Reden wir über Geld (7): Erich Sixt:"Ich habe ein gestörtes Verhältnis zum Auto"

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Erich Sixt über seine mangelnde Leidenschaft für schöne Gefährte, warum er immer die falschen Aktien kauft und wieso das Leben ein großes Theater ist.

Alexander Hagelüken und Michael Kuntz

Erich Sixt, 64, hat aus einer kleinen Klitsche einen Konzern geschmiedet wie nur wenige in Nachkriegsdeutschland. Wenn man es nicht schon wüsste, würde er es einem sofort erzählen. In der Zentrale des größten deutschen Autovermieters in Pullach bei München ist alles von den Sixt-Farben orange und schwarz dominiert.

Jetzt mal ganz ehrlich: Nervt ihn das viele Orange und Schwarz insgeheim nicht selbst? Nein, behauptet er. Immer wenn er die Farben sehe, denke er: Super, mehr Umsatz. Das Gemälde im Besprechungsraum zeigt Autos in den Sixt-Farben. Es müßte ihm also gefallen. Zumal es auch noch seine Frau ausgesucht hat. Es gefällt ihm trotzdem nicht. Erich Sixt ist unkonventionell genug für ein offenes Gespräch.

SZ: Herr Sixt, Sie haben mal gesagt, für die meisten deutschen Männer ist das Auto wichtiger als der Urlaub und sogar als die eigene Frau. Ist das bei Ihnen auch so?

Erich Sixt: Ich habe eher ein gestörtes Verhältnis zum Auto. Autos bedeuten für mich endlose Zahlenkolonnen. Ich denke: Was kostet mich das Auto pro Tag, wie hoch ist die Auslastung, was kosten Reparaturen - lauter Zahlen. Da kann keine Leidenschaft entstehen.

SZ: Deutschlands größter Autovermieter hat ein gestörtes Verhältnis zum Auto. Haben Sie mal daran gedacht, die ganze Firma zu verkaufen?

Sixt: Im Gegenteil. Ich bin ein Exot. Ich habe 1986 beim Börsengang nicht Kasse gemacht wie andere bei ihren Börsengängen. Ich benötigte Kapital, um die Expansion zu finanzieren. Als Mittelständler haftete ich den Banken ja persönlich für eine halbe Milliarde Mark. Ein einziger Fehler hätte meine bürgerliche Existenz vernichtet.

SZ: Hatten Sie manchmal Angst?

Sixt: Wir hatten ein paar Krisen. Am schlimmsten war es 1973. Da schaute ich in den Abgrund. Da war sonntags Fahrverbot. Ich stand mit einem Wagen auf der Autobahn...

SZ: Das war doch verboten.

Sixt: Ich war auch ganz allein auf der Autobahn! Der Alptraum eines Autovermieters! Da bekommen Sie Angst.

SZ: Wann hatten Sie noch Angst?

Sixt: Ein paar Jahre später sind die Zinsen explodiert, kurzfristig bis auf fast zwanzig Prozent. Das hätte mich umbringen können. Da schläft man schon sehr schlecht.

SZ: Hat Ihre Frau gesagt: Mensch, verkauf' doch den Laden?

Sixt: Nein, das ist eben das Glück in meinem Leben. Ich habe mir die richtige Frau ausgesucht und - ich hoffe - sie den richtigen Mann. Gerade wenn man stark unter Druck steht, braucht man Unterstützung. Ohne sie wäre es nicht gegangen. Meine Frau hat wesentlich zum Erfolg von Sixt beigetragen.

SZ: Als Sie 1969 in die Firma Ihres Vaters einstiegen, hatte sie 200 Autos. Heute sind es 140 000. Den Umsatz haben Sie auf das 2500-fache gesteigert. Solche Zahlen sind nicht fassbar, oder?

Sixt: Für mich ist das nicht so überraschend, und das ist nicht überheblich gemeint. Ich wollte von Beginn an nicht der kleine Autovermieter bleiben, sondern drastisch wachsen. Dieser Wunsch begleitet mich mein ganzes Leben.

SZ: Wie viel arbeiten Sie dafür?

Sixt: Man muss das Unternehmerdasein als Passion betrachten, nicht als lästige Arbeit. Wichtig ist Optimismus. Obwohl Optimismus irrational ist...(Sein Mobiltelefon klingelt. Nein: es spielt eine Melodie aus Richard Wagners Oper "Tristan"). Typisch! Das drück' ich weg (er schaut auf die Nummer im Display). Ah, nein. (Er verläßt den Raum. Nach einigen Minuten kehrt er zurück).

SZ: Wieviel haben Sie gerade verdient?

Sixt (grinst) : Es war schon wichtig, sonst hätte ich unser Gespräch nicht unterbrochen.

SZ: Sechsstellig?

Sixt: Oh nein, wir Autovermieter leben von kleinen Transaktionen. Die Summe macht es.

SZ: Warum spielt Ihr Handy Tristan?

Sixt: Als Jugendlicher fand ich Wagner grauenhaft. Ich hab ihn erst später entdeckt. Tristan ist schon eines der größten Stücke, die je geschaffen wurden. Ich höre das im Auto ständig. Es trägt einen einfach weg.

SZ: Wir haben gehört, Sie sind eher süchtig nach Arbeit. 16 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche. Ist es nicht traurig, dass es für Sie nur die Firma gibt?

Sixt: Sie argumentieren in traditionellen Kategorien: Arbeit hier, Freizeit dort. So denke ich nicht. Ich eigne mich nicht fürs Golfspielen. Es macht mir mehr Spaß, die Firma zu führen. Unterschätzen Sie das Vergnügen nicht, etwas aufzubauen und Menschen dazu zu bringen, ihre Fähigkeiten auszuschöpfen.

SZ: Das ist alles?

Sixt: Es gibt natürlich in meinem Leben noch anderes. Zum Beispiel lesen.

SZ: Was lesen Sie gerade?

Sixt: Ich habe Karl Poppers "Die offene Gesellschaft und ihre Feinde" schon als Junge gelesen. Und danach noch oft. Jetzt liegt es wieder auf dem Nachttisch. Es dauert, aber man kämpft sich durch. Das Buch ist immer noch unglaublich spannend. Für mich ist es eine Abrechnung mit dem traditionellen abendländischen Denken, das durch Plato bestimmt wird. Wer es liest, begreift besser, was die Probleme der Zeit sind.

SZ: Nämlich?

Sixt: Wir bekennen uns nach wie vor nicht zum sokratischen Zweifel, zum Nichtwissen. Wir neigen dazu, unsere Hypothesen ständig zu rechtfertigen. Wir müssen stattdessen überprüfen, ob sie falsch sind.

SZ: Setzen Sie das in Ihrer Firma um?

Sixt: Wenn wir öfter sagen würden, Du hast vielleicht recht und ich unrecht, wäre unser Zusammenleben viel einfacher. In der Firma ist es ungeheuer wichtig, die Mitarbeiter dazu zu motivieren, ihre Hypothesen ständig zu überprüfen und zu widersprechen - auch mir! Das ist nicht einfach. Wir in Deutschland werden dressiert zu gehorchen.

SZ: Mit furchtbaren historischen Folgen.

Sixt: Genau. Man bringt uns schon im Kindergarten bei zu funktionieren. Man braucht aber in der Firma eine Kultur der Unruhe. Daran muss man arbeiten.

SZ: Die meisten Chefs beharren auf ihren Thesen, weil sie nicht dumm dastehen wollen. Sie möchten behaupten, das macht Ihnen nichts aus?

Sixt: Für mich ist entscheidend, dass ich in meinen Augen selbst nicht dumm dastehe. Wir müssen dieses kindliche Staunen beibehalten. Das geht uns mit der Zeit allmählich verloren. Wenn wir staunen und diskutieren, gewinnen wir Wissen. Ich bekenne, daß ich mir als Mehrheitsaktionär von Sixt diese Denkweise ein wenig mehr leisten kann als ein angestellter Manager.

SZ: Was sind Ihre Aktien heute wert?

Sixt: Wenn ich mich damit ständig beschäftigen würde, ginge es mir vielleicht gesundheitlich schlecht (lacht). Ich weiß nicht, was es in dieser Stunde wert ist.

SZ: Wie oft bringen Sie sich auf den neuesten Stand?

Sixt: Selten. Ich habe mir angewöhnt, nicht so viel über den Sixt-Kurs nachzudenken. Tägliches Verfolgen des Kurses ist verkehrt. Mittelfristig steigt der Kurs, weil die Firma erfolgreich ist.

SZ: Hm, schauen wir mittelfristig. Wer vor zehn Jahren 10 000 Euro in den Deutschen Aktienindex anlege, der besitzt heute 13 000 Euro. Wer dagegen 10 000 Euro in Sixt-Stammaktien investierte, hat 6000 Euro. Ein schlechtes Geschäft.

Sixt: Es kommt immer auf den Zeitausschnitt an, den man wählt. Mit der Sixt- Aktie konnte man in den vergangenen Jahren sehr gute Gewinne machen. Und wer 1986 Sixt-Aktien kaufte, dessen Paket ist etwa das 40-fache wert. Aktuell sind wir dramatisch unterbewertet.

SZ: Sie verheimlichen Ihr Gehalt als Vorstandschef. Warum?

Sixt: Würden Sie gern mit einem Schild um den Hals herum laufen, wie viel Sie verdienen?

SZ: Ist das schlimm? Jeder kann sowieso ausrechnen, was Ihre Aktien wert sind.

Sixt: Man darf nicht vergessen: Den Deutschen wird der Neid mit den Genen mitgegeben. Ich lebe kein Leben in der Öffentlichkeit. Ein Interview dieser Art ist eine Ausnahme.

SZ: Werden Sie mit Neid konfrontiert?

Sixt: Was meinen Sie, wie viele Briefe ich bekomme?

SZ: Was schreiben die Leute?

Sixt: Häufig wollen sie Geld von mir.

SZ: Geben Sie was ab?

Sixt: Wo fängt man bei so etwas an und wo hört man auf? Ich finde einen anderen Weg besser: Meine Frau ist in vielen sozialen Projekten sehr aktiv, besonders in ihrer "Regine Sixt Kinderhilfe". Es ist ja leider nicht zu bestreiten, dass in Deutschland viele Menschen an der Armutsgrenze leben.

SZ: Sie wettern bei jeder Gelegenheit gegen den überbordenden Staat. Was meinen Sie, wie viel mehr Deutsche an der Armutsgrenze leben würden, wenn wir das staatsferne US-Modell übernähmen?

Sixt: Ich bin kein unkritischer Verfechter des amerikanischen Modells. Auch das hat natürlich Fehler.

SZ: Merken Sie den deutschen Aufschwung an den Autos, die bei Ihnen gemietet werden?

Sixt: Vor einigen Jahren in der Rezession konnte man eine Mercedes-S-Klasse nur schwer vermieten. Es war einfach ungehörig. Jetzt mieten die Leute auch wieder Luxusautos.

SZ: Sie verdienen daran, dass Leute mit dicken Autos das Klima verpesten?

Sixt: Das ist natürlich Unfug. Das ist eine typisch deutsche Geisterdiskussion. Die Reduktion des Kohlendioxid-Ausstosses von Autos in Deutschland auf die EU-Norm bewirkt weltweit einen Rückgang im Promillebereich. Das hat null Einfluss auf das Weltklima.

SZ: Es geht doch um die Vorbildfunktion. Wenn wir nichts machen, werden die Chinesen erst recht nichts machen.

Sixt: Die Chinesen kümmern unsere Vorschriften überhaupt nicht. Aber: Wenn Deutschland wirklich ehrlich wäre, müssten von 40 Millionen zugelassenen Fahrzeugen 20 bis 25 Millionen Altautos in die Schrottpresse geschickt werden. Ein 15 Jahre alter Golf hat mehr CO2-Ausstoß als eine moderne S-Klasse.

SZ: Das wäre ein tolles Geschäft für Sie: Sie vermieten ja nur neue Autos.

Sixt: Sie haben es erfasst (lacht). Wir stehen bereit, um das Klima zu retten.

SZ: Stellen Sie sich noch manchmal hinter einen Vermiet-Tresen?

Sixt: Wenn mich etwas stresst, dann das. Ein paar Stunden an einem Flughafen, und ich bin schweissgebadet. Es geht mir an die Nieren, wenn ein Kunde von der Schlange am Sixt-Schalter weg zur Konkurrenz geht.

SZ: Ihre Söhne haben beide Betriebswirtschaft studiert. Übernehmen sie die Firma?

Sixt: Das entscheidet in einer Aktiengesellschaft der Aufsichtsrat. Meine Söhne sind ja noch nicht mal 30.

SZ: Sie sind ja auch mit 25 in die Firma eingestiegen. Jetzt sind Sie bald 64. Kleben Sie an Ihrem Stuhl?

Sixt: Ich war im letzten Jahr bei der Hauptversammlung von Berkshire Hathaway in Omaha. Da haben die beiden hochbetagten Warren Buffett und Charles Munger die Hauptversammlung mit 25 000 Menschen geführt und alle Fragen beantwortet. Sechs Stunden lang. Sie haben frei gesprochen und nicht einfach vorformulierte Antworten abgelesen, wie das in Deutschland üblich ist. Was also sagt das Alter aus?

SZ: Mit dieser Einstellung sitzen Sie mit 72 Jahren noch im Chefbüro. Ihre Entscheidungen sind vielleicht nicht mehr so toll, und Sie reden es sich schön. So läuft es doch oft.

Sixt: Sie haben hundertprozentig recht: Die Gefahr ist immer, dass man sich etwas einredet.

SZ: Ist ein Leben mit einem großen Vermögen sorgloser und freier als ohne?

Sixt: Sie können nur erfolgreich werden, wenn Sie Geld verachten. Wenn Sie am Geld hängen, riskieren Sie nie etwas. Ich glaube, alle, die es geschafft haben, haben diese gewisse Verachtung fürs Geld. Wir brauchen doch nicht viel zum Leben. Einen Leberkäs und eine Maß Bier, dann bin ich hochzufrieden.

SZ: Vermehren Sie Ihr Geld durch Anlage?

Sixt: Kein schönes Thema (lacht).

SZ: Warum? Was machen Sie denn so?

Sixt: Ich habe ein Problem mit Vermögensberatern, weil die nicht ihr eigenes Geld verantworten. Also kaufe ich selbst Aktien. Aber zumeist die falschen. Der Mensch sollte über Geldanlage nachdenken. Ich nehme mir nicht die Zeit.

SZ: Sie entscheiden aus dem Bauch?

Sixt: Wie wahrscheinlich sehr viele andere. Das sollte man nicht tun. Meine Renditen sind extrem lausig.

SZ: Sie haben gar keine Lust, sich mit der Geldanlage zu beschäftigen.

Sixt: Das macht mir keinen Spaß. Ich habe mir Mitte der 80er Jahre ein paar Aktien gekauft, quer durch den Dax. Dann habe ich das Konto vergessen. So wie es André Kostolany empfohlen hat. Nur dass es in meinem Fall keine Absicht war. Egal: Es war das beste Investment, das ich je gemacht habe.

SZ: Ist Geldanlage eine Ersatzbefriedigung? Wären die Menschen glücklicher, wenn sie Musik hören würden?

Sixt: Intensives Glück erleben wir alle doch nur in kurzen Momenten: Zum Beispiel an einem schönen Tag, wenn die Sonne strahlt.

SZ: Was sagen Ihre Lieblingsphilosophen?

Sixt: Ich habe ein kleines Büchlein für schwierige Zeiten: Marc Aurels Selbstbetrachtungen. Die schrieb er vor 2000 Jahren als Kaiser des größten Weltreichs der Geschichte. Aber er ist überhaupt nicht arrogant, sondern demütig. Seine Gedanken gelten bis heute. Zum Beispiel: Wir sollten uns nicht so wichtig nehmen. Oder: Das Leben ist nichts anderes als ein großes Theater.

SZ: Das Leben ist ein großes Theater?

Sixt: So ist es wohl. Wir sind Schauspieler und spielen alle eine Rolle. Was wir wirklich sind, wissen wir selber nicht so genau. Wenn wir uns das vor Augen führen, wird alles leichter.

© SZ vom 7.3.2008/hgn - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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