Schimmel:Überpinseln hilft nicht

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Ärgerlich, unangenehm und für Anfällige auch gesundheitsschädlich: Schimmel in der Wohnung. (Foto: Franziska Gabbert/dpa)

Viel zu häufig wird bei der Reinigung von Wänden oder Decken unprofessionell gearbeitet. Aber die Aktion ist notwendig, denn manche Menschen werden von den Pilzen krank - vom modrigen Geruch gar nicht zu reden.

Von Felicitas Witte

Deutschland verschimmelt. Das befürchtet der Mieterverein Hamburg, und mit ihm viele Immobilienbesitzer und Mieter. Man kann die Sorge verstehen, wenn man sich die Pläne der Bundesregierung ansieht: Sie wird demnächst einen Niedrigstenergiestandard definieren, der ab 2019 für öffentliche und ab 2021 für private Neubauten gelten soll. Die neue Verordnung könnte dazu verpflichten, automatische Lüftungsanlagen einzubauen, heißt es immer wieder, und das werde Deutschlands Häuser abdichten und die Bürger krank machen.

"Das Gerücht, dass man zwangsweise automatische Lüftungsanlagen einbauen muss, entbehrt jeder Grundlage", versichert jedoch Michael Schroeren, Sprecher von Bundesbauministerin Barbara Hendricks. "Das ist nicht geplant." Andererseits stößt man beim Thema Hausbau unweigerlich auf Lüftungsanlagen und auf Fenster, die automatisch rund um die Uhr durch den Rahmen gelüftet werden. Und es gibt Banken, die Kredite für energieeffiziente Häuser nur noch beim Einbau einer automatischen Lüftungsanlage vergeben.

Ob Pflicht oder nicht - wie gefährlich ist Schimmel eigentlich? "Schimmelpilze gehören zu unserer Umwelt und kommen auch in Wohnung und Haus vor", sagt Volker Mersch-Sundermann, Direktor des Instituts für Umweltmedizin und Krankenhaushygiene am Uniklinikum Freiburg. "Aber man braucht keine Angst zu haben, krank zu werden, denn die Wahrscheinlichkeit dafür ist sehr gering." Es gibt bisher noch keine Zahlen dazu, wie viele Häuser und Wohnungen in Deutschland mit Schimmel befallen sind und ob das Schimmelproblem mit Energiesparhäusern eher zu- oder abnimmt. "Auf der einen Seite haben gedämmte Gebäude weniger Wärmebrücken, was das Risiko für Schimmelbildung senkt", sagt Mersch-Sundermann. "Andererseits wird weniger Luft ausgetauscht, und das erhöht die Luftfeuchtigkeit und damit das Risiko für Schimmelwachstum."

Schimmelpilze sind Pilze, die typischerweise Fäden und Sporen bilden. Diese sind so leicht und klein, dass sie über weite Strecken in der Luft schweben und eingeatmet werden können. Es gibt zwischen 100 000 und 150 000 Schimmelpilzarten auf der Welt, aber für gesundheitliche Probleme sind nur einige Dutzend verantwortlich. Im Haus oder in der Wohnung bilden Schimmelpilze farbige, oft braune oder schwarze Flecken an Wänden, Decken oder Möbeln. Wachsen sie im Verborgenen, bemerkt man sie meist erst durch ihren Geruch: Modrig und ziemlich unangenehm.

Der britische Arzt Charles Blackley war vermutlich der Erste, der den Effekt von Schimmel auf die Gesundheit untersucht hat. 1870 unternahm er einen heldenhaften Selbstversuch und atmete Pilzsporen ein. "Ziemlich unangenehme Beschwerden" habe er dann bekommen, schreibt er und wünschte, er hätte sich dem nicht ausgesetzt. Wenn man bedenkt, dass so viele Schimmelpilzsporen herumfliegen, haben sich Forscher wenig darum gekümmert. "Zum einen sind Schimmelpilze nicht so einfach nachzuweisen wie andere Stoffe in der Umwelt wie etwa Pollen", sagt Mersch-Sundermann. "Zum anderen können Schimmelpilze Beschwerden verursachen, die viel häufiger bei anderen Krankheiten vorkommen."

Was wissenschaftlich belegt ist: Schimmelpilze können eine Allergie auslösen, die sich meist wie Heuschnupfen oder Asthma äußert. Das Risiko ist höher, wenn man schon unter Heuschnupfen, Neurodermitis oder anderen Allergien leidet. Als allergieauslösender Stoff (Allergen) wirken dabei Eiweiße in den Sporen oder in den Fäden der Pilze. Bei einem ersten Kontakt mit den Pilzen sensibilisiert sich der Körper: Er bildet sogenannte IgE-Abwehrstoffe gegen die Eiweiße, die sich an bestimmte Immunzellen (Mastzellen) binden. Bei einem zweiten oder späteren Kontakt schütten diese Botenstoffe aus, was die typischen Beschwerden auslöst.

Kleine Stellen kann man selbst entfernen, bei großen muss der Fachmann ran

In Deutschland lassen sich bei etwa fünf Prozent der Menschen IgE gegen Schimmelpilze nachweisen, sie sind also sensibilisiert darauf. "Das bedeutet aber noch lange nicht, dass diese IgE an Mastzellen binden und über die Ausschüttung von Botenstoffen zu Heuschnupfen oder Asthma führen", erklärt Uta Ochmann, Allergologin und Umweltmedizinerin an der Universitätsklinik der Ludwig-Maximilians-Universität in München. "Im Vergleich zu Allergenen von Pollen, Milben oder Katzen führen Schimmelpilze aber viel seltener zu IgE-Bildungen", sagt Ochmann. "Man kann sagen, die Pilze wirken nicht so allergisch und das macht es noch unwahrscheinlicher, dass sie für die Beschwerden verantwortlich sind."

Zu Peter Schmid-Grendelmeier, dem Leitenden Allergologen an der Uniklinik in Zürich, kommen regelmäßig Patienten mit Heuschnupfen oder Asthma, die Schimmelpilze als Auslöser ihrer Beschwerden vermuten. "Auch wenn solche Allergien eher durch Pollen, Katzen oder Hausstaubmilben als durch Schimmelpilze verursacht werden, mache ich Blut- und Hauttests, um sicherzugehen", sagt er. Ein weiteres Problem sei die Qualität der Tests. Diese seien nicht verlässlich: "Während wir bei anderen Allergien schon ganz spezifisch nachweisen können, gegen welches Eiweiß jemand allergisch ist, gibt es solche Tests bisher nur für einzelne Pilzarten."

Immer wieder suchen Leute ihren Arzt auf mit ständigem Räuspern, Brennen oder Tränen der Augen, Niesreiz, Erschöpfung oder Kopfschmerzen und vermuten, das läge am Schimmel in ihrer Wohnung. "Einige Schimmelpilze bilden sogenannte Mykotoxine, und manche meinen, die würden die Beschwerden auslösen", sagt Ochmann. "Das konnte in Studien aber nie bewiesen werden." Auch eine durch Schimmelpilze verursachte Infektion (Mykose) zu bekommen, ist für gesunde Menschen sehr unwahrscheinlich. "Der Körper ist in der Lage, die Pilze abzuwehren", sagt Mersch-Sundermann. "Menschen mit Immunschwäche müssen aber aufpassen." Dies betrifft vor allem Menschen mit Krebs, nach einer Transplantation und diejenigen mit HIV oder Mukoviszidose.

Doch auch wenn das Risiko für gesunde Menschen sehr gering ist: Der Schimmel muss weg, da sind sich die Experten einig. Weniger als einen halben Quadratmeter können gesunde Personen mit Wasser und Haushaltsreiniger selbst entfernen. Ansonsten muss ein Fachmann ran. Das Umweltbundesamt überarbeitet gerade die Anleitung zur Schimmelpilz-Sanierung, den Schimmelpilz-Leitfaden. Er soll gegen Jahresende erscheinen. Kritiker monieren bereits, wenn man den neuen Leitfaden befolge, werde eine professionelle Schimmelbeseitigung öfter durchgeführt als notwendig. "Im Gegenteil", sagt Mersch-Sundermann, der mit seinem Team zu den Autoren gehört. "Bei Schimmelbefall wird bisher viel zu häufig unprofessionell gearbeitet. Wände werden Dutzende Male überpinselt und übertüncht, und immer wieder ziehen die Mieter nach kurzer Zeit aus, weil es riecht und schimmelt."

Das Wichtigste bei Schimmel ist, ihm die Lebensgrundlage zu entziehen, nämlich die Feuchtigkeit. "Die Strategie heißt dann oft: ,Ich streich' da mal schnell mit Antischimmelfarbe drüber'- das ist aber in den allermeisten Fällen falsch. Man muss das Vorgehen immer im Einzelfall beurteilen - es gibt kein Patentrezept. Deshalb ist unser Leitfaden auch so ausführlich."

Ob automatische Lüftungsanlagen zu weniger Schimmel führen, bleibt abzuwarten. Wenn einem Häuslebauer solche Anlagen suspekt sind, kann er es ja mit automatischen Fensteröffnungen probieren. Wenn man die allerdings falsch programmiert, öffnen sich plötzlich Fenster von allein, und ein kalter Luftzug strömt hinein, während man gemütlich vor dem Fernseher sitzt. Doch besser ein kalter Wind als eine verschimmelte Wohnung.

© SZ vom 19.08.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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