Minimalist am Werk:Antivilla zum Nachdenken

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Arno Brandlhuber ist Minimalist. In seinem Haus gibt Beton den Ton an; es gibt keinen Innenputz, keine Verkleidung von Leitungen. Gemütlich ist das nicht. (Foto: Regina Schmeken)

Der Berliner Architekt Arno Brandlhuber macht in Beton und Politik. Seine Vorschläge zur Stadtentwicklung sind bisweilen genauso ungewöhnlich wie seine Bauten.

Von Steffen Uhlmann

Die Brunnenstraße bietet verrückte Berliner Geschichte. Sie teilt die Stadt immer noch, oder schon wieder, in zwei verschiedene Welten. Nur sind 27 Jahre nach dem Mauerfall die Rollen komplett vertauscht. Aus dem heruntergekommenen östlichen Teil der Brunnenstraße, der Rosenthaler Vorstadt, ist ein Vorzeigestück der hyperventilierenden Berliner Mitte geworden - mit zumeist sorgfältig restaurierten Fassaden, trendigen Galerien, Shops und Cafés. Im oberen westlichen Teil der Straße dagegen, dort wo der einstige Arbeiterbezirk Wedding beginnt, stößt man auf verwahrloste Balkons mit hässlichen Satellitenschüsseln und auf traurige Billigläden - der Westen ist hier zum "neuen Osten" verkommen.

Arno Brandlhuber hat sein Galeriehaus natürlich im unteren Teil der Brunnenstraße (Nummer neun) gebaut. In eine Baulücke mit Kellerresten hat er 2009 ein Haus hineinbetoniert, das aufgrund seiner Bauweise und seines schlauen Minimalismus beinahe durch alle Feuilletons und Architektenhefte gegangen ist. Auf Neubaustandards verzichtete der Architekt weitgehend. Die Fußböden seines Hauses haben keine Trittschalldämpfung, es gibt keine Beläge und keine Tapeten. Die Betoninnenwände blieben unverputzt, die Versorgungsleitungen unverkleidet. Die Fassade wiederum besteht aus raumhohen Fenstern und milchgrauen Plastikelementen, die sonst für Gewächshäuser verwendet werden. Das ist frech inmitten der vielen durchsanierten Gründerzeitfassaden.

Brandlhuber, der mit seinem Architekturbüro, einem kleinen Verlag und einer Galerie in das Haus gezogen ist, genießt noch immer seinen Erfolg. Das Gebäude hat seinem Besitzer und Nutzer ein Mehr an bezahlbarem Raum und Flexibilität und ihm als Architekten jede Menge Anerkennung eingebracht. Das Haus sei architektonisch sicherlich nicht überaus bedeutend, sagt er. "Aber es sticht heraus aus Berlins übrigen Neubauten mit ihren fast immer gleichen Fassaden - diesen Steintapeten mit Lochfenstern."

Fast noch mehr Renommee gewann der hippe "Betonierer" mit seiner inzwischen kultverdächtigen "Antivilla", die durch den Umbau eines alten DDR-Textilstofflagers am Krampnitzsee bei Potsdam entstand. Breite Panoramafenster, die grob aus der Wand geschlagen wurden, eine Betonplatte als Dach, die nun gleichzeitig als Terrasse fungiert, in der Mitte des Obergeschosses ein Betonkern mit Küchenzeile, Bad und Sauna, dafür ein weitläufiges Atelier im Untergeschoss - und das alles umhüllt mit einem grau geschlämmten Putz aus DDR-Zeiten. Für die einen Betrachter ist sein Haus nur ausnehmend hässlich, für andere ist es schon jetzt eines der "bedeutendsten Denkgebäude" dieses Jahrzehnts. Schließlich hat erst unlängst das New York Times Style Magazine Brandlhubers 500 Quadratmeter großes Kleinod mit einem Exklusiv-Beitrag geadelt. Er selbst genießt sein Haus, das er sich mit Freunden teilt. Im Norden der Wald, im Süden der See und mittendrin seine "Antivilla", die ihm nicht nur zum Wohnen, sondern auch zum Feiern und Arbeiten dient. Die Grenzen zwischen Arbeiten und Spaß seien doch fließend, sagt er und stellt klar: "Ich lasse offen, ob sich Räume zum Wohnen oder Arbeiten eignen - am besten für beides."

"Jahrelang wurde alles, was gerade nicht genutzt wurde, meistbietend verkauft."

Bei Brandlhuber fällt es ohnehin schwer, herauszufinden, was für ihn Spaß, was Arbeit und was Erholung ist. Der Mann mit dem markanten Dialekt eines Nordbayern hat nach seinem Architekturstudium in Darmstadt und in Florenz lange Zeit in Köln gelebt und gearbeitet. Mit Bernd Kniess hat er dort das Architektenbüro b&k+ gegründet, das er nun in Berlin alleine weiterführt. Das Plus steht dabei für offene Projektpartnerschaften, die schon in der Kölner Zeit zu überraschenden Lösungen geführt haben. So entstand unter Regie der beiden eigenwilligen Pragmatiker auf einer schmalen Parzelle in Köln-Ehrenfeld hinter einer matten Kunststofffassade ein Wohn- und Atelierhaus, das wohl für seinen Lückenbau in der Brunnenstraße Pate stand.

Bevor es ihn nach Berlin zog, hat der heute 52-Jährige 2003 noch einen Lehrstuhl für Architektur- und Stadtforschung an der Akademie der Bildenden Künste in Nürnberg besetzt, den er bis heute innehat. Ab 2006 dann Berlin. "Ich bin", sagt er, "ohne politische Ambitionen hierher gekommen." Kurz darauf aber fing er an, sich einzumischen - in Stadtentwicklungs-, Bau- und Liegenschaftspolitik. Heute gilt er als einer der wichtigsten Kritiker der Berliner Stadtentwicklung und für viele Branchenkenner sogar als der politischste Architekt des Landes. Mag sein, dass er das wirklich ist. Er selbst aber sieht sich als "ganz normalen" Architekten, der sich zunächst einmal für Baugesetzgebung, Bauruinen, Baulücken und Beton interessiert.

Und dabei auch eigene Aussagen in seiner Arbeit formuliert. Die meisten seiner Kollegen verstünden sich dagegen als reine Dienstleister, sagt er und zuckt mit den Achseln. "Sie wirtschaften freilich derart prekär, dass sich die Frage überhaupt nicht stellt. Sie müssen einfach jeden Auftrag annehmen."

Brandlhuber muss das nicht. Häufig fährt er mit Kollegen durch die Stadt, um Baulücken und unfertige Objekte aufzuspüren. Für ihn ist der Erhalt, die Anpassung und die Ergänzung des Bestandes und nicht unbedingt der Neubau zur Hauptaufgabe seiner Zunft geworden. Darauf gründet sich seine Art der Wertschätzung des Vorhandenen. Inzwischen sitzt Brandlhuber auf einem großen Archiv mit Beispielen unfertiger Objekte. Beinahe genauso viele Beispiele aber habe er gesammelt, die für eine fragwürdige Liegenschaftspolitik des Landes stehen, sagt der Architekt. "Jahrelang wurde alles, was gerade nicht genutzt wurde, meistbietend verkauft." Für Brandlhuber mit verheerenden Folgen für die Stadtentwicklung, schließlich seien durch die pauschalen Verkäufe städtischer Liegenschaften kreative Gestaltungsspielräume zugunsten eines Einmalgewinns aufgegeben worden.

Auf alle Gebäude sollten Penthouses gebaut werden. Und darunter Sozialwohnungen

Mit den Stadtplanern Florian Hertweck und Thomas Mayfried hat Brandlhuber den umfangreichen Band "The Dialogic City - Berlin wird Berlin" vorgelegt, in dem er seine Positionen zum Städtebau darlegt und gemeinsam mit den beiden Mitherausgebern sowie mit anderen Fachleuten und Kollegen ein Zukunftsszenario für das wachsende Berlin entwirft. Es ist ein Plädoyer für einen Städtebau, der nur zu einem geringen Teil ästhetisch motiviert sein soll, sondern vorrangig durch Nutzungsfragen. Vor allem aber geht es ihm um den Erhalt historisch gewachsener Stadtstrukturen, mit denen die Unterschiedlichkeit von sozialen, ethnischen oder religiösen Milieus verbunden ist. Diese Verschiedenheit müsse in einer Zeit des Stadtumbruchs ausgehalten und weitergedacht werden, sagt Brandlhuber.

Der Wechsel in Berlin ist radikal. Aus einer schrumpfenden Stadt mit prekärer Wirtschaftslage ist binnen weniger Jahre eine Metropole mit dem größten deutschen Wirtschaftswachstum geworden, die jetzt jedes Jahr einen Zuzug von mehr als 40 000 Menschen verkraften muss und mehr und mehr in den Fokus deutscher und ausländischer Investoren und Kapitalanleger gerückt ist. Nicht nur in der angesagten Mitte der Stadt, sondern längst innerhalb des ganzen S-Bahn-Stadtrings und nicht selten schon darüber hinaus gehen die Grundstücks-, Bau-, Miet- und Kaufpreise extrem nach oben.

Das feuert die Migrationsbewegung und die viel beschworene Gentrifizierung innerhalb der Stadt an. Die Schwächeren ziehen an den Rand, die zumeist einkommensschwache Berliner Kernbevölkerung gleich mit. "So verlieren wir all das, was Berlin bislang ausmacht", warnt Brandlhuber und fordert die Akzeptanz von Heterogenität, den Erhalt der Vielfalt von bezahlbaren Wohnformen für verschiedene Lebensentwürfe sowie eine offensive Bodenpolitik des Landes Berlin ein, die die soziale Durchmischung der Quartiere und Stadtteile erst möglich mache.

Als Architekt aber will er auch über Standards im Wohnungsbau reden, die dafür sorgten, dass der durchschnittlicher Quadratmeterpreis jetzt schon zwischen 1500 und 2000 Euro liege - mit der Tendenz weiter nach oben. "Darunter geht nichts mehr", sagt Brandlhuber nüchtern. Das liege an Schallschutz, Wärmeschutz bzw. unzähligen anderen Schutzregulierungen und Auflagen. "Baugesetze und Auflagen kann man ändern und Bauordnungen im Dialog mit der Politik flexibel den neuen Bedürfnissen anpassen", sagt er. Brandlhuber würde in Berlin erlauben, dass auf alle Gebäude über die bisherige Höhenbeschränkung hinaus ein weiteres Geschoss für Penthouses gebaut werden darf. Voraussetzung dafür sei allerdings, dass die gleiche Fläche in einer der darunter liegenden Etagen dauerhaft für Sozialwohnungen reserviert bleibe, erklärt er. "Bei diesem Modell trifft sich Gemeinwohl mit Gewinnmaximierung, und es entstehen sozial gemischte Nachbarschaften."

Er selbst hat mit seinem Büro schon jetzt ein Baukonzept entwickelt, das mit 1000 Euro pro Quadratmeter auskommt. "Freilich ohne dass man schlechter wohnt", wie er behauptet. Der Vorteil des billigen Bauens liegt für ihn auf der Hand. "Wenn Menschen in der Lage wären, Wohnraum günstig zu mieten oder zu kaufen und so nur noch die Hälfte der derzeitigen Preise zu bezahlen hätten, stünden viele von ihnen nicht mehr bis zum Rentenalter oder gar darüber hinaus unter diesem immensen Abzahlungsdruck", rechnet er hoch. "Es ist nun mal eine riesige Qualität, weniger Geld verdienen zu müssen und dadurch mehr Freiheit zu gewinnen."

Geld verdienen will Brandlhuber aber schon. Erst unlängst hat er zusammen mit Freunden im Ostberliner Stadtbezirk Lichtenberg zwei Silotürme erworben, die zu DDR-Zeiten zum Kombinat Elektrokohle gehörten. Die Dreckschleuder inmitten der Stadt ist längst abgestellt. Auf ihrem Gelände ist ein Gewerbehof entstanden, zu dem auch der vietnamesische Großmarkt "Klein-Hanoi" gehört. In seiner Nachbarschaft will Brandlhuber nun die Silos zu Atelierwerkstätten umfunktionieren und eine Produktion von Prototypen für moderne Flüchtlingsunterkünfte starten. Sie sollen eine menschenfreundliche Alternative zu üblichen Containersiedlungen sein. "Mehr noch", sagt er. "Wir wollen damit auch einen Anstoß geben, Wohnen neu und weiter zu denken."

© SZ vom 22.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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