Privatisierung in Großbritannien:Tafelsilber auf dem Wühltisch

Lesezeit: 2 min

Tiefe Löcher tun sich auf in Großbritanniens Haushalt. Die Regierung sucht ihr Heil nun in der größten Privatisierung seit den 80er Jahren. Zum Verkauf steht auch die Eurotunnel-Strecke.

Andreas Oldag

Die britische Regierung plant einen milliardenschweren Verkauf von Staatseigentum. Das Vereinigte Königreich wäre damit der erste große Industriestaat, der infolge der Wirtschafts- und Finanzkrise zu solchen drastischen Maßnahmen greift. Angesichts des katastrophalen Haushaltsdefizits will sich London von Staatsbesitz im Wert von 16 Milliarden Pfund (etwa 17,2 Milliarden Euro) trennen. Dies könnte auf die größte Privatisierung seit dem Verkauf von Staatsunternehmen in den 80er Jahren durch die damalige Premierministerin Margaret Thatcher hinauslaufen.

Zum Verkauf stehen offenbar unter anderem die Hochgeschwindigkeitsstrecke zum Eurotunnel unter dem Ärmelkanal, die britischen Anteile am europäischen Uranaufbereitungskonsortium Urenco und das staatliche Wettbüro Tote. Sobald sich die Lage auf dem Immobilienmarkt verbessere, werde die Regierung in London auch mehrere Häuser und Grundstücke verkaufen, hieß es in London. Das staatliche Immobilienportfolio wird auf einen Wert von 220 Milliarden Pfund geschätzt. "Wir brauchen einen Plan zur Reduzierung des Defizits, der für Wachstum und Jobs sorgt und nicht die wirtschaftliche Erholung zerstört, bevor diese begonnen hat", sagte Premierminister Brown.

"Wettrennen zwischen Tories und Labour"

Die Opposition warf dem Labour-Politiker indes eine übereilte Strategie vor. Der Chef der Liberalen im Unterhaus, Vince Cable, warnte davor, das "Tafelsilber" zu einem Zeitpunkt zu verkaufen, wo der Markt für Verkäufe schlecht sei. Nach Meinung politischer Beobachter will Premier Brown jedoch mit seiner Initiative vor allem auch die konservativen Tories in die Enge treiben. Der finanzpolitische Sprecher der Konservativen, George Osborne, hatte vergangene Woche auf dem Parteitag der Tories in Manchester verkündet, dass eine künftige konservative Regierung drastische Haushaltseinschnitte plane. Umfragen zufolge haben die Konservativen derzeit beste Chancen, nach den Parlamentswahlen im nächsten Jahr die Regierung zu stellen.

"Nun ist ein Wettrennen zwischen Tories und Labour entstanden, wer von beiden das beste Rezept zur Haushaltssanierung hat", sagte ein Regierungsbeamter in London. So erklärte Brown, das britische Haushaltsdefizit in den kommenden vier Jahren halbieren zu wollen.

"Meer von Schulden"

Milliardenschwere Hilfsprogramme für strauchelnde Banken, aber auch Ausgaben für teure Konjunkturprogramme haben tiefe Löcher in das Budget gerissen. Im laufenden Haushaltsjahr könnte die Neuverschuldung auf 11,6 Prozent des Bruttosozialprodukts klettern. Großbritannien hat damit ähnlich wie andere EU-Staaten die Schuldenobergrenze des europäischen Stabilitätspaktes überschritten.

Experten in London rechnen damit, dass die gesamte öffentliche Schuldenlast von derzeit 37 auf 80 Prozent der Wirtschaftsleistung im Jahre 2015 ansteigen wird. Das Vereinigte Königreich versinke in einem "Meer von Schulden", kritisierte Oppositionspolitiker Osborne. Die Konservativen haben angekündigt, bereits im ersten Jahr einer Tory-Regierung sieben Milliarden Pfund einzusparen. Die Rotstiftpolitik soll den öffentlichen Dienst ebenso treffen wie die staatlichen Rentenkassen. Das Mindestalter für Pensionsbezieher soll von 2016 an von 65 auf 66 Jahre hinaufgesetzt werden.

Labour hat sich bislang aus Rücksicht auf seine Wählerklientel vorsichtiger zum Thema Sozialabbau geäußert. Finanzminister Alistair Darling will jedoch in jedem Fall im öffentlichen Dienst Einsparungen durchsetzen. Doch diese werden kaum ausreichen, um das Budget zu sanieren. Deshalb geht es jetzt an das Tafelsilber.

© SZ vom 13.10.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: