Familienfehde in der New Yorker Upper Class:Der hinterhältige Sohn

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Brooke Astor war die Salonlöwin des New Yorker Geldadels, die letzte lebende Verbindung zu Amerikas goldenem Zeitalters. Ihr Sohn wollte vor allem eines: ihr Geld. Mit allen Mitteln.

Jörg Häntzschel, New York

Man nannte sie die "Queen of New York": Brooke Astor, die nicht schön war, aber klug, charmant und großzügig; sie war die letzte lebende Verbindung zu Amerikas goldenem Zeitalter, als die Metropolen explodierten, die Eisenbahnen gebaut wurden, das Öl sprudelte und ein paar Familien, darunter die Whitneys, die Vanderbilts und eben die Astors, kraft der unbeschreiblichen Reichtümer, die sie anhäuften, zu den Adelsgeschlechtern des jungen Landes wurden.

Tony Marshall, der Sohn von Brooke Astor, im April 2009: Nach einem sechsmonatigen Prozess wurde der 85-Jährige schuldig gesprochen. Ob er jetzt in Berufung geht, ist offen. Seine Frau, Charlene (rechts) mochte die Mutter nie. (Foto: AP)

Die Gewinner von Amerikas Aufstieg im 19. Jahrhundert beuteten Millionen Menschen aus. Brooke Astor gab zumindest einen Teil dieses Reichtums wieder zurück. Das New Yorker Metropolitan Museum, die Public Library, Krankenhäuser, Armenstiftungen und Dutzende anderer wohltätiger Organisationen lebten von ihren Zuwendungen.

Zum ersten Mal spürte sie ihren Thron in den Achtzigern wackeln, als der New Yorker Immobilienboom eine ganze Klasse neuer Millionäre produzierte, deren Manieren nicht so gut waren wie ihre. Als "nouveau pauvre", als neu-arm bezeichnete sie sich damals mit einer Mischung aus Verachtung und Ironie. Was sie, die damals schon über 80 Jahre alt war, nicht ahnen konnte, ist, dass kein anderer als der eigene Sohn ihr 20 Jahre später tatsächlich einen großen Teil ihres immensen Besitzes entwinden würde.

Die Geschichte der Astors begann in Deutschland. John Jakob Astor stammte aus dem pfälzischen Walldorf. Kurz nachdem er 1784 in die USA kam, handelte er mit Pelzen, die er den Indianern abkaufte. Tee, Opium und Sandelholz folgten. Drei Jahrzehnte später investierte er das Geld, das er mit seinem Handelsimperium verdient hatte, um im großen Stil Land im damals noch unbebauten mittleren Manhattan zu kaufen. Wie von Astor vorausgesehen, riss man ihm die Grundstücke während New Yorks Aufstieg zur Weltmetropole aus den Händen. John Jakob Astor wurde zum reichsten Mann der USA.

Geldverteilen als Hauptberuf

Brooke Astor heiratete erst 1953 in die Familie ein. Vincent Astor, der Sohn von John Jacob Astor IV, der das Hotel Waldorf-Astoria gebaut hatte und mit der Titanic untergegangen war, wurde ihr dritter Mann. Als er sechs Jahre später starb, erbte sie nicht nur Astors Vermögen von 60 Millionen Dollar, sondern auch die Kontrolle über weitere 60 Millionen der gemeinnützigen Vincent Astor Foundation.

Geldverteilen wurde für sie zum Fulltime-Job. Nichts genoss sie mehr, als auf den Wohltätigkeitsbällen und Benefiz-Dinners umringt von New Yorks Kultur- und Geldadel Hof zu halten. David Rockefeller, Annette de la Renta, die Frau des Designers Oscar de la Renta, Philippe de Montebello, der frühere Direktor des Metropolitan Museums und Bob Silver, der Herausgeber der New York Review of Books, gehörten zu ihren Freunden.

Nur mit ihrem 1925 geborenen Sohn Tony Marshall, den sie mit ihrem ersten Ehemann John Dryden Kuser hatte, wurde sie nie richtig glücklich. Bei der Marine hatte er im Zweiten Weltkrieg in der Schlacht um die Pazifikinsel Iwo Jima gekämpft, doch das war auch schon der Höhepunkt seiner Karriere.

Er war vorübergehend bei der CIA, bevor er - nicht ohne die unermüdliche Lobbyarbeit seiner Mutter - als US-Botschafter durch Posten wie Madagaskar oder Trinidad und Tobago tingelte. Auch als Schriftsteller versuchte er sich. Selbst kein Astor zu sein, das wurde seit der dritten Heirat seiner Mutter zu seinem Lebensproblem. Sein einziger Trost war der immense Reichtum, der ihm nach dem Tod seiner vermögenden Mutter Brooke in den Schoß fallen würde.

Doch während er selbst älter und zunehmend gebrechlich wurde, wirbelte seine Mutter noch fröhlich durch die New Yorker Salons. "Sie hatte immer irgendeine Affäre am Laufen", erzählte einer ihrer Bekannten, der Filmproduzent John Hart; mal war es Bill Clinton, mal Matthew Broderick.

Würde die Mutter nach ihm sterben, so rechnete sich Marshall aus, würde seine dritte Frau, die von Astor verachtete Pfarrerstochter Charlene, leer ausgehen. Noch mit knapp 100 Jahren rauschte Astor mit ihrem alten Mercedes wochenends nach Holly Hill, dem Familiensitz im Hudson Valley. Doch Alzheimer machte sich immer öfter bemerkbar. Niemand beobachtete die Symptome aufmerksamer als ihr Sohn. Die Krankheit, sollte ihm endlich die ersehnte Chance bieten, seiner Mutter die Kontrolle über ihr Vermögen zu entreißen, bevor er selbst starb.

Zwei Stürze der Mutter genügten als Rechtfertigung, sich selbst als Vormund und Verwalter ihres Vermögens einzusetzen. Von da an führte er einen geschickten Schachzug nach dem anderen aus. Zunächst erhöhte er sein Einkommen als Mitverwalter der Astor-Stiftung. Dann verkaufte er - weit unter Wert - das von seiner Mutter geliebte Gemälde "Flags, Fifth Avenue" von Childe Hassam, nicht ohne sich selbst eine üppige Kommission dafür zu bezahlen.

Er übertrug das Astorsche Sommerhaus Cove End in Maine an sich selbst und dann weiter an seine Frau. Die dortigen Verwalter und Gärtner, die Brooke Astor nach ihrem Tod bedenken wollte, "sofern sie noch in meiner Anstellung sind", wurden gefeuert.

Familie vor Gericht

Die Rechtsanwälte, die lange für die Mutter gearbeitet und ihr auch bei ihrem Testament geholfen hatten, ersetzte er durch Francis Morrissey, der schon öfter bei suspekten Erbfällen aufgefallen war und später vorübergehend seine Lizenz verlor. Mit aberwitzigen Begründungen ließ Marshall Millionen über Millionen auf sein eigenes Konto fließen und auf das seiner Theaterproduktion Delphi Productions.

Sein Meisterstück bestand jedoch darin, das Testament so zu ändern, dass das Astorsche Vermögen ihm selbst und seiner Frau zukommen würde - und nicht den Museen und Bibliotheken, die seine Mutter als Empfänger des Geldes vorgesehen hatte. Anfangs machten sich Marshall und Morrissey noch die Mühe, die tattrige Dame zum Unterschreiben zu nötigen. Später fälschten sie einfach ihre Unterschrift.

Erst als Marshall die Gutachter von Sotheby's nach Holly Hill einlud, um die Versteigerung des Hauses vorzubereiten, schöpften Astors Freunde und ihr Enkel Philip Marshall, der Sohn von Tony, Verdacht. Bob Silver und Annette de la Renta fanden die verwirrte und verängstigte Frau auf einer alten Couch in ihrer Wohnung an der Park Avenue, wo der Urin ihrer vernachlässigten Hunde schon das Parkett hatte aufquellen lassen.

Bewaffnet mit eidesstattlichen Erklärungen von David Rockefeller und Henry Kissinger, zog Philip Marshall vor Gericht. Am 13. Oktober 2006 setzte der Richter John Stackhouse vom Manhattan Supreme Court Annette de La Renta als Vormund ein. Sie kümmerte sich um Brooke Astor bis zu deren Tod am 13. August 2007.

Nach einem sechsmonatigen Prozess wurden sowohl Tony Marshall als auch Francis Morrissey im vergangenen Jahr in 14 von 16 Anklagepunkten, darunter Verschwörung, Diebstahl und Besitz gestohlenen Eigentums, schuldig gesprochen und zu einem bis drei Jahren Gefängnis verurteilt. Kurz nach dem Urteil jedoch erklärte eine Jurorin, sie sei während der Verhandlung von einer anderen bedroht worden. Ob der 85-jährige Marshall nun Berufung einlegt oder der Prozess neu aufgerollt wird, ist offen.

© SZ vom 23./24.10.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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