Kirchen:"Putz ist Lüge"

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Vor 200 Jahren wurde Conrad Wilhelm Hase geboren. Er gilt als Vater der neugotischen Backsteinkirchen. Diese prägen bis heute den protestantischen Kirchenbau.

Von Joachim Göres

Wie soll eine moderne evangelische Kirche in Deutschland aussehen? Darüber berieten führende Theologen und Bauräte in Eisenach schon im Jahr 1861. Damals wurden - anders als heute - viele Kirchen zu klein, und die Zahl der Neu- und Umbauten wuchs. Die im sogenannten Eisenacher Regulativ getroffenen Vorschriften prägen immer noch das Aussehen vieler Kirchen.

Man orientierte sich am mittelalterlichen Baustil. So sollte jede Kirche "nach alter Sitte orientiert" werden, sodass ihr Altarraum "gegen den Sonnenaufgang" liegt. Zudem wurde ein kreuzförmiger Grundriss mit ausgeprägtem Langhaus vorgeschrieben, die Orgel sollte ihren Platz über dem Haupteingang auf einer Empore am Westende der Kirche finden. Für die Kanzel wurde die Stelle festgelegt, wo Chor und Schiff zusammenstoßen, und der Altarraum sollte etwas erhöht angelegt werden.

Backstein ist im modernen Bauwesen wieder gefragt - er ist robust und variabel einsetzbar

Einer der Initiatoren des Eisenacher Regulativs war der Architekt Conrad Wilhelm Hase, der vor 200 Jahren geboren wurde und 1902 starb. Nach seinen Plänen wurden mehr als 170 Backsteinkirchen im neugotischen Rundbogenstil errichtet oder restauriert. Sie findet man vor allem auf dem Gebiet des heutigen Niedersachsens, aber auch in Berlin (die Erlöserkirche in Rummelsburg ist gut erhalten), Thüringen, Sachsen-Anhalt und Bremen. Der königlich-hannoversche Baurat und Konsistorialbaumeister der Hannoverschen Landeskirche, der auch eine zweijährige Maurerlehre absolvierte, gilt damit als einer der wichtigsten Kirchenbaumeister seiner Epoche. Zudem war er Inspirator für protestantische Gotteshäuser in ganz Deutschland, denn als Hochschullehrer prägte er viele seiner Schüler, die nach dem Vorbild Hases mehr als 1000 Kirchen schufen.

Diese Kirchen zeichnen sich durch ihre unverputzte Ziegelfassade aus, gemäß Hases Motto "Putz ist Lüge". Ein Satz, der für die Abkehr von der höfischen Repräsentation und für eine Erneuerungsbewegung steht. Zuvor galt gebrannter Ton lange als schlichtes Material und für repräsentative Bauten wie Kirchen unwürdig. Bevorzugt wurde ein edler klassizistischer oder neobarocker Stil. Als Baumaterial dienten Natursteinblöcke, aus Kostengründen wurde oft Putz verwendet.

Im Bild die Christuskirche in Hannover. (Foto: Christian A. Schroeder/CC BY-SA 4.0)

Dass der Norden zum Zentrum der Backsteinkirchen wurde, deren Fassade häufig durch den Einsatz von dekorativ gesetzten Ziegeln mit glasierter Oberfläche verziert wurde, ist für Thorsten Albrecht kein Zufall. "Hier war das dafür nötige Material verbreitet", sagt der Kunstreferent bei der evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannover. In der Tiefebene gab es weniger Steinbrüche als im Süden, dafür aber mehr Tonkuhlen als Basis für gebrannten Ziegel.

Zu den bis heute am besten erhaltenen Hase-Sakralbauten gehören laut Albrecht die Kirchen in Eitzendorf, Lauenau und Hagenburg.

Die in Eitzendorf bei Verden 1867 errichtete Kirche wurde 1893 als Modell auf der Weltausstellung in Chicago präsentiert. "Altar und Kanzel sind aus Backstein gemauert, das schafft eine besondere Atmosphäre. Die Kirche erfreut sich bis heute nicht nur bei Hochzeiten einer großen Beliebtheit", sagt der ehemalige Eitzendorfer Pastor Hartwig Helfritz.

Conrad Wilhelm Hase befasste sich vor allem mit dem Bau und der Restauration von Kirchen. (Foto: gemeinfrei)

Die kathedralengleich angelegte Christuskirche in Hannover mit ihrem 70 Meter hohen verzierten Turm gilt als neugotischer Musterbau Hases, der 1864 eröffnet wurde. Vor einigen Jahren wurde dort durch einen Umbau ein neues Chorzentrum geschaffen. Die Kirche wird heute sowohl für Gottesdienste als auch für Chorproben und Konzerte genutzt. "Die Wege in der Kirche haben sich nach dem Umbau verändert, was von vielen Gemeindemitgliedern bedauert wird. Doch es überwiegen die positiven Stimmen, denn die Kirche wird heute viel mehr genutzt als früher", sagt die Gemeindepastorin Stefanie Sonnenburg.

In Göttingen wurde die mittelalterliche Hauptkirche St. Johannis nach Plänen Hases in zweijähriger Arbeit bis1898 restauriert. Dabei wurde alles entfernt, was nicht zu dem von ihm propagierten neugotischen Stil passte. Für die Steinmetzarbeiten an den Kirchenfenstern hatte Hase die Verwendung von Stadtoldendorfer Stein verlangt, woran sich die Handwerker aber nicht hielten. Hases Kommentar: "Es ist traurig, daß das Handwerk in Göttingen so herunter ist. Eine Freude ist es nicht, in Göttingen zu bauen, da man immer Ueberzogenheit und Dummheit gegenüber steht."

Bereits 1931 bekam der Innenraum von St. Johannis eine andere Farbe, in dem bis dahin auf Hases Veranlassung Rot, Grün und Blau dominierten. In den 60er-Jahren wurden die von Hase angelegten hölzernen Emporen entfernt. "Im Gegensatz zum Außenbau ist im Innenraum vom Gesamtkonzept des 19. Jahrhunderts wenig geblieben", sagt der Architekt, und Bauforscher Bernd Adam fügt hinzu: "Es ist zu fragen, wie mit den zwischenzeitlich oftmals fragmentierten Spuren seiner Tätigkeit zukünftig angemessen umgegangen werden kann." Dies betrifft auch andere bedeutende Gebäude Hases, zu denen unter anderem das Alte Rathaus Hannover, das Welfenschloss Marienburg, die Bahnhöfe von Nordstemmen, Lehrte, Celle, Oldenburg, Göttingen, Wunstorf und Salzderhelden sowie diverse Schulen gehören.

Backstein erfreut sich heute im modernen Bauwesen wieder einer großen Beliebtheit, nicht zuletzt deshalb, weil er robust und variabel in der äußeren Gestalt ist, aus regionalen Quellen stammt und recycelt werden kann. Mit dem einstigen Plädoyer Hases für "konstruktive Ehrlichkeit" hat das allerdings nicht mehr viel zu tun - Backstein ist zum Verkleidungsmaterial geworden und dient dazu, Fassaden aufzuhübschen, hinter denen sich Betonwände befinden.

© SZ vom 21.12.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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