Hamburger Hafencity:Ein Platz in der Elbe

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Bagger auf dem Baakenhafen-Quartier in Hafencity. Bis der Vorzeigestadtteil fertig ist, werden noch einige Jahre vergehen. (Foto: Daniel Bockwoldt/dpa)

Erst verzögerte die Finanzkrise die Entwicklung des Projekts, dann scheiterten Prestigebauten und die Pläne für die Olympischen Spiele. Doch nun geht es voran.

Von Rainer Müller

Grün, verkehrsarm und barrierefrei - so lautete die Vision für das olympische Dorf mitten in der Elbe. Doch die Bürger sagten Nein zu den Planungen. Nun bekommt Hamburg bis 2024 dennoch genau das: ein grünes, verkehrsarmes und behindertengerechtes Quartier mitten in der Elbe, das Baakenhafen-Quartier. Es wird das größte Wohnquartier der Hafencity mit etwa 2000 Wohnungen. Diesen Sommer beginnen die Bauarbeiten.

Weitere 700 Wohneinheiten entstehen derzeit im angrenzenden Quartier Am Lohsepark. Hinzu kommen zwei Schulen, zwei Parkanlagen, ein großer "Sports Dome", Hotels sowie Büro- und Einzelhandelsflächen. Größte Grünfläche wird der immerhin 4,6 Hektar große Lohsepark, zentral gelegen und daher auch "Central Park der Hafencity" genannt. Zur Hälfte ist er schon fertig und im Juli wird er offiziell eröffnet - drei Jahre früher als ursprünglich geplant.

Vom Lohsepark ausgehend soll sich später ein grünes Band aus Bäumen bis zum Baakenpark ziehen. Dieser zweite Park wird gerade als künstliche Halbinsel im Baakenhafen aufgespült, einem der zahlreichen früheren Hafenbecken, die heute die begehrte Wasserlage bedeuten. Noch sind hier nur Sandhaufen zu sehen. Einer davon wird bis 2018 zum Baakenpark inklusive 15 Meter hohem "Himmelsberg" und vielen Sport- und Spielmöglichkeiten. Damit kommt dem kleinen Park eine große Rolle für den erhofften urbanen Charakter des Viertels zu.

Entstehen soll hier so etwas wie das soziale Gewissen der Hafencity oder eine "Stadt für alle", wie es die Macher selbst formulieren. Im großen Stil werden direkt am Wasser neben exklusiven Wohntürmen nämlich vor allem Sozialwohnungen, Genossenschaftswohnungen und Baugemeinschaftshäuser errichtet.

Anfang des Jahres wurden die Ergebnisse eines Architekturwettbewerbs für drei unmittelbar am Elbufer gelegene Baufelder vorgestellt. Hamburgs Oberbaudirektor Jörn Walter urteilte gewohnt euphorisch: "Der Standort braucht eine gewisse Würde - wir sind ja nicht irgendwer, wir sind Hamburg!" Dem Urteil mag man zustimmen oder auch nicht, in jedem Fall überrascht die starke Durchmischung unterschiedlichster Wohnformen. Dem Ruf eines "Reichenghettos" entspricht die östliche Hafencity jedenfalls nicht. "Die Vielfalt der Stadt spiegelt sich hier wider", so Jörn Walter.

Auch Michael Wulf, Vorstand des Bauvereins der Elbgemeinden (BVE), der dort als eine von sechs Baugenossenschaften baut, verspricht "einen Schwerpunkt auf familien- und seniorentauglichem Wohnen." Vorgesehen ist die Integration von sozialen Angeboten wie Pflegediensten. "Wir schaffen Wohnraum direkt an der Elbe mit unverbaubarem Blick für breite Schichten der Bevölkerung", erklärt Wulf. Mehr als 360 Wohnungen werden auf den drei Baufeldern errichtet, knapp die Hälfte öffentlich gefördert mit Mieten ab 6,30 Euro pro Quadratmeter. Die für ganz Hamburg ausgegebene Quote von einem Drittel geförderter Wohnungen für größere Neubauvorhaben wird hier noch deutlich übertroffen. Unter den Angeboten finden sich auch Wohnprojekte speziell für Senioren, Behinderte oder für chronisch Kranke. 2021 soll das gesamte Quartier mit dann insgesamt 2000 Haushalten fertiggestellt sein. Ein Quartierszentrum mit Einzelhandel sorgt für die Nahversorgung, das Elbufer mit den alten Hafenkränen wird begrünt und für Autos gesperrt.

Nur jeder zweite Haushalt kann hier ein Auto abstellen. Das ist aber kein Problem

Auch sonst werden Autos wenig Raum bekommen am Baakenhafen. Als Stellplatzschlüssel wurde für das Quartier ein Wert von 0,4 festgelegt, das heißt, nicht mal jeder zweite Haushalt kann hier ein Auto abstellen. Die städtische Hafencity Entwicklungsgesellschaft verweist auf die zentrale Lage und die gute ÖPNV-Anbindung. Schon 2018 eröffnet die neue U- und S-Bahnhaltestelle Elbbrücken. Auch die bislang eher vereinzelten Radwege der gesamten Hafencity sollen jetzt besser vernetzt werden.

Bemerkenswert experimentierfreudig sind zudem die Pläne für ein eigenes Mobilitätskonzept mit Car-Sharing für Elektroautos. Die Bauherren im Baakenhafen wurden vertraglich verpflichtet, ein Drittel der wenigen Stellplätze mit Ladestationen für E-Autos auszustatten. "Das mag radikal klingen", räumt Jürgen Bruns-Berentelg ein, "aber Erfahrungen zeigen, dass gerade im geförderten Wohnungsbau heute oft Überkapazitäten vorhanden sind", so der Hafencity-Geschäftsführer. Es entstehe ein "Experiment für zukunftsfähigen Städtebau", das am Ende vielleicht in anderen Stadtteilen übernommen werde.

Innovativ, familienfreundlich, barrierearm und grün soll sie also werden, die östliche Hafencity. All diese Attribute waren bis zur Absage durch die Bürger auch mit der Olympic City verbunden, die gleich gegenüber vom Baakenhafen auf der Insel Kleiner Grasbrook geplant war. Heute werden dort Gebrauchtwagen verladen und Bananen gelagert. Nutzungen also, die nicht zwingend in Sichtweite der Innenstadt stattfinden müssen.

Die Olympischen Spiele waren nicht als reines Sport-Event gedacht, sondern auch als Instrument für die städtebauliche Entwicklung der Insel. Mit ihrer Lage wäre sie ein idealer Trittstein für den "Sprung über die Elbe" nach Harburg am südlichen Elbufer. Bis zu 8000 Wohnungen sollten nach den Spielen auf der Insel entstehen, darunter 400 in den Tribünen des verkleinerten Olympiastadions. Daraus wird nun nichts.

"Der Sprung über die Elbe kommt trotzdem", ist Jürgen Bruns-Berentelg überzeugt. Bis zum geplanten Olympia-Jahr 2024 wird die Hafencity ohnehin an die Elbbrücken herangerückt sein. Und mitten im Strom entwickelt sich auch Hamburgs größte Elbinsel Wilhelmsburg. Dort wird derzeit sogar eine zu den Elbbrücken führende Bundesstraße verlegt, um Platz zu schaffen für Tausende Wohnungen. In einigen Jahren wird der geplante Olympia-Standort also von Wohnquartieren umgeben sein, und spätestens dann wird das Gebiet wieder interessant für die Stadtentwicklung.

Die Zerknirschung über das Olympia-Aus scheint verflogen zu sein, ebenso wie die größten Sorgen über einige Großprojekte in der Hafencity: Zwar wird jetzt neben dem Kreuzfahrtterminal nicht der spektakuläre Entwurf von Rem Koolhaas für ein Science Center realisiert. Dafür errichtet ein französischer Immobilienkonzern dort einen weiteren Büroturm. Gleichzeitig übernimmt Unibail-Rodamco aber auch den Weiterbau des südlichen Überseequartiers, dessen Entwicklung wegen der Finanzkrise jahrelang stockte. Nun investieren die Franzosen dort 860 Millionen Euro in den Bau von Einkaufszentren, Büroflächen und Wohnungen. Nächstes Jahr soll der Bau beginnen. Zu einem Zeitpunkt also, an dem wohl auch die bekannteste Baustelle der Hafencity Vergangenheit sein dürfte: Mit sieben Jahren Verspätung öffnet in diesem Herbst die Elbphilharmonie ihre Pforten.

© SZ vom 04.03.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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