Finanzmärkte:Nacktes Entsetzen an der Börse

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Nach einem hässlichen Kursrutsch in China brechen die Notierungen weltweit ein.

Thomas Öchsner, Nikolaus Piper, Simone Boehringer und Janis Vougioukas

Der Kurseinbruch kam schneller als erwartet. Der größte Aktiencrash in China seit zehn Jahren reichte - und schon verkauften Anleger am Dienstag Aktien weltweit in großem Stil. Von Panik wollte weder in Europa noch in den USA aber keiner sprechen. ,,Wir sehen die seit langem überfällige Korrektur - das ist aber nicht dramatisch, sondern eher gesund'', sagte ein Händler.

Der große Ausverkauf begann in China. Am Montag feierten die Börsianer in Schanghai noch ein Rekordhoch. Einen Tag später gingen die Kurse dann auf Talfahrt. Der wichtigste Index fiel um 8,84 Prozent, nachdem Profianleger wie Fonds und Versicherungen Aktien in großem Umfang veräußerten.

Nervöse Anleger

Vor allem Stahl-, Finanz-, Immobilien-, Telekommunikations- und Luftfahrtwerte gehörten zu den Verlierern. Warum es ausgerechnet am Dienstag dazu kam, blieb ein Rätsel. Konkrete Nachrichten als Auslöser für die dramatisch sinkenden Notierungen konnte kein Händler nennen. Analysten machten aber vor allem die große Nervosität der Anleger für die Gewinnmitnahmen verantwortlich. ,,Die Investoren fürchten, in China könnte ein Blase platzen'', sagte einer Händler. In den vergangen zwölf Monaten waren die Kurse um mehr als 130 Prozent geklettert.

Vor allem Privatanleger waren von dem Kursverfall überrascht worden, nachdem der richtungsweisende Composite Index am Vortag erstmals die Marke von 3000 Punkten durchbrochen hatte. ,,Die 3000er-Marke hat für viele Anleger eine psychologisch wichtige Funktion'', sagte Peng Yunliang, Senior Analyst der Shanghai Securities. Gemessen am Stand zum Jahreswechsel liegen beide Börsen jedoch noch im Plus.

Bereits Ende Januar hatte die Börsen von Schanghai und Shenzhen an einem Tag 7,62 Prozent verloren und damit abrupt die Feierlaune der Anleger nach einem Jahr mit vielen Börsenrekorden beendet. Zuvor hatte Cheng Siwei, Vizevorsitzender des Ständigen Ausschusses des Nationalen Volkskongresses und einer der einflussreichsten Wirtschaftspolitiker des Landes, vor einer Überhitzung der Märkte gewarnt. ,,Der Markt ist aufgebläht. Investoren sollen sich über die Risiken im Klaren sein'', sagte er.

Von China aus setzte sich die Talfahrt fort, zunächst in Europa. Der wichtigste europäische Standardwerte-Index, der Euro Stoxx 50, verlor bis Handelsende 2,69 Prozent auf 4157,47 Punkte. In London und Paris waren die Verluste aber nicht ganz so hoch wie in Deutschland. Dort brachen vor allem die Nebenwerte ein. Während die 30 wichtigsten Titel im Deutschen Aktienindex (Dax) 2,96 Prozent auf 6819,65 Zähler einbüßten, verloren MDax und SDax knapp fünf Prozent. Am stärksten waren die Verluste beim TecDax mit einem Minus 6,23 Prozent auf 816 ,54 Punkte. Verkauft wurden hier vor allem Solarwerte, die im TecDax ein starkes Gewicht haben.

Der Absturz der Nebenwerte zeigt, dass die Investoren nun bei den Titeln Gewinne sicherstellen, deren Wert zuvor besonders stark zugelegt hatte. Seit Anfang 2006 des Jahres bis diesen Montag hatte zum Beispiel der TexDax 46 Prozent zugelegt.

Beim MDax und SDax betrug das Plus 40,47 beziehungsweise 45,26 Prozent. Der Dax legte im gleichen Zeitraum dagegen nur 30 Prozent zu. Wie nervös die Anleger in Deutschland sind, zeigt der Volatilitätsdax, der die Schwankungen des Index widerspiegelt. Er stieg am Dienstag um knapp 28 Prozent.

In den Vereinigten Staaten hielten sich die Kursverluste dagegen am Abend in Grenzen. Die drei wichtigsten Indizes verloren nur etwas mehr als ein Prozent. Doch auch in den USA mehren sich die Anzeichen, dass die heimische Wirtschaft an Schwung verliert. So fiel der US-Auftragseingang für Gebrauchsgüter im Januar zum Vormonat überraschend deutlich um 7,8 Prozent. Ein unerwarteter Anstieg des US-Verbrauchervertrauens im Februar konnte die Anleger nicht beruhigen. Auch der frühere US-Notenbankchef Alan Greenspan verunsicherte die Anleger.

Er warnte vor einer Rezession in den USA gegen Ende des Jahres. ,,Die Leute haben Angst, dass die US-Lokomotive an Dampf verliert'', sagte Commerzbank-Stratege Ralf Grönemeyer. Andere versuchten zu beruhigen: ,,Die Chinesen haben uns gezeigt, dass sie in der Lage und willens sind, Übertreibungen an ihren Finanzmärkten zu begrenzen'', sagte Roger Kubarych, Chefvolkswirt von Unicredit in New York. Den Trend bei amerikanischen Aktien werde dies aber nicht ändern. Auch andere Analysten betonten, dass sich an den Fundamentaldaten durch die Ereignisse in Schanghai nicht geändert hätten.

Besorgt sind Marktbeobachter aber wegen der hohen Verschuldung der US-Investoren. So hat das Volumen an Wertpapierkrediten an der Wall Street inzwischen ein Niveau erreicht wie zuletzt Anfang 2000, kurz bevor die New-Economy-Blase platzte und die Aktienmärkte in eine mehrjährige Baisse stürzte. Auch vor dem Börsencrash 1987 waren Börsengeschäfte auf Pump in beunruhigendem Maße in die Höhe geschnellt. Zudem verleiten die großen internationalen Zinsunterschiede die Investoren dazu, sich in Niedrigzinsländern wie etwa Japan billig zu verschulden, um das Geld woanders rentabler, etwa am amerikanischen oder europäischen Aktienmarkt anzulegen. Im Falle einer länger anhaltenden Kurskorrektur können solche Kredite schnell fällig werden.

Hohe Kredite

Ein beliebtes Spiel von Finanzinvestoren ist es, Unternehmen mit wenig eigenem und viel geliehenem Geld zu kaufen und die Schuldentilgung dann den Firmen zu überlassen. Große Ratingagenturen wie Standard & Poor's monieren, dass inzwischen gute wie schlechte Schuldner oft fast denselben Preis für ihre Kredite zahlen.

Wie gefährlich das Leben auf Pump sein kann, zeigt sich derzeit am US-Immobilienmarkt. Hunderttausende von Amerikanern haben erst ihr Haus und später ihren Lebensunterhalt auf Basis von Hypothekenkrediten finanziert. Solange der Wert ihrer Häuser beständig stieg, ging alles gut. Stagnierende oder sinkende Häuserpreise bedeuten nun automatisch weniger Kreditwürdigkeit und damit im schlimmsten Fall den Bankrott. Auch in Europa steigt die Zahl der Menschen, die in die persönliche Schuldenfalle tappen, trotz der guten Konjunktur, ständig an.

© SZ vom 28.02.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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