Finanzmärkte:Aus dem Infekt wird ein Infarkt

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Verunsicherte Investoren: Derzeit weiß niemand, ob Aktien billig oder teuer sind. Dabei spiegelt der niedrige Dax-Stand vor allem eines wider - die Angst vor einer Rezession.

Markus Zydra

Wieder so ein Tag. Am Mittwoch sind die Aktienkurse weltweit stark gefallen. Alles rot auf den Börsentafeln. Tokio war schuld. Die dortige Börse verbuchte am Morgen 6,8 Prozent Verlust. Diese schlechte Stimmung aus Japan walzte daraufhin alles nieder, was andernorts nach Optimismus roch. Die Kapitalmärkte ticken nicht mehr mit Verstand, sondern nur noch mit Emotion. Lokale Infekte werden zu globalen Infarkten. Und mitten drin sitzen deutsche Sparer, die an ihre Altersvorsorge denken und nicht mehr wissen, was sie tun sollen. Wo stehen wir?

Wohin marschiert der Dax? Aktienhändler Dirk Müller mag schon nicht mehr auf die aktuelle Kursanzeige schauen. (Foto: Foto: dpa)

Der Dax hat binnen zehn Monaten fast 50 Prozent an Wert verloren. Regierungen und Zentralbanken weltweit haben einen kolossalen Schutzschirm aufgebaut. Ist die Krise bald vorbei, sollten Anleger jetzt Aktien kaufen? Rüdiger von Nitzsch ist skeptisch. "Im Januar stand der Dax bei 8000 Punkten, jetzt bei 4600. Das könnte Privatsparer zum Einstieg verführen", sagt der Verhaltenswissenschaftler und Finanzexperte der Universität RWTH Aachen. "Instinktiv denken viele, dass der Dax bei 7000 oder 8000 Punkten stehen sollte. Sie haben sich an diese Höhe gewöhnt", sagt er. "Doch die Welt hat sich grundlegend verändert. Der Schein trügt", meint Nitzsch.

Wenn alles offen ist

Wahrnehmung und Wahrheit liegen oft auseinander. Doch gerade jetzt ist eine Festlegung besonders schwierig. Die Wahrheit ist nicht eindeutig. Niemand weiß, ob die Welt eine Rezession erlebt. Also weiß niemand, wie viel die Unternehmen künftig verdienen werden. Doch genau diese Information ist entscheidend für eine Antwort auf die Frage, ob Aktien derzeit billig sind und ob der Dax bei 7000 oder 4000 Punkten stehen sollte. Seit einigen Tagen publizieren Unternehmen ihre Zahlen für das dritte Geschäftsquartal - und geben auch einen Geschäftsausblick. Davon wird viel abhängen, in welche Richtung es geht.

Analyst Wieland Staud, Geschäftsführer von Staud Research, beobachtet Charts und Kursausschläge. Daraus liest er den Gemütszustand der Akteure ab. "Die Leute haben Angst, dass es gegen sie läuft. Also gehen sie besonders schnell rein in den Markt und besonders schnell raus. Das führt zu den außergewöhnlich starken Kursschwankungen", sagt Staud. Die Kursschwankungen sind messbar und liefern so eine Kennzahl für die Angst an den Börsen. Der sogenannte Volatilitätsindex VDax notierte am Mittwoch bei 57 Prozent. Das bedeutet, dass die Börsianer davon ausgehen, dass der Dax in 30 Tagen 57 Prozent höher notieren könnte - oder 57 Prozent tiefer. Deutlicher kann die Verunsicherung der Händler nicht ausgedrückt werden. Im August lag der Wert des VDax noch bei 20 Prozent. "Die Risiken einer Aktienanlage sind gewachsen, es fehlt der Bewertungsrahmen", sagt Nitzsch.

Ein Hauptgrund für die augenblickliche Unruhe ist der Entschuldungsprozess in der Finanzindustrie: Banken und Fonds haben sich in den vergangenen Jahren um das zigfache ihres Eigenkapitals verschuldet. Diese Kredite müssen nun zurückgezahlt werden. Die Kredite werden durch den Verkauf der Vermögensanlagen getilgt. Das sind Aktien, Anleihen, Rohstoffe und auch Gold. Zudem steigen viele Investoren aus Fonds aus, die dann ebenfalls Vermögenswerte liquidieren müssen. Solche Verkaufswellen lösen dann weitere Verkäufe aus. Eine gefährliche Abwärtsspirale. "Die Wahrscheinlichkeit, dass wir den Tiefpunkt an den Börsen gesehen haben, ist deshalb gering", sagt Staud. Die finanzwirtschaftliche Krise, so der Analyst, sei vielleicht abgeschlossen, die realwirtschaftliche komme nun hinterher.

Nicht der Masse folgen

Allerdings gibt es auch eine prominente Stimme, die wenig von Fatalismus hält. Und sie gehört einem der erfolgreichsten Investoren aller Zeiten. "Sei vorsichtig, wenn alle gierig sind, sei gierig, wenn alle Angst haben", sagt der US-Börsenveteran Warren Buffet. Das klingt gut, doch sind die Investoren schon seit Jahresbeginn ängstlich, und seither sind die Kurse nochmals um 40Prozent gefallen. Es ist unmöglich, den richtigen Zeitpunkt für den Wiedereinstieg an den Börsen zu erwischen, denn Angstgefühle können sich hinziehen. Buffett investiert aber in sorgfältig ausgewählte Einzelunternehmen - Aktienindizes wie der Dax oder Dow Jones sind ihm egal. Hierbei hat er schon oft einen guten Riecher bewiesen. Und sein Motto bietet Hilfestellung: Anleger sollten ihr Verhalten diversifizieren - sprich: niemals das tun, was alle tun.

© SZ vom 23.10.2008/mel - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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