Filmkunst aus aller Welt:Intim und global

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Kürzlich in Cannes, nun in München: Das französische Drama Une fille facile mit Zahia Dehar (links) und Mina Farid. (Foto: Filmfest München)

Höhepunkte, Tipps und Trends aus den Wettbewerbsreihen "Cinemasters" und "Cinevision".

Von Anke Sterneborg

Auffallend viele intime Geschichten über familiäre Beziehungen und Bündnisse und über die Heimkehr zu den Wurzeln kommen von den arrivierten, meist männlichen Meistern. Doch in den privaten, intimen Geschichten spiegeln sich die politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse ihrer Ursprungsländer.

Wenn der Koreaner Bong Joon Ho in seinem in Cannes ausgezeichneten Parasite davon erzählt, wie ein Mann den Job als Nachhilfelehrer in einer reichen Familie nutzt, um nach und nach seine Verwandtschaft einzuschleusen, dann zielt er erneut mit subversiver Komik auf die gesellschaftlichen Verhältnisse. Wenn der ebenfalls in Cannes prämierte Spanier Oliver Laxe in O Que Arde ( F ire will come) aus familiärer Perspektive von der Zerstörung eines galizischen Bergdorfes durch eine Feuersbrunst berichtet, scheinen globale Umweltprobleme auf. Umgekehrt spiegeln sich auch in der dystopischen Dorfgesellschaft, die die Brasilianer Kleber Mendonça Filho und Juliano Dornelles in Bacurau entwerfen, die Probleme der brasilianischen Gesellschaft von heute. Wenn Mike Leigh in Peterloo eine historische Episode aus dem britischen Klassenkampf aufrollt, strahlt sie in die Gegenwart. Und wenn der Spanier Isaki Lacuesta in Entre dos aguas die Lebenswege der aus San Fernando stammenden Brüder Isra und Cheíto dokumentarisch begleitet, dann leitet sich aus der intimen Geschichte die schwierige wirtschaftliche Lage in Spanien und anderen mediterranen Ländern ab.

Auch das Coming of Age der jüngeren Regisseure, das Ringen um Identität und Orientierung ist geprägt durch die Probleme der Welt. Wenn Riley Stearns im Eröffnungsfilm The Art Of Self Defense einen ängstlichen Buchhalter (Jesse Eisenberg) im Karatekurs Selbstbewusstsein verschafft, stellt er mit den Männerbildern auch das amerikanische Selbstverständnis auf bissige Weise auf die Probe.

Auf mal verspielte, mal poetische, mal kämpferische Weise setzen sich die vielen Regisseurinnen der Sektion Cinevision mit weiblichen Rollenbildern auseinander: Die Freundschaft der beiden jungen Frauen, die ihre sexuelle Freiheit voll ausgelebt haben, wird in Sophie Hydes Animals auf eine schwere Probe gestellt, als sich eine von ihnen ernsthaft verliebt: Lässt sich feministisches Selbstverständnis nur in bindungslosem Vergnügen ausleben? Basierend auf einem realen Fall in Peru in den Achtzigern kämpft eine junge Mutter in Melina Leóns Canción sin Nombre ( Song Without A Name) nahezu allein gegen einen Menschenhändlerring um ihr Baby. In fein komponierten Schwarz-Weiß-Bildern entwickelt die historische Geschichte zeitlose Relevanz im Kampf gegen übermächtige Gegner. Die 13-jährige Heldin von Sofía Quirós Ubedas Ceniza Negra ( Land Of Ashes) muss sich ihren Weg zwischen den realen Schulfreunden und einer magischen Verbindung zum Geist ihrer verstorbenen Mutter bahnen. Schließlich geht es auch in The Punch um die Emanzipation einer Mutter, die sich im Regiedebüt der australischen Schauspielerin Mirrah Foulkes im Spannungsfeld zwischen Realität und Marionettentheater entfaltet. Und Natasha Merkulova und Aleksey Chupov in The Man Who Surprised Everyone verwandeln die Suche nach sexueller Identität in eine Farce über die Diskriminierung Homosexueller in Russland. Wieder steht die Selbstfindung exemplarisch für gesellschaftliche Zustände.

© SZ vom 27.06.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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