Preisträger:Erhalten, nicht abreißen

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Viele bauen lieber neu, anstatt einen in die Jahre gekommenen Wohnblock aufwendig zu sanieren. Doch manchmal lohnt sich der Aufwand, wie ein Beispiel in Pforzheim zeigt.

Von Peter Poguntke

Jeder kennt sie, die Bauten aus den Fünfziger- bis Siebzigerjahren, als es in erster Linie darum ging, möglichst schnell möglichst viel Wohnraum zu schaffen. Heute sind diese Häuser in die Jahre gekommen. Neue Technologien bei der Energieversorgung und ein neues Erscheinungsbild nach außen sind notwendig, um sie in neuem Glanz erstrahlen zu lassen. Doch eine solche Generalsanierung ist aufwendig und teuer. "Kein Wunder, dass viele eher einem Neubau den Vorzug geben", sagt Lothar Hein, Prokurist und Leiter der Technischen Abteilung der Pforzheimer Bau und Grund GmbH. Er und sein Architektenkollege Jochen Freivogel von Freivogel-Mayer Architekten in Ludwigsburg haben in eindrucksvoller Weise bewiesen, dass es auch anders geht. Nach nur einem Jahr Planung und 18 Monaten Bauzeit verwandelten sie einen Wohnblock mit Baujahr 1972 in der Pforzheimer Innenstadt in eines der modernsten Wohnhäuser in dieser Gegend.

Mit einer Warmmiete von nun 6,10 Euro pro Quadratmeter bleibt der Wohnraum bezahlbar

In nächster Nähe zum Bahnhof der Stadt gelegen, diente das Gebäude einst der früheren Bundesbahn dazu, ihren Beamten und Angestellten am Ort günstige und arbeitsnahe Wohnungen zu bieten. Später wurde das Haus von der Stadt Pforzheim erworben, die es in ihr Modernisierungsprojekt "Pforzheim, sonnenklar" integrierte. Im Zentrum dieses Projekts standen Themen wie attraktives städtisches Wohnen, regenerative Energieerzeugung und Nachverdichtung, also der Bau zusätzlichen Wohnraums im Stadtgebiet. Und um es gleich am Anfang zu betonen: Die vielen älteren Mietverhältnisse, die der "Eisenbahnerzeit" entstammen, haben unter dieser Generalsanierung, der das Gebäude unterzogen wurde, nicht gelitten. Mit einer "moderat angepassten" Warmmiete von nun 6,10 Euro pro Quadratmeter ist der Wohnraum für die Altmieter weiterhin bezahlbar geblieben. "Und auch dieser Mehraufwand kommt durch die Energieersparnis wieder herein", betont Hein.

Diese Energieersparnis gewährleistet ein innovatives haustechnisches Konzept, das die alten Elektronachtspeicheranlagen und Warmwasserboiler ersetzt. Nun erzeugen sogenannte Fassadenabsorber, die - von außen nicht sichtbar - in die Betonteile der Außenfassade eingebaut wurden, die nötige Wärme für Heizung und Warmwasser. Für die Deckung des Strombedarfs sorgen Photovoltaik-Module und eine Kleinwindkraftanlage auf dem Dach. Die Verwendung recyclingfähiger Baustoffe schließlich macht den generalsanierten Wohnbau Güterstr. 30 in Pforzheim nachhaltig in dreierlei Hinsicht: ökologisch, ökonomisch und soziokulturell.

Aus Alt wird Neu: Nach nur einem Jahr Planung und 18 Monaten Bauzeit verwandelte sich ein alter Wohnblock in Pforzheim in ein Vorzeigeprojekt. (Foto: Dietmar Strauß)

Wie Architekt Jochen Freivogel unterstreicht, ist gerade die Sanierung von Altwohnungen auch für die Erreichung der Klimaziele in Deutschland, also die langfristige Reduzierung des CO₂-Ausstoßes, von zentraler Bedeutung. Anders seien diese Ziele bis 2050 nicht zu schaffen. Um die Größenordnung, um die es geht, deutlich zu machen, nennt Hein eine Zahl: "Von circa 39 Millionen Wohnungen in Deutschland stammen etwa zwölf Millionen aus den Fünfziger- und Sechzigerjahren."

Heins Unternehmen brachte umfangreiche Erfahrungen aus anderen Sanierungsprojekten vor allem bei der energetischen Modernisierung mit ein. In Pforzheim sind bereits viele Altbauten, die dort seit den Fünfzigerjahren entstanden, saniert. Gebaut wurde dort nach 1945 eine Menge, denn die Stadt wies am Ende des Zweiten Weltkriegs eine der höchsten Zerstörungsgrade in Deutschland überhaupt auf. Mehr als 90 Prozent des Baubestandes lagen in Trümmern.

Der nüchterne Zweckbau wurde mit Loggias und Penthouse auch optisch aufgewertet

Die Herausforderungen der Sanierung, die bei laufendem Wohnbetrieb vor sich ging (die Mieter erhielten für die gesamte Bauzeit Mietminderung), waren groß. Neben der genannten technologischen Überholung sollte der nüchterne Zweckbau auch optisch aufgewertet werden. Erste Veränderung, die jetzt ins Auge sticht: Die Aufstockung des Hauses um eine Etage. Dort entstand ein Penthouse, das vom Mietpreis her zwar deutlich über den anderen Wohnungen liegt, mit zehn Euro pro Quadratmeter jedoch diejenigen, die die Preise mancher Metropolen gewohnt sind, in ungläubiges Erstaunen versetzen dürfte. Der Rest der Wohnungen erhielt großzügige Loggias, die aus den bereits vorhandenen Balkonen entstanden. Darüber hinaus bekam das Haus aus Fassadenplatten ein ansprechendes neues Gesicht, nachdem eine umfassende statische Überprüfung die Machbarkeit einer solchen Gestaltung zugelassen hatte. "Wir haben insgesamt Neuland betreten", sagt Lothar Hein nicht ohne Stolz, "es war ein bislang einmaliges Unternehmen."

Die aufwendig sanierte Fassade des Hochhauses. (Foto: Dietmar Strauß)

So sah es auch die Deutsche Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen e. V. (DGNB), die dieses "einmalige Unternehmen" unter 87 eingereichten Vorschlägen aussuchte und dafür ihren Preis "Nachhaltiges Bauen 2015" verlieh. Überzeugt hatten die Jury nicht nur das energetische Konzept, sondern auch die ästhetischen Aspekte und die Tatsache, dass es gelungen war, die bisherige Mieterschaft von Anfang an in das Projekt einzubinden. "Die Güterstr. 30 in Pforzheim hat Symbolcharakter", erläutert ein Sprecher der DGNB, "es steht für das Motto 'Bezahlbaren Wohnraum erhalten, nicht abreißen'." Die jährlich verliehene Auszeichnung ist eine Initiative der Stiftung Deutscher Nachhaltigkeitspreis in Zusammenarbeit mit der Bundesregierung, kommunalen Spitzenverbänden sowie Organisationen von Wirtschaft und Wissenschaft.

Und auch die Bahnfahrer, die den Bahnhof Pforzheim und damit das preisgekrönte Gebäude passieren, profitieren von dessen neuem Reiz, wie die Rückmeldungen von Reisenden zeigen. Vielleicht liegt dies ja an einem ganz besonderen Detail: Das Windkraftrad auf dem Dach wird nachts grün beleuchtet.

© SZ vom 01.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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