Leben in der Stadt:Die Angst als Begleiter

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Schülerinnen des Berthold-Brecht-Gymnasiums in Pasing haben für ein Praxisseminar Wege recheriert, die jungen Frauen in der Nacht Angst machen. Zum Beispiel diese Unterführung. (Foto: Robert Haas)

Bei vielen wächst die Sorge, sie könnten Opfer von Kriminellen werden. Sie rufen nach dem Staat, der Straßen und Plätze besser überwachen soll. Dabei gibt es noch andere Wege, die Sicherheit zu erhöhen.

Von Marianne Körber

Dunkle, enge Unterführungen, es stinkt nach Urin. Der Müll in den Büschen, die besprühten Wände, der Unrat vor den Hauseingängen machen klar: Hier will man nicht leben. Aber viele Menschen haben keine Wahl, sie können sich keine besseren Stadtviertel leisten. Doch wer hier wohnt, ist auf der Hut, entwickelt mitunter eine vage Angst auf Straßen, in U-Bahnen und Bussen, ja sogar in der eigenen Wohnung.

Es stimmt, die Kriminalität hat in den vergangenen Jahren zugenommen - die Angst vor ihr aber noch mehr. Sichtbare Zeugen dafür sind die hohen Mauern um Villen, die Alarmanlagen, Bewegungsmelder und Überwachungskameras, der Einsatz von privaten Sicherheitsdiensten, die "Bewaffnung" von Frauen mit Pfeffersprays. Der Ruf nach Ordnungshütern wird lauter.

Das neue Unbehagen hat viele Ursachen. Der ungebremste Zuzug in die Städte führt zu mehr Verdichtung und Enge, die steigende Internationalisierung verstärkt die Angst vor Unbekanntem, Medienberichte, Krimis und eine geschäftstüchtige Sicherheitsindustrie sorgen bei vielen für ein mulmiges Gefühl. Polizei und Kommunen wissen das und steuern gegen. Auch die Stadtplaner machen sich Gedanken darüber, wie Kriminalität und die Angst davor vermindert werden kann. Kriminalprävention im Städtebau heißt das Stichwort, unter dem viele Aktivitäten zusammengefasst werden können. Aber was können Stadtplaner wirklich tun, damit sich die Bürger in ihrer Umgebung sicher fühlen?

Mit guter Architektur und Planung lässt sich schon einiges bewirken, meint der international bekannte, österreichische Stadtsoziologe und Kriminologe Günter Stummvoll. Für ihn ist Sicherheit "die wichtigste Nebensache der Architektur". Der Wissenschaftler, der an der Universität Wien lehrt, plädiert ganz praktisch für mehr Transparenz. So könne etwa der Einsatz von Glas bei U-Bahn-Eingängen und Erdgeschosszonen zu einem größeren Sicherheitsgefühl beitragen. Auch sei vorstellbar, Bauträger und Architekten zu verpflichten, in Neubauten genormte Sicherheitstüren einzubauen oder Lichtschächte in Tiefgaragen vorzusehen. Und um Diebstählen vorzubeugen, könnten Fahrradständer neben Taxiständen angebracht werden, um informelle soziale Kontrolle zu garantieren.

Wichtiger aber sind Stummvoll die Themen Nachbarschaft und öffentlicher Raum. "Durch Sozialkontakte entsteht mehr Sicherheit", sagt er. Wo soziale Kontrolle stattfindet, haben Kriminelle weniger Tatgelegenheiten. Konkret bedeutet das zum Beispiel, in Wohngebäuden jemanden zu beschäftigen, der sich um die Bewohner kümmert "und nicht nur Glühbirnen austauscht". Wartung und Gemeinwesenarbeit sollten in einer Hand liegen und nicht an Reinigungs- oder Haustechnikfirmen ausgelagert werden, empfiehlt der Experte.

Die Menschen müssten sich mehr mit ihrer Umgebung identifizieren können. Um das zu erreichen, könnten beispielsweise Hausnummern ein originelles Design bekommen und verschiedene Materialien und Farbein beim Straßenbelag verwendet werden, so der Rat des Wissenschaftlers. Und es müsse mehr Nachbarschaft stattfinden. "Die Herausforderung für Architekten besteht darin, mehr Begegnungszonen einzurichten", sagt Stummvoll. Parks, Spielplätze und Plätze für Jugendliche seien nötig. Allerdings gebe es hier ein Dilemma - einerseits bestehe der Wunsch nach Parkbetreuung, andererseits aber sei ein stark kontrollierter Ort nicht mehr so attraktiv. "Kinder wollen sich verstecken, Jugendliche brauchen heimliche Erlebnisräume". Da müsse man zwischen Kontrolle und Freiheit abwägen.

"Sicherheit liegt dann vor, wenn die Menschen nicht über Risiken nachdenken müssen."

Aber helfen architektonische Maßnahmen wirklich, das Sicherheitsempfinden der Menschen zu steigern oder sogar die Zahl der Straftaten zu verringern? Für Letzteres gebe es wenig Nachweise, meint der Soziologe, aber die Gestaltung und Pflege von öffentlichem Raum bewirke, dass sich Menschen geordnet verhielten. Und wo alles ordentlich und sauber sei, sei die Hemmschwelle, etwas kaputt zu machen, höher - "Gutes kann Gutes bewirken", sagt Stummvoll. Beim Thema Sicherheit und Kontrolle gehe es also nicht darum, die Menschen stärker zu bewachen oder eine Art "Bürgerwehr" einzurichten, sondern darum, den Sinn für ein gutes Miteinander zu stärken. "Sicherheit liegt dann vor, wenn die Menschen nicht über Risiken nachdenken müssen", sagt Stummvoll.

Als Fehlentwicklung betrachtet der Experte, der sich intensiv mit Städtebau und Kriminalität in anderen Ländern beschäftigt, die Zunahme der Gated Communities, also der Gebäudekomplexe mit Zugangsbeschränkungen. Mit Einkaufszentren, Bildungs-Campussen und Business-Parks entstünden zudem immer mehr exklusive Enklaven, die den öffentlichen Raum ablösten. Die Ursache dafür sieht Stummvoll in einem "Interessenkonflikt" mit der Immobilienwirtschaft.

Einen Interessenkonflikt scheint es auch bei der Kooperation mit der Polizei zu geben. Diese analysiert die Hotspots, die Orte, an denen häufig Verbrechen geschehen. Die Daten sind auch für Stadtplaner interessant, allerdings schwer zu kriegen. "Die Polizei lässt sich nicht so gern in die Karten schauen", meint Stummvoll. Dabei kommt es in der Kriminalprävention gerade auf das Zusammenspiel aller Beteiligten an.

Es geht darum, Tatgelegenheiten zu beseitigen. Zum Beispiel die Pflanzkübel am Bahnhof

Doch die Polizei beschäftigt sich ebenfalls mit dem Thema Architektur und Sicherheit. Das liegt auch am Engagement von Ingrid Hermannsdörfer. Die Architektin arbeitet seit fünf Jahren beim Landeskriminalamt Berlin in der Städtebaulichen Kriminalprävention. Ihre Aufgabe ist es, das Beratungsangebot der Polizei bekannt zu machen und zu konkreten Orten Stellung zu beziehen, etwa bei Neuplanungen oder Umgestaltungen. "Dabei liegt unser Arbeitsschwerpunkt im öffentlichen Raum, das heißt bei der Gestaltung von Grünanlagen, Stadtplätzen, Außenanlagen von Wohnsiedlungen oder touristischen Orten, die aufgrund ihrer Funktion, Lage und Bedeutung besonders viele Menschen anziehen. Bei letzteren geht es häufig um die Vermeidung von Nutzungskonflikten zwischen unterschiedlichen Gruppen, zum Beispiel Anwohnern und Feierwütigen, Jugendlichen und Senioren", beschreibt Hermannsdörfer ihre Arbeit. Tatgelegenheiten für Raub, Diebstahl oder Drogenhandel soll es also gar nicht erst geben - keine hohe Hecke als Sichtschutz für den Einbrecher vor der Erdgeschosswohnung, keine Pflanzkübel als Drogenbunker auf dem Bahnhofsvorplatz, keine "abgehängten" Ecken als Versteck für Pinkler und Raubtäter im Park, keine maroden Bodenbeläge, die es Dieben leicht machen, sich an gehbehinderte Menschen heranzumachen, sagt Hermannsdörfer, die mit dem breiten Aufgabenspektrum aus Beratung, Ausbildung, Öffentlichkeitsarbeit und Strategieentwicklung die bundesweit einzige derartige Architektenstelle bei der Polizei innehat.

Ihre Erfahrungen sieht sie insgesamt positiv; Sicherheitsaspekte würden verstärkt schon zu Projektbeginn berücksichtigt. "Bis zur völligen Selbstverständlichkeit, die Polizei und ihr Erfahrungswissen in die Planung einzubeziehen, fehlt allerdings noch ein ganzes Stück", sagt sie. Die Gestaltungsvorschläge kämen gut an, aber "am Ende fehlen oft die finanziellen Mittel und manchmal auch der Wille zur Umsetzung seitens der Verantwortlichen." Sie wünscht sich daher "kommunale Töpfe" für urbane Sicherheit, aus denen Maßnahmen zur Erhöhung der Sicherheit im öffentlichen Raum gefördert werden könnten.

Polizei allein kann nicht für mehr Sicherheit sorgen, meint auch Holger Floeting, Wissenschaftler am Deutschen Institut für Urbanistik in Berlin. Sicherheit sei zwar im Grundsatz eine staatliche Aufgabe, allerdings spielten "städtische Akteure" durch die schleichende Verlagerung von Aufgaben, die früher von der Polizei wahrgenommen worden seien, eine immer wichtigere Rolle für die urbane Sicherheit. Das Thema sei aber in der öffentlichen wie wissenschaftlichen Diskussion angekommen. (siehe nebenstehendes Interview).

© SZ vom 27.05.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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