Kirchenumwandlung:Theke statt Taufbecken

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Essen und feiern in ungewöhnlicher Umgebung: Das Restaurant "Glück und Seligkeit" wurde 2005 in der früheren Bielefelder Martinikirche eröffnet. (Foto: Imago)

Weil die Zahl der Gottesdienstbesucher zurückgeht und der Erhalt von Kirchen teuer ist, werden immer mehr Sakralbauten umgenutzt. Das ist eine Herausforderung für alle Beteiligten.

Von Sabine Richter

Gottesdienste werden hier schon lange nicht mehr gefeiert. Dort, wo sich früher Kirchenbänke reihten, steht heute ein Fußballtor. Im Hauptschiff der gotischen Hallenkirche kicken die Schüler einer privaten Hauptschule. Bereits in den Achtzigerjahren wurde die ehemalige Reichsabtei St. Maximin in Trier zu einer Turnhalle umgebaut. Die Klosterkirche ist eins von zahlreichen Beispielen für Kirchenumnutzungen in Deutschland. Die Gründe dafür liegen auf der Hand. Weniger Gottesdienstbesucher, weniger Mitglieder und damit Kirchensteuergeld zwingen die Kirchen zur Verkleinerung der Gemeinden, der Kirchenstandorte, des sakralen und profanen Gebäudebestandes.

In der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) gibt es mehr als 21 000 Kirchen, 17 000 stehen unter Denkmalschutz. Vor allem in Ostdeutschland sind viele von unwiderruflicher Zerstörung bedroht, wenn nicht schnelle Hilfe kommt. Um die Substanz zu erhalten, sind für Unterhaltung und Betrieb zwischen 600 bis 800 Millionen Euro im Jahr nötig. Viele Gemeinden können diese Last nicht mehr tragen.

278 Kirchen wurden nach Angaben der EKD von 1990 bis Ende 2014 zu den verschiedensten Zwecken umgenutzt, 16 davon sind im Eigentum der Kirche verblieben. Allerdings wurden im selben Zeitraum 347 Kirchen und Gottesdienststätten in Gemeindezentren, der "modernen" Form des Kirchbaus, neu errichtet.

Mit den zu erwartenden demografischen Veränderungen dürfte sich das Problem der Kirchen, ihren umfangreichen Immobilienbestand zu unterhalten, verschärfen. Die Kirchenstatistik lässt nichts Gutes erwarten: Die durchschnittliche Zahl der katholischen Gottesdienstbesucher sank von 11,7 Millionen im Jahr 1965 auf 2,6 Millionen 2014. Von 700 Gotteshäusern, deren Bedeutung und Verwendung sich in den nächsten zehn Jahren ändern werde, geht die Deutsche Bischofskonferenz allein für die katholische Kirche aus.

Was tun mit scheinbar überflüssigen Kirchen? Sicher ist, dass sie die Fantasie kreativer Architekten beflügeln.

Und so zog in Köln-Rondorf ein Architekturbüro in eine ehemalige Pfarrkirche ein, im Hochsauerland wurde eine Dorfkirche zur Bierstube umgebaut, die Dorfkirche im brandenburgischen Milow ist heute eine Sparkasse, die ehemalige Karmeliterkirche Rottenburg ein Diözesanmuseum. Weitere wurden zu Kunstschulen, Kitas, Veranstaltungsräumen, Museen oder Bibliotheken, Wohnungen und Altenheimen.

Missdeutbare Nutzungen fügen der Kirche großen Schaden zu, sagt der Theologe Adolphsen

Für die ehemalige Bischöfin und EKD-Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche, Margot Käßmann, ist es wichtig, dass leer stehende Kirchen mit Rücksicht auf die religiösen Gefühle der Gemeinden sorgsam umfunktioniert werden. Das ist nicht immer der Fall. Und so gab es kritische Stimmen und auch heftige Bürgerproteste, wenn Kirchen zu Restaurants, Cafés oder sogar zu einer Sparkasse umfunktioniert wurden.

Missdeutbare Nutzungen fügten der Kirche schweren Schaden zu und erweckten den Eindruck, dass die Kirche sich selbst nicht ernst nehme oder ihre Identität aufgebe, sagt der Theologe Helge Adolphsen, ehemaliger Präsident des evangelischen Kirchbautages, eines Zusammenschlusses von Architekten, Theologen, bildenden Künstlern, Denkmalpflegern und Stadtplanern, der Gemeinden auch bei Nutzungsänderung von Kirchen berät. Veranstaltungen wie Konzerte oder Ausstellungen, überhaupt alles, was zu einer lebendigen Stadtteilkultur und guten Nachbarschaften beitrage, sei dagegen zu befürworten. Das gesellschaftliche Engagement der Kirchen könne maßgeblich zur sozialen Stabilisierung von ganzen Stadtteilen beitragen.

Eines von vielen guten Beispielen dafür ist die neue Nutzung der Heiliggeistkirche im Hamburger Stadtteil Barmbek. Die auf 2,8 Millionen Euro geschätzten Sanierungskosten für den 1902 im neugotischen Stil errichteten Bau konnte sich die Gemeinde nicht leisten, sie entschloss sich zu einem Teilabriss. Auf dem Kirchengelände entstanden Eigentumswohnungen mit der Besonderheit, dass der Ostflügel der Kirche erhalten blieb und zu einem Veranstaltungszentrum wurde. Mit seinen Kirchenelementen und dem eleganten Interieur gilt das Osterbek-Forum als eines der schönsten Veranstaltungs- und Tagungszentren in Hamburg. Mieter der außergewöhnlichen Räumlichkeiten ist die Hamburger Kinder-und Jugendhilfe.

Wie eine Kirche zur neuen Begegnungsstätte für Menschen werden kann, zeigt eindrucksvoll die Herrenwaldkirche der evangelischen Gemeinde Stadtallendorf, die Ende 2013 öffentlich entweiht und geschlossen wurde. Sie wurde zum Familienzentrum "ConAct" ausgebaut, "das ein Ort der Begegnung, der Wertschätzung und der Potenzialförderung werden soll, der den Stadtteil nachhaltig verändern wird", sagt Projektleiter Tobias Czarski. Anfang 2015 wurde die Eröffnung des großen Indoorspielplatzes mit Elterncafé und Kinderbibliothek mit 300 Bürgern gefeiert. Ein besonderes Ereignis war der Bau einer Skate-Rampe im Hauptraum, an dem viele Jugendliche beteiligt waren.

Skaten in der Kirche? Es ist ein Balanceakt, vor dem die Gemeinden im Umgang mit ihren Kirchengebäuden stehen. Auf den Kirchbautagen wird deshalb auch immer über neue Nutzungen von Gotteshäusern debattiert. Bei Geldnot sollten zuerst Pfarrhäuser und Gemeindehäuser aufgegeben und mit dem Erlös Kirchen erhalten und unterhalten werden, hat Kirchbau-Experte Adolphsen schon vor Jahren vorgeschlagen. Ein gutes Beispiel dafür sei die St.-Nikolai-Kirche in Kiel am Alten Markt: "Gemeindehaus und Pfarrhaus wurden verkauft, der Pastor hat sein Amtszimmer in der Kirche, in der ehemaligen Sakristei sitzt die Sekretärin. Eine Küche wurde verdeckt eingebaut und ein Anbau als Gemeinderaum fertiggestellt. Die Kirche wurde zum erkennbaren Zentralbau und Ort der Gemeinde."

Neben der Umwidmung und dem Verkauf versuchen viele Gemeinden, ihre Kirchen mit besonderen Angeboten zu retten. So entwickelte die Gemeinde der Paul-Gerhard-Kirche in Hamburg-Bahrenfeld einen Masterplan gegen die drohende Kirchenschließung. Sie öffnete sich dem Stadtteil. Als erste Aktion wurden der Zaun um das Gebäude abgerissen und Bänke aufgestellt. Die Kirche kooperiert mit der benachbarten Max-Brauer-Schule, der nicht kirchliche Kinderladen Wilde 13 zog in ungenutzte Räume des Gemeindehauses ein, mit den Mieteinnahmen werden Baumaßnahmen finanziert. Im Kirchturm wurde eine Kletterwand installiert. Eingerichtet wurde auch eine "Zeit der Stille", in der sich Schüler zweimal in der Woche mit Pastoren in der Kirche zum Reden treffen. Als Nächstes ist eine Lounge für Jugendliche in dem Stadtteil geplant, auf dem Kirchvorplatz soll ein kleines Bistro entstehen.

Beim Kirchenbau werden heute Mehrfachnutzungen schon fest eingeplant

"Intensive Nutzung ist der beste Schutz vor Verfall und Entwidmung", sagt Theologe Adolphsen pragmatisch. Diese Position nimmt auch die Deutsche Denkmalpflegervereinigung ein: "Jede Nutzung, die dem Gebäude keinen Schaden zufügt, trägt zu seinem dauerhaften Erhalt bei. In Krisen- oder Umbruchzeiten wurden Gotteshäuser schon immer für andere Zwecke genutzt. Nur so haben viele von ihnen die Zeiten überdauert", heißt es in einer Resolution. Diese Philosophie führt dazu, dass beim Kirchenbau heute Mehrfachnutzungen fest eingeplant werden, "gottesdienstliche Nutzung, seelische Erbauung - und parallel dazu Nutzung für die Gemeindearbeit, Konzerte oder die Bürgerversammlung", sagt Thomas Begrich, Geschäftsführer der Stiftung zur Bewahrung kirchlicher Baudenkmäler Kiba.

Eine Umnutzung, die manchem Bauchschmerzen bereitet, aber schon seit Jahren erfolgreich funktioniert und bei Begrich "aufgrund der behutsamen Herangehensweise keine Störgefühle verursacht", wurde in der ehemaligen Bielefelder Martinikirche umgesetzt. Hier eröffnete 2005 das Restaurant Glück und Seligkeit, inzwischen eine Sehenswürdigkeit. Der rote Backsteinbau, Ende des 19. Jahrhunderts im neugotischen Stil errichtet, ist bis auf den modernen Eingangsbereich mit Glasautomatiktüren äußerlich fast unversehrt. Eine evangelische Pfarrkirche war die Martini-Kirche schon seit den Siebzigerjahren nicht mehr, 1975 wurde sie an die griechischorthodoxe Gemeinde verpachtet und bis 2002 genutzt. Seitdem stand das Gebäude leer, bis es nach eineinhalb Jahren Bauzeit als Restaurant wiedereröffnet wurde.

© SZ vom 26.03.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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