Interview mit Harold James:"Die Rettung muss aus China kommen"

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Der britische Historiker Harold James über die Kernschmelze des Finanzsystems, Parallelen zur Krise 1929/31 und die Abkehr vom Markt.

Nikolaus Piper

Harold James, 53, ist einer der angesehensten Experten für die Geschichte der Weltwirtschafts- krise und für die deutsche Wirtschaftsgeschichte. Er vergleicht die heutige Lage mit jener der Jahre 1929/31, sieht die Welt aber besser gerüstet als damals. Chinesisches Geld habe zu den Problemen beigetragen, es werde sie auch lösen helfen.

Der britische Historiker Harold James: "Wir haben die schlimmste Finanzkrise seit der Großen Depression". (Foto: Foto: AP)

Süddeutsche Zeitung: Herr Professor James, viele Menschen haben Angst, dass sich die Weltwirtschaftskrise der dreißiger Jahre wiederholt. Wie groß ist die Gefahr wirklich?

Harold James: Wir haben die schlimmste Finanzkrise seit der Großen Depression. Das bedeutet aber nicht, dass wir dieselben Phänomene bekommen werden wie damals. Das Risiko von Arbeitslosenquoten von 25 Prozent ist sehr gering. Es wird eine Rezession geben, aber nicht mehr.

SZ: Wo liegen die Parallelen zwischen 1929/1931 und heute?

James: Die Ähnlichkeit liegt in der Kernschmelze im Finanzsektor. Der Unterschied besteht zum Beispiel darin, dass wir keine festen Wechselkurse mehr haben und keinen Goldstandard. Deshalb sind die Währungsbehörden flexibler als damals.

SZ: Was hat aus dem Börsenkrach von 1929/31 die größte Wirtschaftskrise der Geschichte gemacht?

James: Das politische System stand nach dem Ersten Weltkrieg unter enormem Druck: Es gab die hohen Reparationszahlungen Deutschlands an die früheren Kriegsgegner einerseits und die Kriegsschulden von Briten und Franzosen in den Vereinigten Staaten andererseits. Die Amerikaner begriffen nicht, dass es einen Zusammenhang gab und verweigerten sich einer Lösung.

SZ: Und heute?

James: Heute ist das internationale System wesentlich kooperativer. Allerdings fallen die Regierungen heute wieder auf nationale Lösungen zurück, vor allem, wenn es um eine so komplizierte Sache wie die Rettung von Banken geht. Sie sind, aus verständlichen Gründen, nicht bereit, die Bevölkerung eines anderen Landes zu subventionieren. Aber diese Haltung ist falsch, besonders für Europa. Das amerikanische Bankensystem kann man sich vielleicht noch als eine nationale Einheit denken, das europäische jedoch nicht. Wenn Sie versuchen, isolierte Lösungen für Irland, Deutschland oder Italien zu finden, dann laufen Sie in sehr viele Probleme hinein.

SZ: Die Politiker sollten also gar nicht nach nationalen Lösungen suchen?

James: Wenn das Bankensystem so integriert ist wie in Europa, können nationale Lösungen nicht funktionieren. Ich finde es erstaunlich, dass darüber so wenig gesprochen wird. Schon in den siebziger Jahren, als man damit begann, über die Zusammenführung der Währungen in Europa zu sprechen, war allen Beteiligten klar, dass monetäre Integration zu integrierten Kapitalmärkten führt und dass dies Fragen der Bankenaufsicht aufwirft. Seit 30 Jahren weiß man, dass da ein Problem lauert, und niemand hat etwas getan. Der Vorschlag des französischen Präsidenten Nicholas Sarkozy für eine europäische Lösung war absolut richtig. Nur ist es dafür jetzt zu spät.

SZ: Brauchen wir eine einheitliche europäische Bankenaufsicht?

James: Ja, aber da gibt es ein Koordinierungsproblem. Die Bankenaufsicht müsste einheitlich sein, während über Staatsausgaben nur national entschieden werden kann.

SZ: Im Moment liegt der Herd der Krise in Amerika. Sind die Rettungsversuche von Finanzminister Henry Paulson und Notenbankchef Ben Bernanke richtig?

James: Die amerikanische Regierung versucht ist, die Psychologie der Märkte dadurch zu drehen, dass sie einen Preis für Wertpapiere definiert, die zuvor nicht mehr handelbar waren. Ich denke, sie hat an der richtigen Stelle angesetzt. Aber es ist gut möglich, dass dies nicht ausreicht. Es ist wie in der holländischen Geschichte von dem kleinen Jungen, der versucht, einen Deichbruch zu verhindern, indem er Finger in die Löcher steckt. Man fragt sich, ob der Junge genug Finger hat.

SZ: War es ein Fehler, die Investmentbank Lehman Brothers nicht zu retten?

James: Ja, aus heutiger Sicht bin ich fest davon überzeugt, dass dies eine große Fehlentscheidung war. Alle haben die Pleite von Lehman kommen sehen, vielleicht mit Ausnahme der KfW in Deutschland. Paulson wollte die Botschaft vermitteln: Das amerikanische Finanzsystem ist widerstandsfähig genug, um den Zusammenbruch einer großen Investmentbank auszuhalten. Das war offensichtlich eine Fehlkalkulation. Es hätte Alternativen gegeben. Lehman hätte schon im Sommer an einen chinesischen Staatsfonds verkauft werden können, und der Markt hätte sich stabilisiert.

SZ: Warum betonen Sie die chinesische Lösung, es hätte ja auch noch andere gegeben, eine koreanische zum Beispiel oder eine rein amerikanische?

James: China ist ein wichtiger Faktor beim Entstehen der Krise ebenso wie bei deren Lösung. In Asien insgesamt und in China im Besonderen werden momentan riesige Ersparnisse gebildet. Es ist klar, dass das Geld für die Rekapitalisierung des Finanzsektors hierher kommen muss.

© SZ vom 11.10.2008/ld/jkr - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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