Lärm:Ruhe jetzt!

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Laute Musik die ganze Nacht? Das nervt die Nachbarn und führt oft zu Streit. (Foto: Andreas Lander/picture-alliance/ZB)

Weil dichter gebaut wird, steigt vor allem in den Stadtwohnungen der Lärmpegel. Häufig müssen Gerichte darüber entscheiden, was zu laut ist.

Von Andrea Nasemann

Die schwerhörige Nachbarin hat den Fernseher bis zur höchsten Lautstärke eingestellt, der Hund von nebenan bellt ohne Unterlass, ein Hobbymusiker spielt Schlagzeug, auf der Straße dröhnen die Autos vorbei - vor allem in Stadtwohnungen wird es schnell mal laut, manchmal zu laut. Etwa 70 Prozent der Bevölkerung fühlen sich häufig oder andauernd durch Lärm belästigt. Das kann ärgerlich sein. Ist es aber sehr oft zu laut, können Schlafstörungen, Kopfschmerzen und Aggressionen die Folge sein.

Zwar wurden die gesetzlichen Anforderungen an den Schallschutz in den vergangenen Jahrzehnten erheblich verschärft. Sie gelten jedoch nur für Neubauten, nicht für Bestandsgebäude. Baut ein Eigentümer allerdings nachträglich das Dachgeschoss zu einer neuen Wohnung aus, kann der Mitbewohner im Haus verlangen, dass die zum Zeitpunkt des Ausbaus geltenden Grenzwerte für den Trittschall eingehalten werden (Bundesgerichtshof, Urteil vom 6. Oktober 2004, VIII ZR 355/03).

Schlagzeugspielen ist erlaubt, urteilten Münchner Richter. Aber nur 30 Minuten am Tag

Zum vertragsgemäßen Gebrauch einer Wohnung gehört es, Radio zu hören, fernzusehen, Haushaltsgeräte zu benutzen, Musikinstrumente zu spielen oder ein Haustier zu halten. Die damit verbundenen Geräusche gehören zum Alltag und müssen von den anderen Mitbewohnern im Haus ertragen werden - allerdings nur in Zimmerlautstärke. Der Begriff lässt aber durchaus Interpretationsspielraum. "Zimmerlautstärke bedeutet, dass Geräusche in den angrenzenden Wohnungen nicht mehr als geringfügig zu hören sein dürfen", erklärt Kathrin Gerber, Fachanwältin für Miet- und Wohnungseigentumsrecht. Dies erfordere schon das Gebot der Rücksichtnahme in einem Mehrfamilienhaus. Staubsauger, Bohrer oder Waschmaschine machen aber häufig mehr Lärm. "Diese Tätigkeiten dürfen deshalb nur außerhalb der Ruhezeiten erfolgen", erläutert Gerber.

Es ist ein weit verbreiteter Irrglaube, dass es allgemeine Ruhezeiten gibt, die bundesweit gelten. Die Ruhezeiten werden von den Bundesländern, Gemeinden und Vermietern vorgegeben. Letztere regeln sie in der Hausordnung oder direkt im Mietvertrag. Wer den Vertrag unterschreibt, stimmt zu, diese Ruhezeiten zu beachten. So kann für die Mittagsruhe die Zeit zwischen 13 und 15 Uhr und für die Nachtruhe die Zeit zwischen 22 und sieben Uhr festgelegt werden. Fehlt eine Regelung in der Hausordnung oder im Mietvertrag, richten sich die Ruhezeiten nach der Ortssitte, also nach Satzungen, die die Gemeinden aufstellen, und die beim zuständigen Ordnungsamt erfragt werden können. Nach der "Hausarbeits- und Musiklärmverordnung" der Stadt München etwa dürfen ruhestörende Haus- und Gartenarbeiten nur an Montagen bis Samstagen zwischen acht und zwölf Uhr sowie zwischen 15 und 18 Uhr ausgeführt werden. Diese Verordnung gilt nicht für gewerbsmäßig im oder am Haus oder Garten anfallende Arbeiten. Handwerker, die eine Wohnung sanieren, müssen die festgelegten Ruhezeiten zum Beispiel nicht einhalten. Anders, wenn der Mitbewohner selbst seine Wohnung saniert: Heimwerker müssen die im Haus geltenden Ruhezeiten einhalten.

Für Tätigkeiten im Freien regelt das Bundesimmissionsschutzgesetz, wann welche technischen Geräte benutzt werden dürfen: Werktags von 20 bis sieben Uhr sowie an Sonn- und Feiertagen darf man zum Beispiel mit elektrischen Heckenscheren, Rasenmähern, Rasentrimmern, Rasenkantenschneidern oder Schreddern nicht arbeiten. Nur montags bis freitags in der Zeit von neun bis 13 Uhr und 15 bis 17 Uhr dürfen Laubbläser und Schneefräsen zum Einsatz kommen.

In der Hausordnung können auch Einschränkungen für das Musizieren getroffen werden. "Solche Regelungen dürfen allerdings nicht einem Musizierverbot gleichkommen", sagt Ulrich Ropertz vom Deutschen Mieterbund. So kann das Musikmachen auf zwei Stunden täglich beschränkt werden. "Es kommt immer auf die Umstände des Einzelfalls an, also auf die Art des Instruments, die Intensität und Dauer des Spielens und den vorhandenen Schallschutz beziehungsweise die Hellhörigkeit des Gebäudes", führt Ropertz aus.

Notfalls erscheinen sogar die Richter am Ort des Geschehens, um die Geräusche rechtlich einzuordnen. In einem Reihenhaus zum Beispiel spielte der Bewohner Trompete, was den Nachbarn nervte. Zwar stünde diesem prinzipiell ein Unterlassungsanspruch gegenüber dem musizierenden Nachbarn zu, allerdings nur bei einer wesentlichen Beeinträchtigung. Wann diese vorliege, sei am Empfinden eines "verständigen Durchschnittsmenschen" auszumachen. Das Musizieren gehöre zu den sozialadäquaten und üblichen Formen der Freizeitbeschäftigung, bilde einen wesentlichen Teil des Lebensinhalts und sei von erheblicher Bedeutung für die Lebensfreude und das Gefühlsleben, entschieden die Richter.

Es gehöre damit zur grundrechtlich geschützten freien Entfaltung der Persönlichkeit. Ein Ausgleich der Interessen könne nur durch eine ausgewogene zeitliche Begrenzung des Musizierens herbeigeführt werden (Bundesgerichtshof, BGH, vom 26. Oktober 2018, V ZR 143/17). Ein Klarinetten- und Saxofonspieler darf beispielsweise täglich höchstens zwei Stunden spielen und sonntags nur eine Stunde. Bei einem Schlagzeuger wird es noch enger: Das Schlagzeugspielen sei, so das Landgericht München I, nur außerhalb der üblichen Ruhezeiten von Montag bis Samstag zwischen 16 Uhr und 19 Uhr und maximal 30 Minuten täglich zulässig (Urteil vom 13. November 2014, 15 S 7629/13).

Mieter sollten in jedem Fall den Vermieter auf ihr musikalisches Hobby hinweisen. Dies hatte ein Mieter versäumt, der seinen Unterhalt mit Gitarrenunterricht verdiente. Er erhielt seine Kündigung zu Recht, urteilte der Bundesgerichtshof (Urteil vom 10. April 2013, VIII ZR 213/12). Auch wenn der Hund eines Mitbewohners dauerhaft bellt und jault, muss der Halter mit rechtlichen Konsequenzen rechnen.

Vor der fristlosen Kündigung muss der Mieter abgemahnt werden

Der von Kindern verursachte Lärm dagegen steht unter dem besonderen Schutz von Gesetzgebung und Rechtsprechung. Wann die Toleranz endet, hat der BGH erklärt: Es müssten Art, Qualität, Dauer und Zeit des Lärms, Alter und Gesundheitszustand der Kinder sowie die Vermeidbarkeit des Lärms berücksichtigt werden (Beschluss vom 22. August 2017, VIII ZR 226/16). Ein kindgerechtes Verhalten müssen die Hausbewohner in der Regel hinnehmen. "Kleinkindergeschrei, das kurzfristig mit dem Verlassen der Mietwohnung im Treppenhaus einhergeht, ist auch am frühen Morgen sozialadäquat und gibt dem Mitmieter kein Recht zur Mietminderung", heißt es in einem Urteil des Landgerichts München (24. Februar 2005, 31 S 20796/04).

Andauerndes Herumtrampeln, lautes Stampfen mit den Füßen, Springen und Hüpfen zählen hingegen nicht mehr unbedingt zum normalen Wohngebrauch - und müssen von den Mitbewohnern nicht hingenommen werden. "Vor der fristlosen Kündigung eines Mieters muss dieser aber abgemahnt und den Mietern die Gelegenheit gegeben werden, das störende Verhalten abzustellen", erläutert der Münchner Fachanwalt für Miet- und Wohnungseigentumsrecht, Harald Spöth.

Baden und Duschen ist auch während der Nacht zulässig. "Dies gilt sogar dann, wenn die Hausordnung nachts einen Wasserstopp verlangt", so Mietrechtler Spöth. Ein solcher Wasserstopp sei deshalb unwirksam. Auch Partys sind zulässig, egal, ob in der Wohnung oder auf dem Balkon, allerdings gibt es - entgegen einer weit verbreiteten Meinung - kein verbrieftes Recht, einmal im Monat lautstark zu feiern. In jedem Fall muss auf die Nachbarn und deren Recht auf Nachtruhe Rücksicht genommen werden.

Einen Anhaltspunkt für das Maß des zulässigen ortsüblichen Lärms können die Richtwerte der technischen Anleitung zum Schutz gegen Lärm (TA Lärm) und die VDI-Richtlinie 2058 geben. Macht ein Mitbewohner besonders viel Lärm und Krach, können sich die Nachbarn entweder an den Störer direkt oder an dessen Vermieter wenden. Die genervten Nachbarn sollten ein Lärmprotokoll erstellen, in dem das ruhestörende Verhalten dokumentiert wird. "Das Lärmprotokoll sollte Ort, Zeitpunkt, Art, Dauer und Intensität des Lärms enthalten sowie aufführen, wie sich der Lärm auf den gestörten Mitbewohner ausgewirkt hat und weitere Zeugen dafür benennen", erklärt die Münchner Rechtsanwältin Astrid Congiu-Wehle.

Zur Ursache des beanstandeten Lärms müssen Mieter nichts weiter vortragen, stellte der BGH fest. Ihnen sei es als Laien weder möglich, die Lärmquelle einer bestimmten anderen Wohnung zuzuordnen noch darzulegen, ob der Lärm auf einem unangemessenen Wohnverhalten, auf einem mangelhaften Schallschutz oder auf einer Kombination von beidem beruhe (Beschluss vom 21. Februar 2017, VIII ZR 1/16).

© SZ vom 20.07.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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