Medizinisch-industrieller Komplex:Systematisch korrupt

Lesezeit: 2 min

Von wegen "Götter in Weiß": Nach Erkenntnissen des Bundeskriminalamts stehen Ärzte im Zentrum der Korruption im Gesundheitswesen. Viele Mediziner erhalten dabei nicht nur Kopfgeld für Patienten.

Guido Bohsem

Karl Lauterbach! Als der Name des SPD-Gesundheitspolitikers fällt, ist es vorbei mit Andreas Köhlers Gelassenheit. Eine Stunde lang hatte der Vorsitzende der Kassenärztlichen Bundesvereinigung die unerträglich komplizierten Feinheiten der jüngsten Honorarverhandlungen dargelegt und dann das: Gefragt wurde er nach ganz etwas anderem, nämlich den "Fangprämien", die Krankenhäuser niedergelassenen Ärzten zahlen, wenn sie ihnen Patienten überweisen. Und es ging nun um die Aussage Lauterbachs, der den Ärzten vorgeworfen hatte, durch diese Praxis das Leben ihrer Patienten zu gefährden.

Was für ein Gefühl die Patienten wohl hätten, die von ihrem Doktor gerade ein Krankenhaus empfohlen bekämen?, schimpfte Köhler. Dies geschehe etwa 14 Millionen Mal im Jahr und nur in wenigen Einzelfällen fließe Geld.

"Da kriege ich das Kotzen"

Es handele sich um eine Übertreibung der Medien, "um die Nachwehen, den Mutterkuchen des Sommerlochs", polterte der Ärztechef. "Da wird wieder mal der gesamte Berufsstand verunglimpft" - und das auf Kosten der Patienten. "Da kriege ich das Kotzen."

Tatsächlich ist die Debatte über die Fangprämien exemplarisch für zweierlei: Sie zeigt einmal mehr, dass Betrug und illegale Tricksereien alltäglich sind im medizinisch-industriellen Komplex und sie zeigt, wie empfindlich die Spieler im System reagieren, wenn sie über die offensichtlichen Missstände im System sprechen müssen.

Nach Erkenntnissen des Bundeskriminalamtes (BKA) stehen die Ärzte im Zentrum der Korruption im Gesundheitswesen. Die allermeisten registrierten Delikte werden von ihnen verübt. Aber auch Labore, Kliniken, die Pharmahersteller, Apotheker, Zahntechniker, Sanitätshäuser und Krankenkassen-Mitarbeiter mischen kräftig mit.

Nur die Spitze

Das BKA macht vor allem das weitgehend unkontrollierte Abrechnungssystem für die Betrugs- und Korruptionsfälle verantwortlich. So hätten Kassenpatienten keine Möglichkeit, die Arztrechnungen mit den tatsächlich erbrachten Leistungen abzugleichen.

Die Kassen als Geschädigte seien oftmals nur auf Schadenersatz aus und sie verzichteten auf eine strafrechtliche Verfolgung, weil dies noch höhere Kosten verursache. Deshalb dürfte es sich bei den etwa 3800 Betrugsfällen, die 2007 von den Behörden erfasst wurden, nur um die Spitze handeln. Die Dunkelziffer sei erheblich höher, vermuten die Experten des BKA.

Der Verein Transparency International geht davon aus, dass durch Korruption im medizinischen Betrieb Kosten von bis zu 14 Milliarden Euro im Jahr entstehen. Das Gesundheitsministerium ist vorsichtiger und spricht nur von einem dreistelligen Millionenbetrag.

Es waren die Krankenhausgesellschaft (DKG) und die Bundesärztekammer, die dieses Mal Alarm schlugen. Sie meldeten einen deutlichen Anstieg der Fälle, in denen "niedergelassene Ärzte ihre Patienten an Krankenhäuser verkaufen". DKG-Präsident Rudolf Kösters sagte, immer öfter setzten Ärzte die Kliniken unter Druck.

"Geld oder Patient"

Nach dem Motto: "Geld oder Patient". Ärztekammer-Chef Jörg-Dietrich Hoppe machte die fortschreitende Kommerzialisierung der Medizin für das Phänomen verantwortlich. Bald darauf warfen sich Vertreter von Ärzteschaft und Krankenhäusern gegenseitig vor, für die Kopfgelder verantwortlich zu sein. Die einen, weil sie sie zahlten. Die anderen, weil sie sie kassierten.

Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) sprach von Betrug, wenn die vom Krankenhaus geleisteten Zahlungen auch noch über die Krankenkassen abgerechnet würden. Der Verband Volkssolidarität argumentierte, die Kliniken seien zu den Prämienzahlungen gezwungen, weil sie sonst dem Wettbewerb nicht standhielten.

Schuld trage die Gesundheitspolitik, die solche Rahmenbedingungen geschaffen habe. Schließlich kam Lauterbach und warf den Ärzten sinngemäß vor, sie würden den Tod ihrer Patienten in Kauf nehmen, wenn sie sie in die falsche Klinik überwiesen.

Vorteil Nachsorge

Die Heftigkeit der Debatte lenkt aber davon ab, dass es die Gesundheitsreform war, die das Tor zu den Fangprämien-Zahlungen öffnete. Grob gesprochen sind die Kliniken aufgefordert, ihre Patienten früher zu entlassen. Das Ziel ist es, Geld zu sparen. In bestimmten Fällen dürfen dann niedergelassene Ärzte auf Kosten der Krankenkasse die Nachsorge übernehmen.

Der Arzt bekommt also im Fall der Fangprämien Geld von der Klinik, damit er diese auswählt. Die Klinik wiederum bevorteilt ihn dann noch, in dem sie ihm die Nachsorge überträgt. Es ist ein Geschäft auf Gegenseitigkeit, das die Kassenärzte und Krankenhausgesellschaften künftig unterbinden wollen - und müssen.

© SZ vom 04.09.2009/pak - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: