Premiere:Ein fabelhaftes Monster

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Barrie Kosky inszeniert "Agrippina" - die Geschichte einer Frau, die Männer um den Verstand bringt.

Von Henrik Oerding

Zwei Opern mit weiblichen Titelpartien haben bei den Opernfestspielen Premiere, zweimal steht eine Frau im Zentrum, der es um Macht geht, die berechnend ist und sogar vor einem Auftragsmord nicht zurückschreckt. Das war es aber weitestgehend mit den Parallelen. Denn Salome ist eine Femme fatale, erotisch und tödlich. Die zweite Opernpremiere nimmt eine ganz andere Frau in den Fokus, eine komplexere Figur, findet Barrie Kosky, der Regisseur der Münchner Inszenierung. Obwohl das Stück rund 200 Jahre vor Salome seine Uraufführung feierte.

Agrippina heißt sie, genauer Agrippina die Jüngere, eine Römerin, die im 1. Jahrhundert nach Christus lebte. Agrippina stammte aus einer der angesehensten Aristokratenfamilien Roms, ihr älterer Bruder war der Kaiser Caligula, sie selbst heiratete in dritter Ehe ihren Onkel Claudius, ebenfalls Kaiser des Römischen Reiches. Heute noch bekannt ist sie einmal, weil sie als Stadtgründerin Kölns gilt - sie wurde dort geboren und verlieh der Stadt später den Status einer römischen Colonia. Ihre zweite Geschichte geht um ihren Sohn aus erster Ehe, Nero. Den Geschichtsschreibern nach vergiftete sie Claudius mit einem Pilzgericht und brachte so Nero auf den Thron und sich selbst als Mitregentin an die Macht. Später ließ Nero seine Mutter allerdings ebenfalls töten.

Am Ende musste sie den Kopf lassen: Agrippina in einer zeitgenössischen Darstellung. (Foto: Ole Haupt/Ny Carlsberg Glyptothek)

Der Kardinal Vincenzo Grimani machte aus dieser Geschichte ein Libretto, Georg Friedrich Händel schrieb die Musik. Grimani passte die historischen Personen und Gegebenheiten dem "Dramma per musica" an. Niemand stirbt in seiner Oper. Stattdessen geht es bei ihm ums machtpolitische Ränkespiel - das kannte er wohl nur zu gut vom Hof des Papstes Clemens XI., wo er kaiserlicher Botschafter war. Agrippina intrigiert: Gegen Claudio, gegen Claudios designierten Nachfolger Ottone und gegen Poppea, die künftige Frau Neros. Wie es sich für eine Barockoper gehört, wird es ziemlich kompliziert. "Es ist eigentliche wie in der Serie ,House of Cards' - es geht um Macht und Erotik", sagt Barrie Kosky.

Der Stoff beschäftigte auch andere Komponisten, Claudio Monteverdi mit seiner Poppea etwa. Die inszenierte Kosky 2012 gemeinsam mit den zwei anderen erhaltenen Opern von Monteverdi zum Auftakt seiner Intendanz an der Berliner Komischen Oper. Während Monteverdis Oper eines seiner Spätwerke ist, war Händel zur Uraufführung nur 24 Jahre alt. "Die musikalische Radikalität dieses Stückes ist atemberaubend. Händel ruft damit in die Welt: Ich bin hier!", sagt Kosky. "Er entwickelte die Form weiter, man hört sofort, dass es Händel ist. Er hatte damals schon seine Klangsprache gefunden. Es ist unglaublich, dass ein so junger deutscher Komponist so psychologische Musik schreiben kann."

Die Musik liegt in den Händen von Ivor Bolton, schon lange gern gesehener Gast an der Bayerischen Staatsoper. Aber Barrie Kosky wäre nicht er, würde er nicht auch bei der musikalischen Gestaltung mitreden. "Bei Barockmusik muss man komplett offen sein, es gibt nicht den einen Weg", sagt Kosky. "Meine Barock-Inszenierungen sind tief verbunden mit der Musik, deswegen muss ich mit dem Dirigenten einen gemeinsamen Weg finden. Das liebe ich." Bolton und Kosky haben vorher bereits Glucks "Armide" in Amsterdam und Händels "Saul" in Glyndebourne zusammen auf die Bühne gebracht. "Ich kenne ihn und er kennt mich. Wir arbeiten Hand in Hand zusammen", sagt der Regisseur. Bei allem interpretatorischen Freiraum nimmt Kosky die Vorlage sehr ernst: "Es ist für mich nicht notwendig, etwas zu ändern. Die Komplexität ist schon da, im Text und in der Musik."

Wie er das optisch umsetzen will, hält Kosky zum Redaktionsschluss noch geheim. Nur so viel: Er nimmt die antike Handlung und legt sie in eine abstrakte Welt des 20. oder 21. Jahrhunderts. Er sieht in der Oper ein Kammerspiel mit acht Figuren: "Ich möchte das Drama auf die psychologischen und emotionalen Beziehungen konzentrieren", sagt Kosky. Gerade der Facettenreichtum des Stoffes machen das Stück für ihn so interessant "Manchmal ist es ein Familiendrama, manchmal ist es tief emotional, dann wunderbar ironisch. Manchmal hat es eine große Leichtigkeit, manchmal eine große dunkle Seite."

Damit passt das Stück genau zu Kosky, der auch an der Komischen Oper sowohl Musicals wie Operetten wie ernste Opern spielt und zu allem einen persönlichen Zugang findet. "Ich halte nichts von der Idee, dass es Stücke gibt, die entweder ernsthaft oder komödiantisch sind. Diese Trennung existiert nicht in meinem Theater", sagt Kosky, der auch das antike griechische Theater und die Werke von Shakespeare in der gleichen Tradition sieht. "Man kann sehr emotional sein und mit einem Blick wieder ironisch. Das ist wie das Leben."

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Diese Vielfalt spiegelt sich in der Rolle der Agrippina wider. "Die Frauenrollen in Barockstücken, eigentlich bis Mozart, sind fantastisch", sagt Kosky. "Die Komplexität ging im 19. Jahrhundert komplett verloren, da war die Frau entweder krank oder verrückt oder tot." Obwohl Agrippina lügt, betrügt, von Machtbesessenheit erfüllt ist und sogar mehrere - letztlich nicht ausgeführte - Morde anordnet, kann man Verständnis oder sogar Sympathie für sie bekommen, findet Kosky: "Händel überlässt die Bewertung genau wie Shakespeare dem Zuschauer, es gibt immer einen Grund für das, was Agrippina tut. Natürlich ist sie ein Monster. Aber ein fabelhaftes Monster."

Die britische Mezzo-Sopranistin Alice Coote singt die Agrippina. "Ich bin ein großer Fan, sie ist perfekt für diese Rolle", sagt Kosky, "es ist eine Monsterpartie." Denn Coote muss fast durchgängig auf der Bühne sein, hat während der über drei Stunden Aufführungsdauer sehr viel Text und sehr viel zu singen. Allein agiert sie natürlich nicht, neben ihr treten unter anderem Gianluca Buratto (Claudio), Franco Fagioli (Nerone) und Elsa Benoit (Poppea) auf. Wie genau Kosky die Fäden der Intrigen zwischen diesen Figuren spinnen lässt, wird sich erst in der Premiere zeigen. Die Zuhörer sollten da noch mit einigen Überraschungen rechnen. "Ich hasse es, wenn das Publikum schon bevor der Vorhang aufgeht weiß, was auf der Bühne passieren wird", sagt Kosky. Also bloß nichts spoilern - genau wie bei einer guten Serie.

Agrippina , Premiere: Di., 23. Juli, 18 Uhr, Prinzregententheater

© SZ vom 19.06.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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