Plattenbauten:Alte Klötze, neuer Reiz

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Plattenbau in Berlin: Wer nicht viel verdient, baut selten Vermögen auf. Der Staat könnte mit Subventionen helfen. (Foto: Wolfgang Kumm/dpa)

Sie galten lange als soziale Brennpunkte, doch nun haben auch private Investoren den Plattenbau für sich entdeckt.

Von Lars Klaaßen

Der Fünfzigste ist oft ein guter Grund zu feiern. So konnten 2014 die knapp 47 000 Einwohner von Halle-Neustadt ("Haneu") auf das 50-jährige Bestehen ihrer Plattenbausiedlung zurückblicken. Das Quartier stand zur Jubiläumsfeier besonders im Fokus, weil sich zuvor die Internationale Bauausstellung (IBA) in Sachsen-Anhalt dem Leerstand und damit auch den Plattenbauten gewidmet hatte. Doch: "Zu einer nachhaltigen Auseinandersetzung mit den Bewohnern", sagt Peer Pasternack, "ist es im Laufe der IBA nicht gekommen".

Der Direktor des Instituts für Hochschulforschung an der Uni Halle-Wittenberg befasst sich als Sozialwissenschaftler und Zeithistoriker mit Plattenbausiedlungen. "Junge Architekten, Künstler und Soziologen beschäftigten sich in Halle-Neustadt wie auch anderswo ernsthaft und empathisch mit Plattenbausiedlungen, sie erhofften sich, dass daraus Anregungen für praktische Lösungen der scheinbar unlösbar gewordenen Teilstadt entstehen", sagt Pasternack. Nach der IBA habe es in Halle-Neustadt aber nur eine markante Verbesserung gegeben: eine neue Skaterbahn.

Wenn Architekten, Stadtplaner und Sozialwissenschaftler sich Plattenbausiedlungen widmen, sind das in der Regel vor allem Interventionen von außen. "So mancher Akademiker hat zwischen Landkommune und Altbau-WG auch schon mal in einem Plattenbau gewohnt, aber die Alltagsrealität jener, die dort den Großteil ihres Lebens verbringen, kennen sie deshalb noch nicht." Wohnungen, die für Studierende in Halle-Neustadt angeboten wurden, stießen auf geringes Interesse - wohl auch, weil das kulturelle Leben in Halles Zentrum stattfindet.

In der DDR lebte etwa ein Drittel aller Einwohner in einer Plattenbausiedlung. Heute beträgt der Anteil in Ostdeutschland nur noch etwa 20 Prozent. Doch der Plattenbau ist nach wie vor prägendes Element der Stadtlandschaften. In den westlichen Bundesländern ist die Wohnform dagegen eher selten.

Städtebauliche Leistungen, die zu sozialen Problemzonen wurden

"Die Plattenbausiedlungen sind gewesene städtebauliche Leistungen und gewordene soziale Problemzonen", sagt Pasternack. "Doch sind sie nicht die Verursacher, sondern die Austragungsorte sozialer Probleme." Zum einen wurden die Siedlungswohnungen am Stadtrand lange in großem Stil ausschließlich an jene vergeben, die finanziell schwach sind. Zum anderen sind die Trabantenstädte ursprünglich homogen konzipiert worden: als reine Wohn- und Schlafstädte, ohne beträchtliche urbane Angebote - und oft aus Kostengründen sehr einfach gestaltet.

Das hat sich in den vergangenen Jahren vielerorts verändert. Ob bunte Fassaden, neue Grünflächen, Gastronomie oder kulturelle Angebote: Viele Siedlungen sind moderner geworden. "Die Erfahrungen der letzten 20 Jahre zeigen, dass bauliche Lösungen mit ausreichend politischem Willen durchaus umzusetzen sind," sagt Pasternack. "Umgesetzte Baumaßnahmen zeigen zum Teil völlig neue, ansprechende Gebäudetypologien im Bestand."

In manchen Plattenbausiedlungen wohnen vor allem sozial Schwächere. In ostdeutschen Städten, die besonders stark von Wohnungszerstörung während des Zweiten Weltkriegs betroffen waren, ist die Ballung bestimmter Schichten allerdings weniger ausgeprägt, wie eine Studie des Wissenschaftszentrums für Sozialforschung in Berlin festgestellt hat.

Neue Leitungen, Bäder, Küchenfliesen und dreifach verglaste Fenster

Um eine bessere Durchmischung der Städte und Siedlungen zu erreichen, müssten mehr bezahlbare Wohnungen in den zentralen Lagen entstehen. Sozialer Wohnungsbau solle stärker in den Innenstädten als in Großwohnsiedlungen stattfinden, meint Pasternack. Dies wird mancherorts auch versucht, etwa in Berlin. Um im Neubau bezahlbare Mieten anbieten zu können, setzen die sechs landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften auf Typenbau: Häuser, die nach dem gleichen Entwurf mehrfach errichtet werden. Die Entwürfe sollen als flexible Bausteine funktionieren, die sich in bestehende Block- oder Hofstrukturen einfügen lassen. Dazu kommen frei stehende Punkthäuser sowie Dachaufbauten auf bestehende Gebäude.

Auch private Immobilienunternehmen haben die Platte für sich entdeckt - im Bestand. So hat das Unternehmen Wertgrund im Kölner Stadtteil Bickendorf 28 Millionen Euro in die Sanierung eines 25-Geschossers mit 407 Wohneinheiten investiert. Leitungsstränge, Bäder und Küchenfliesen wurden erneuert. Hinzu kam der Einbau von dreifach verglasten Fensterelementen inklusive Giebelfenster sowie die Modernisierung der Flure, Treppenhäuser Eingangsbereiche und Aufzüge. Darüber hinaus wurden die 120 vormals leer stehenden Wohnungen auf den aktuellsten Stand gebracht. In leer stehenden Wohnungen wurde die ineffiziente elektrische Fußbodenheizung durch Fernwärme ersetzt. In den anderen Einheiten wird dies bei Mieterwechseln nachgeholt. "Vor jeder Wohnung ein großer Balkon, und der Blick geht über die ganze Stadt", sagt Wertgrund-Geschäftsführer Timo Holland. Die bisherigen Nettokaltmieten steigen durch die Sanierung von bisher etwa 7,40 Euro um 1,80 Euro pro Quadratmeter.

Östlich des Berliner Alexanderplatzes, wo sich eine ausgedehnte Plattenbausiedlung Richtung Friedrichshain zieht, hat das Immobilienunternehmen Akelius eine Reihe von Gebäuden saniert. "Mit den effizient geschnittenen Wohnungen darin, die auf 60 bis 70 Quadratmetern drei bis vier Zimmer haben, werden 80 bis 90 Prozent aller Suchenden angesprochen", sagt Ralf Spann, Europachef des Unternehmens. "Wichtig ist aber auch das Umfeld. Die Leute erwarten eine gute Verkehrsanbindung, Grünflächen und Infrastruktur wie Kita, Schule und zum Einkauf."

In vielen Trabantenstädten am Stadtrand wird die Infrastruktur auch ausgebaut. Doch ob auch Kreative oder gut verdienende Familien dorthin ziehen? "Dafür müssten dort Wohnungen geschaffen werden, die auf unterschiedliche Bedürfnisse zugeschnitten sind", so Pasternack. "Wenn zudem der soziale Wohnungsbau in den Innenstädten vorangetrieben wird und der Zuzug in die Metropolen anhält, können neue Milieus den Reiz des Plattenbaus für sich entdecken."

© SZ vom 28.03.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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