere wäre nur Kinderkram.

Wer nicht mehr abschalten kann, ist auch nicht mehr produktiv

Seit Jahren tobt ein regelrechter Glaubenskrieg um die ideale Schlafunterlage. Konnte sie erst gar nicht hart genug sein, schwenkte das Pendel bald wieder zurück zu Taschenfederkern und weichen Wolken. So bleiben die meisten Schläfer einigermaßen ratlos zurück.

Wer nur lange genug sucht, findet auch im Netz schließlich einen Konfigurator, der erst Körpergröße und Gewicht verlangt, dann den BMI (Body-Mass-Index) berechnet und schließlich noch eine Feinkorrektur vorschlägt, indem er nach Vorlieben wie der Schlaflage fragt. Im 17. Jahrhundert hätten die meisten Menschen über solche Informationen nicht einmal gelacht, sie hätten sie schlichtweg nicht verstanden. Das Bett und der Nachttopf darunter gehörten der ganzen Familie, und nur wenige konnten sich Luxus wie Daunendecken, Rosshaarmatratzen, samtene Bettvorhänge, Baldachine und Federbüsche leisten. Heute lassen sich per Motor mühelos sämtliche gewünschten Liegepositionen anfahren, während eine App die Qualität von REM- und Tiefschlaf überwacht, sodass die Schläfer morgens vergleichen können, wie effektiv sie sich nächtens erholten. Ein Drittel unseres Lebens verbringen wir in der Horizontalen. Da ist es ist wohl doppelt schlimm, wenn wir manchen Trend verpennen.

Es geht längst um mehr als nur um hippe Produkte und neue Vertriebswege. Unter den letzten Ressourcen unseres durchdesignten Lebens erfährt der Schlaf eine Renaissance, weil er sich bisher der Kontrolle entzog. Doch nun können wir unseren Schlafrhythmus optimieren, uns zur richtigen Zeit wecken lassen. Oder wir bestellen gleich einen "Sleep Optimizer", ein veganes Nahrungsergänzungsmittel, um wieder "voll Energie und leistungsfähiger" (Kundenbewertung) aufzuwachen. Dazu lesen wir natürlich Arianna Huffingtons "Sleep Revolution" - garantiert kein nettes Einschlafbuch.

492 Minuten pro Tag schlafen die Deutschen im Schnitt, gut acht Stunden also. Das sind 28 Minuten weniger als unsere Nachbarn, die Franzosen, immerhin noch 14 Minuten weniger als der OECD-Schnitt, aber doch gut eine halbe Stunde mehr als Südkoreaner und Japaner. Wir sind eben guter Durchschnitt, auch, was Probleme mit der Nachtruhe anbelangt.

Das Robert-Koch-Institut nennt Zahlen: Bereits im Jahr 2005 klagte ein Viertel der Bevölkerung "über Schlafstörungen", und elf Prozent erlebten "ihren Schlaf als häufig nicht erholsam". Offenbar lag es nicht an zu harten oder weichen Matratzen, schnarchenden Ehepartnern oder unternehmungslustigen Nachbarn. Die Studie merkt an: "In einer hoch entwickelten Industrie- und Informationsgesellschaft können daraus für alle schwerwiegende Risiken erwachsen. Denn mit der Verbreitung der neuen Technologien nehmen zumeist die Anforderungen an physische Leistungen ab, während die Anforderungen an langandauernde Konzentrationsleistungen am Arbeitsplatz steigen." Luxus ist nicht die Schlafausstattung, sondern der Schlaf selbst.

Decke drüber. Licht aus. Schlafen ist vorbei. Da ist zudem sicher noch irgendeine Mail, die man abarbeiten, irgendein Gespräch, das man führen, irgendein Tweet, den man lesen könnte - und das um zwei Uhr nachts. Wer nicht mehr abschalten kann, ist eben auch nicht mehr produktiv. Ein Werbespruch blickt hinter die schönen Bettgeschichten: "Gesunder Schlaf ist die wichtigste Energiequelle und verantwortlich für die natürliche Regeneration von Körper und Gehirn", heißt es da. "Daher legt guter Schlaf die Basis für unsere Leistungsfähigkeit am Tag." Das ist es. Wir sind längst verpflichtet zu einem erholsamen Schlaf. Wir müssen uns einfach mal entspannen. Dann gute Nacht.

© SZ vom 23.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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