Geld - Macht - Hass: Die großen Erbfälle:Eine schrecklich nette Familie

Lesezeit: 4 min

Daniel Wildenstein soll pleite gewesen sein, doch in Wahrheit besaß er wohl Milliarden. Um die Van Goghs, Tintorettos, Häuser und Pferde des halbseidenen Kunsthändlers streiten sich die Witwe und ihre Stiefsöhne schon seit Jahren.

Michael Kläsgen, Paris

Daniel Wildenstein war einer der größten Kunsthändler und Sammler des 20. Jahrhunderts, viele sagen: der größte. Das geschickte Kaufen und Verkaufen wertvoller Gemälde war gleichwohl nicht sein einziges Talent. Seit neun Jahren ist Wildenstein nun tot, aber erst jetzt gelangt er zu einer traurigen Berühmtheit. Das liegt einerseits an seiner unnachgiebigen Frau, vor allem aber am Erbe, das er hinterlassen - oder besser gesagt in diversen Steuerparadiesen fast unauffindbar versteckt hat.

Ein Leben als Pferdenarr: Der Kunsthändler Daniel Wildenstein (rechts) auf einer Aufnahme aus dem Jahr 1973. Sein unermesslich großes Vermögen hat er in diversen Steuerparadiesen versteckt. (Foto: AFP)

Die Witwe Sylvia Wildenstein hat die Suche trotz ihrer 77 Jahre lange nicht aufgegeben. Sie sitzt auf der Tribüne einer Pferderennbahn bei Paris und sagt: "Ich bin nicht der Typ, der sich alles gefallen lässt. Wenn man mich ohrfeigt, schlage ich zurück." Die Franko-Amerikanerin ukrainischer Herkunft spielt damit auf die Tricks ihrer beiden Stiefsöhne an, auf die sie hereingefallen ist.

Kurz nach dem Tod des großen Sammlers versicherten sie ihr, dass der Patriarch am Ende quasi ruiniert gewesen sei, ja enorme Schulden habe und sie Gefahr laufe, dafür haftbar gemacht zu werden, falls sie nicht auf ihr Erbe verzichte.

Eine auffällige Erscheinung

Sylvia glaubte den beiden. "Das war doch meine Familie", sagt sie. Die Witwe, eine geborene Roth, die in ihrer Jugend in der israelischen Armee diente, ist eine auffällige Erscheinung mit blondem Haar. Sie trägt einen großen Hut, ist stark geschminkt und hat ein sichtlich ausgeprägtes Faible für plastische Chirurgie. Sie hat sich nie sonderlich um das Geschäft ihres Gatten gekümmert.

Im Haus Wildenstein war der Kunsthandel Männersache. Und so verzichtete sie. Oder besser gesagt: Sie gab sich damit zufrieden, eine Jahresrente von 400.000 Euro und das 492-Quadratmeter-Anwesen am Pariser Park Bois de Bologne zu erhalten.

Es dauerte einige Zeit, bis die Witwe erkannte, dass ihre Stiefsöhne Alec und Guy ihr wohl nicht die ganze Wahrheit offenbart hatten. Voller dunkler Ahnungen schaltete sie die Anwältin Claude Dumont-Beghi ein. Weniger Wohlmeinende vergleichen sie mit einem "Dackel, der sich an zwei Eiern festgebissen" hat.

Doch eher 43 Millionen Euro

Sie machte den Erbschaftsfall zu ihrer Herzensangelegenheit und schaffte es, die Gerichte davon zu überzeugen, den Erbschaftsverzicht ihrer Mandantin zu annullieren. Ihr gelang es auch, die Stiefsöhne davon zu überzeugen, das Erbe doch eher auf 43 Millionen Euro zu taxieren. Davon wiederum sprachen die Gerichte der Witwe in einem ersten Schritt 15 Millionen Euro zu.

Doch die Anwältin ließ nicht locker. Nach und nach trug sie immer neue Schätze zutage. Wo waren sie alle geblieben, die Renoirs, Van Goghs, Rembrandts und Tintorettos, die Wildenstein vielleicht nicht immer ganz legal erworben hatte?

Zwischenzeitlich kam das Gerücht auf, er habe mit den Nazis kollaboriert und die Gemälde enteigneter Juden übernommen. Und wo war der Bestand, den schon sein Großvater Nathan, der Sohn eines Rabbiners aus dem Elsass, angehäuft hatte? Dumont-Beghi wurde nach und nach fündig.

Ein sagenhaft teurer Caravaggio

Kürzlich öffnete sie erstaunten Besuchern in Genf eine abgedunkelte Kammer. Eine bisher verschollene Gemäldesammlung des französischen Postimpressionisten Pierre Bonnard war dort zu bewundern. Ihr größter Coup aber war es, den "Lautenspieler" von Caravaggio aufzutreiben, dessen Wert auf bis zu 100 Millionen Euro geschätzt wird. Er hing als Leihgabe im New Yorker Metropolitan Museum of Art und soll wie manch anderes Bild zur nicht deklarierten Hinterlassenschaft Wildensteins gehören.

Inzwischen schätzen auch unabhängige Experten sein Erbe auf vier Milliarden, manche sprechen von zehn Milliarden Euro. Niemand vermag genau zu sagen, um wie viel Geld es sich tatsächlich handelt. Wildenstein versteckte es akribisch. Und die Schatzsuche nimmt schier kein Ende.

Der Tod seines Sohns Alec im Jahr 2008 förderte weitere Caravaggios und andere Kapitalanlagen ans Tageslicht. Diesmal war es Alecs 36 Jahre junge russische Frau, die um ihre Pfründe fürchtete und weitere Geheimnisse lüftete.

So erfuhr Sylvia Wildenstein, dass ihr Mann Besitzer ihr bisher unbekannter Immobilien in Frankreich und in den Vereinigten Staaten war; ein Feriendomizil auf den Jungfraueninseln besaß; ein Pferdegestüt sein Eigen nannte und eine 36.000 Hektar große Farm in Kenia gekauft hatte, auf der Szenen des Films "Jenseits von Afrika" gedreht worden waren.

Briefe an den Haushaltsminister

Das meiste von seinem Vermögen hatte Wildenstein in Treuhandgesellschaften auf den Kaimaninseln oder in Guernsey untergebracht. Er nannte diese Verstecke Delta Trust, David Trust oder Sons Trust. Sie stehen heute im Zentrum des Erbstreits.

Sohn Guy Wildenstein, nach dem Tod seines Bruders alleiniger Familienvorstand, leitet aus der namentlichen Kennzeichnung der Treuhandgesellschaften ab, dass sein Vater schon zu Lebzeiten sein Vermögen gezielt an bestimmte Personen übertrug, um so das Erbe zu regeln. Sein Rechtsanwalt sagt, das Treuhandsystem sei "absolut zulässig".

Die Witwe und ihre Anwältin hingegen sind überzeugt, dass das Vermögen aus den Trusts in die verfügbare Erbmasse eingehen muss, da Daniel Wildenstein in Frankreich gestorben sei und daher französisches Recht gelte. Dass die Treuhandgesellschaften in den Steuerparadiesen legal sein sollen, findet die Rechtsanwältin lachhaft.

Sie schrieb deswegen mehrere Briefe an den damaligen Haushaltsminister Eric Woerth. Doch der antwortete ihr nicht, sagt Dumont-Beghi, obwohl er sich zur gleichen Zeit als oberster Steuerfahnder der Republik profilierte. Die französischen Medien halten den Wildenstein-Erbstreit deswegen für eine Affäre in der Affäre.

Ein großer Spender der Regierungspartei

Woerth ist bereits in einen anderen spektakulären Erbfall um die L'Oréal-Eignerin Liliane Bettencourt verwickelt. Der heutige Arbeitsminister wird verdächtigt, der Erbin des Kosmetikkonzerns Steuervorteile gewährt zu haben, weil sie an seine Partei spendete.

Auch Guy Wildenstein soll ein großer Spender der UMP von Staatspräsident Nicolas Sarkozy sein. Hat Woerth deswegen nichts gegen die dubiosen Wildenstein-Trusts unternommen? Die Frage steht im Raum und harrt einer Antwort. Aber womöglich kann sie darauf solange warten wie Sylvia Wildenstein auf die Hunderte Millionen Euro, die sie mittlerweile einfordert.

© SZ vom 14.08.2010/pak - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: