Recht und Reformen:Urbane Zeiten

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Begehrte Wohnlage, nach früheren Gesetzen errichtet: Gebäude aus der Gründerzeit in Chemnitz. (Foto: Hendrik Schmidt/dpa)

Das Baugesetzbuch stammt von 1960. Danach wird in Wohngebieten gewohnt, in Gewerbegebieten gearbeitet. Das passt nicht mehr in die heutige Landschaft.

Von Rainer Müller

"Stadt, so wie sie draußen steht, kann ich nach heutigem Baurecht nicht mehr planen", sagt Ulrike Zeidler, Amtsleiterin für Stadtentwicklung im Berliner Bezirk Treptow-Köpenick. Köpenick mit seinem historischen Stadtkern, engen Straßen und Kopfsteinpflaster oder andere angesagte Szenestadtteile wie Kreuzberg, Hamburg-Ottensen oder Köln-Ehrenfeld mit ihren Hinterhöfen und der bunten Mischung an Gewerbe, Gastronomie, Kultur und Wohnen sind zwar sehr begehrt, dürften so aber nicht mehr gebaut werden. Sie stehen halt schon da, und die Nutzungen haben sich nach und nach entwickelt.

Es sind gerade diese urbanen Gebiete, in die heute viele Menschen drängen und in denen der Wohnraum knapp geworden ist. Deshalb liegt der Gedanke nahe, zusätzliche Stadtviertel mit dieser lebendigen Mischung zu schaffen. Dazu muss aber die Gesetzgebung geändert werden - und genau das soll jetzt geschehen. Hamburg hat dazu im Oktober 2015 eine Initiative zur Änderung des Baugesetzbuchs eingebracht, mit der die Schaffung neuer gemischter Quartiere, aber auch die Innenverdichtung deutlich vereinfacht werden soll.

Das Baugesetzbuch (BauGB) ist das wichtigste Gesetz im deutschen Bauplanungsrecht und stammt aus dem Jahr 1960. Es gilt vielen Stadtplanern, Kommunalpolitikern und Verwaltungsexperten als veraltet und zu unflexibel. Tatsächlich atmet das BauGB bis heute den Geist der Nachkriegsmoderne, als die zerbombten Städte "gegliedert und aufgelockert" sowie "autogerecht" wieder aufgebaut wurden. Wohnen sollten die Menschen ungestört im einen Teil der Stadt, Arbeiten in einem anderen Teil, und zum Einkaufen und für die Freizeit sollten sie wieder woanders hinfahren - natürlich mit dem Auto. Der Glaube an diese sogenannte "funktionsräumliche Trennung" lässt nach, der Zeitgeist ändert sich.

Was ist besser, der hellhörige Altbau oder Gebäude mit Schallschutzfenster?

Geregelt ist die strikte Trennung in der "Verordnung über die bauliche Nutzung der Grundstücke", kurz Baunutzungsverordnung, die seit 1962 zentraler Bestandteil des BauGBs ist und ständig fortgeschrieben wird. Entsprechend dieser Verordnung wird in "Wohngebieten" gewohnt, und in "Gewerbegebieten" gearbeitet. In "Kerngebieten" oder "Mischgebieten" darf man beides, im "Mischgebiet" muss dann aber auch zwingend zur Hälfte Wohnen und zur Hälfte Nicht-Wohnen stattfinden, meist Gewerbe, Gastronomie oder Einzelhandel. Eine flexible Auslegung mit mehr oder weniger Wohnen ist nicht möglich. Kerngebiete sind in der Praxis die nach Geschäftsschluss toten Innenstädte, in denen nur in Ausnahmefällen gewohnt werden darf. Wie soll unter diesen Voraussetzungen heute die bunte Kreuzberger Mischung entstehen? Das geht nicht und deshalb soll eine neue Gebietskategorie in die Baunutzungsverordnung eingeführt werden: das "Urbane Gebiet", in dem variable Mischungsverhältnisse möglich sind und in dem auch ähnlich dicht gebaut werden darf wie in gewachsenen Szenestadtteilen.

Das "Maß der baulichen Nutzung" eines Grundstücks wird als "Geschossflächenzahl" (GFZ) angegeben, das ist die Summe aller Geschossflächen eines Hauses im Verhältnis zur Grundstücksgröße. In Berlin mit seinen oft sechsgeschossigen Gründerzeitbauten und der typischen Blockbebauung liegt dieser Wert üblicherweise bei 2,7 und mehr. Heute darf nicht mal mehr halb so dicht gebaut werden. Eigentlich. Durch rechtlich wackelige Ausnahmeregelungen und Sondergenehmigungen sind auch höhere Dichten möglich. In der Hamburger Hafencity erreichen einige Bereiche eine Dichte wie in historischen Vierteln. Stadtplaner plädieren daher für die Abschaffung oder Lockerung der entsprechenden Vorschrift, um keine zeitraubenden planerischen Umwege machen zu müssen. Auch im Bestand wäre es dann einfacher, die Flachdächer von Wohn- oder Geschäftshäusern mit Wohnungen aufzustocken.

Lockerungen erhoffen sich die Kritiker zudem bei den Lärmschutzvorschriften des Bundesimmissionsschutzgesetzes, das der angestrebten "Stadt der kurzen Wege" heute genauso im Weg steht wie das Trennungsgebot im Baugesetzbuch. Hierdurch könnten Baulücken an Hauptstraßen oder in der Nähe von Gewerbebetrieben unkompliziert geschlossen werden. Zudem sei das Wohnen hinter modernen Schallschutzfenstern angenehmer als im benachbarten Altbau. Die Kritiker fordern auch hier eine Anpassung der Lärmschutzanforderungen aus den 1970er-Jahren an den heutigen Stand der Technik.

Das ist viel Stoff für eine Gesetzesnovelle. Im zuständigen Bundesministerium für Bauen und Umwelt arbeitet man derzeit an einer entsprechenden Neufassung des Bauplanungsrechts. Ein erster Entwurf wurde den Bauministern der Länder kürzlich zur Abstimmung vorgelegt. Dem Vernehmen nach geht der Entwurf einigen Ländern nicht weit genug. Ein Sprecher des Bundesbauministeriums äußert sich dennoch optimistisch: "Das Gesetzgebungsverfahren soll noch in diesem Jahr abgeschlossen werden."

© SZ vom 10.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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