Kommentar:Und was ist mit Wohnen?

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Kaum ein Thema betrifft so viele Menschen wie das eigene Zuhause. Viele Familien, Rentner und Studenten finden keine bezahlbare Unterkunft, aber in den Sondierungsgesprächen spielte das offenbar keine große Rolle - ein Fehler.

Von Andreas Remien

Nach dem TV-Duell Anfang September war die Empörung bei den Parteien groß. In der Fernsehdebatte, so die Kritik, hätten die Moderatoren viel zu wenig Themen angesprochen, die in der Lebenswirklichkeit der Bürger wichtig sind. Nun konnte die Politik in den Sondierungsgesprächen selbst ihre Tagesordnung bestimmen - und hat prompt den gleichen Fehler gemacht. Zumindest, was das Thema Wohnen betrifft. Denn was sich bereits im Wahlkampf gezeigt hat, das hat sich in den Sondierungsgesprächen fortgesetzt: Die Wohnungspolitik spielt so gut wie keine Rolle. Das ist so erstaunlich wie unverständlich.

Wo und wie man wohnen kann, ist eine Frage, die jeden betrifft. Vor allem die überhitzten Immobilienmärkte stellen die Kommunen vor gewaltige Herausforderungen. Das gilt nicht nur für die Metropolen, sondern auch für immer mehr Mittelstädte und nahezu alle Hochschulstandorte. Viele Familien, Rentner oder Studenten finden keine bezahlbare Wohnung oder müssen erleben, dass ihnen wegen steigender Mieten am Ende des Monats immer weniger Geld übrig bleibt.

Die Wohnungspolitik ist längst zu einer zentralen sozialen Frage geworden. Wer kann sich ein Leben in den Städten überhaupt noch leisten? Ist Eigentum in einer Metropole wie München nur noch ein Privileg reicher Erben und kinderloser Doppelverdiener? Wie lässt sich die Landflucht eindämmen, damit Regionen wieder attraktiver werden? Wer zahlt die Kosten für die dringend nötigen energetischen Sanierungen? Darüber und über viele weitere Fragen hätte man in den Sondierungsgesprächen ausführlich diskutieren können, ja müssen. Stattdessen rangierte das Thema Wohnen unter "ferner liefen". Das ist umso erstaunlicher, da es vor allem zwischen den Grünen und der FDP fundamentale Unterschiede gibt. Während die einen ihre Hoffnungen auf eine effektivere Ordnungspolitik (zum Beispiel eine tatsächlich funktionierende Mietpreisbremse) setzen, vertrauen die anderen auf die freien Kräfte des Marktes.

An der Wohnungspolitik, war vor Kurzem aus Berlin zu hören, würde die Regierungsbildung aber sicher nicht scheitern. Das offenbart den aktuellen Stellenwert des Themas: zu klein, um die Großen ernsthaft zu beschäftigten. Doch das wird der aktuellen Lage nicht gerecht. An der Wohnungspolitik entscheiden sich wesentliche soziale, aber auch ökologische und ökonomische Fragen. Sie ist zu wichtig, um auf Tagesordnungen in irgendwelchen Unterpunkten versenkt zu werden.

© SZ vom 17.11.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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